Freytags-Frage
 Die Ukrainer machen es eindrucksvoll vor, wie man um die eigene Freiheit (und damit auch die Freiheit anderer Leute) kämpft. Ein Leben in Unfreiheit wollen sie nicht führen. Quelle: imago images

Ist die Freiheit wirklich so unwichtig?

Die Proteste, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu stoppen, werden lauter. Das lässt einen wundern, wie wenig Wert einige der Freiheit der Ukrainer beimessen.

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In den vergangenen Wochen haben viele Menschen gegen den Krieg in der Ukraine protestiert und verlangt, dass die westlichen Waffenlieferungen unterbleiben. Grundlage und Auslöser dieser Demonstrationen war ein von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierter offener Brief an Bundeskanzler Scholz, in dem zu Verhandlungen aufgerufen wurde und die Waffenlieferungen als falsch dargestellt wurden. Diese Lieferungen würden, so das Argument, die Gefahr eines Dritten Weltkrieges genauso heraufbeschwören wie sie das Elend der Ukrainer nur verlängern.

Zudem wurde behauptet, die Ursache des Krieges liege nicht beim Verursacher allein, sondern – das blieb allerdings offen – wohl im Westen, der die Zuwendung der Osteuropäer zum Westen akzeptiert hat, obwohl das den Interessen Putins widersprach. Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin nur seine – als offenbar berechtigt anerkannten – Interessen durchsetzen könnte, wäre der Krieg beendet.

Dahinter steckt in zweierlei Hinsicht ein krudes Weltbild. Erstens erkennt es an, dass Großmächte einen eigenen „Hinterhof“ haben, in dem sie nach eigenem Gutdünken schalten und walten können. Ihnen wird eine neutrale Zone um sie herum zugestanden, in der die dort lebenden Menschen kein Selbstbestimmungsrecht haben, also systematisch – und in dieser Lesart zu Recht – unfrei sind. Wenigstens gilt dies offenbar so lange, wie die Großmacht Russland heißt. Im amerikanischen Fall sehen es die Autorinnen vermutlich anders – dabei kann man ihnen durchaus zustimmen. Niemand hat das Recht, den Bewohner anderer Länder vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Allerdings sollte auch niemand das Recht haben, dies eigenen Bürgern vorzuschreiben.

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von Anton Riedl

Zweitens scheinen die Unterzeichner zu glauben, dass Freiheit keine Rolle spielt, solange man nur am Leben ist. Dies ist zunächst angesichts der Drohungen der russischen Regierung, etliche Ukrainer zu töten, wenn sie denn nur das Land besetzt hätten, überaus naiv. Denn das durch Aufgabe erkaufte Leben würde vermutlich für viele der führenden ukrainischen Politiker und Soldaten sowie viele liberal eingestellte Bürger schnell durch Mord enden. Außerdem scheinen die Unterzeichner des offenen Briefes zu glauben, dass die kollektive und individuelle Freiheit den Ukrainern nichts wert sei. Dabei haben diese eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht bereit sind, sich ohne Weiteres erobern zu lassen. Unmittelbar nach Kriegsbeginn glaubten sogar Beobachter mit Expertise, dass der Überfall nach wenigen Tagen mit einem russischen Erfolg enden würde. Das hat sich als voreilig herausgestellt. Erst nachdem die ukrainische Widerstandskraft sich gezeigt hat, wurden die westlichen Unterstützer aktiv.

Die Verachtung für Freiheit, die sich in diesem Brief ausdrückt, schließt uns selber implizit mit ein. Denn es muss damit gerechnet werden, dass der Autokrat Putin, sollte er jemals die Ukraine mit seinen Truppen einnehmen, dort nicht stehen bleibt. Er dürfte dann als nächstes die – ihm ob ihrer Freiheitsliebe vermutlich höchst unsympathischen – Balten überfallen. Dabei würde ihm der sichere Glauben helfen, dass mindestens die Unterzeichner des offenen Briefes die durch Artikel 5 des Nordatlantikvertrages vereinbarte Beistandspflicht nicht ernst nähmen – wiederum vermutlich im Interesse der armen Balten, deren Elend nur verlängert würde, hülfen wir ihnen. Wäre Putin dort erfolgreich, gäbe es wenig Grund für ihn oder seine Truppen aufzuhören. Ganz Europa wäre in ständiger Gefahr, unfrei zu werden.

Die Ukrainer machen es eindrucksvoll vor, wie man um die eigene Freiheit (und damit auch die Freiheit anderer Leute) kämpft. Ein Leben in Unfreiheit wollen sie nicht führen, sondern selbst entscheiden, wie sie ihre Zukunft einrichten. Das ist gefährlich, in ihrem Fall für sehr viele Menschen lebensgefährlich. Dennoch sehen sie nicht davon ab, sich zu wehren.



Möglicherweise unterschätzt man den Wert der Freiheit, wenn man selbst lange genug in Freiheit lebt. Man kann sich ein Leben in Unfreiheit nicht mehr vorstellen und glaubt vielleicht, sie sei selbstverständlich. Vielleicht können es sich viele Unterzeichner des offenen Briefes nicht vorstellen, dass es Kräfte gibt, die anderen die Freiheit nehmen wollen. Leider ist die Welt nicht so friedlich und tolerant. Freiheit muss im Grunde ständig verteidigt werden – nach innen wie nach außen. Sie ist kein Geschenk und keine Gnade. Sie erfordert Verantwortung für das eigene Leben.

Von außen betrachtet, scheint es für den russischen Präsidenten kaum auszuhalten zu sein, dass die ehemaligen Republiken der Sowjetunion – vielleicht ist in diesem Zusammenhang der Ausdruck Kolonien treffender – frei sein wollen. Zum ersten geht es um die russische Größe, die sich ihm zufolge wohl in der Anzahl der unterdrückten Nachbarn ausdrückt. Zum zweiten geht vom Freiheitsdrang der Balten oder Ukrainer eine Ansteckungsgefahr aus – auch viele Russen wollen frei sein. Insgesamt fällt es dem Regime im Kreml relativ leicht, die eigene Bevölkerung zu unterdrücken. Die Versuche, die Nachbarn wieder zu unterjochen, laufen dagegen schleppender.

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Es wäre wohl bösartig, den Initiatoren und Unterzeichnern des offenen Briefes and den Bundeskanzler sicherlich nicht vorwerfen, dass sie die Unterjochung der Ukrainer als Ziel vor Augen haben. Aber man muss sich wundern, wie wenig Wert sie der Freiheit der Ukrainer und damit langfristig auch unserer Freiheit beimessen. Wer frei sein will, muss dafür kämpfen – damit gehen nun einmal Risiken einher. In Nordfriesland findet man die Zeile „Lieber tot als Sklave“ (auf friesisch) an vielen Häusern. Dieser Satz beschreibt die Lage der Ukrainer wohl recht gut. Und er sollte auch unsere Handlungen leiten, nach innen wie außen.

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