Freytags-Frage

Ist die Linkspartei eigentlich links?

Die Linkspartei will sich nicht für den französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron aussprechen, weil sie ihn für neoliberal hält. Zugleich fällt die deutsche Linke mit einer gefährlichen Nähe zu Marine Le Pen auf. Was ist daran noch links?

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Die-Linke Quelle: dpa

Am heutigen Freitag jährt sich der Geburtstag Karl Marx’ zum 199. Male. Vor 200 Jahren publizierte David Ricardo seine "Principles", wie sein Standardwerk "On the Principle of Political Economy and Taxation" auch kurz genannt wird. Und am Sonntag wählen die Franzosen ihren neuen Präsidenten oder ihre Präsidentin.

Vor 200 Jahren entwickelte der britische Ökonom David Ricardo seine Win-win-Theorie über die Vorteile des internationalen Warenaustausches. Sie ist aktueller denn je.
von Malte Fischer

Was hat das alles mit der Linkspartei zu tun? Die Linkspartei vollzieht zurzeit einen interessanten Spagat, der ernsthafte Zweifel aufkommen lässt, wie links die Linkspartei tatsächlich ist.
Um zu wissen, ob die Linkspartei links ist, braucht man natürlich eine Definition von Linkssein. Diese zu formulieren ist schwer, weil vermutlich jeder Betrachter seine eigene Definition hat. Deshalb verweise ich hier auf Georg Sesslen und seine Vorstellung zu vier Formen des Linksseins, die einem Liberalen einleuchten und sympathisch erscheinen. In aller Kürze (und Verkürzung) hier die Formen:

1. Linkssein entstammt einem Empfinden wie Gerechtigkeitsgefühl oder Gemeinschaftsdenken; dieses Empfinden komme aus dem Herzen.
2. Linkssein entstammt der Vernunft und Aufklärung (und widerspreche deshalb einfachen Lösungen).
3. Linkssein entstammt der eigenen Biographie und Erfahrung. Die Betroffenen möchten aus ihrer Rolle, die sie als irgendwie zugeteilt empfindet, heraus. So interpretiert bedeutet Linkssein die Zustimmung zur offenen Gesellschaft.
4. Linkssein heißt auch, einer Utopie anzuhängen. Dies ist sicher die am wenigsten konkrete Form und gilt natürlich auch für Menschen, die sich nicht als links bezeichnen würden.

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von Malte Fischer

Wie ohnehin diese Definition bzw. Beschreibung so allgemein und weithin akzeptabel scheint, dass sie fast unbrauchbar wirkt. Sie unterscheidet die Menschen mit linker Grundhaltung nach eigener Einschätzung vor allem dadurch von den Rechten, dass sie Offenheit und gerade keinen natürlichen Status für einzelne Menschen reklamiert; völkische Ideologien sind da deutlich statischer. Insbesondere weist Linkssein (anders als Rechtssein im völkischen oder AfD-Sinne) keinen nationalen Fokus auf. Gerechtigkeit kennt keine Grenzen. Will man zusammenfassen, reklamieren die Linken für die selber den folgen Vierklang: Gerechtigkeit, Aufklärung, Offenheit, Hoffnung.

Kommen wir nun zum Linkssein der Linkspartei. Dabei lohnt es sich mit Marx anzufangen: In einigen deutschen Städten, so auch in Jena, hat die Linkspartei Initiativen gestartet, den Vordenker des Kommunismus durch die Aufstellung von Standbildern wieder zu ehren. Ganz harmlos wird in Jena auf den Wissenschaftler verwiesen, der an der Friedrich-Schiller-Universität schließlich promoviert habe. Marx war sicherlich ein innovativer und wichtiger Denker, aber leider steht der Name Marx auch für eine lange Geschichte des Sozialismus, die seit 100 Jahren und bis heute (Venezuela, Nordkorea, Kuba) durch millionenfache Vertreibung und Mord, durch Terror und Eroberung sowie durch ökonomisches Elend und ökologische Katastrophen gekennzeichnet ist. Dies wird bei den Linken vermutlich als bedauerliche Nebenwirkung eines an sich guten Pfades (oder als neoliberales Märchen) abgetan. Anders gewendet: Heute noch Standbilder von Marx aufstellen zu wollen, kann als Versuch interpretiert werden, den realen Sozialismus nachträglich zu legitimieren, und steht in einem deutlichen Widerspruch zu einer offenen, gerechten und aufgeklärten Gesellschaft. Denn eine solche Gesellschaft war weder die Sowjetunion noch die DDR.

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