Freytags-Frage
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Koalitionsvertrag Quelle: dpa

Kann eine Regierung noch weniger Ambitionen haben?

Wenig erwartet, trotzdem enttäuscht: Die neue GroKo ignoriert drängende Probleme und gibt viel Geld für zweifelhafte Projekte aus. Zumindest mit einer Personalie kann die neue Regierung punkten.

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Selten war so viel Leere nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen, nie gab es weniger Aufbruchsstimmung als vorgestern, nachdem die Verhandlungsführer den Abschluss eines Koalitionsvertrages für die sogenannte Große Koalition verkündet hatten.
Dabei kann das Ergebnis der Absprachen nach den monatelangen Verhandlungen kaum überraschen. Aufregung oder Entrüstung nicht also nicht angesagt. Dennoch ist das Ausmaß, in dem die neue Bundesregierung die Herausforderungen der Zukunft an die Produktivität der Volkswirtschaft vernachlässigt, überraschend. In vielen Bereichen geht es weiter so wie bisher, die drängendsten Herausforderungen wie der demographische Wandel, die Zuwanderungsproblematik und die Digitalisierung werden entweder ignoriert oder nur halbherzig angegangen. Einzig in der Bildungspolitik kann man etwas Dynamik erkennen.

Es fällt auf, dass sich gerade die Sozialdemokraten auf Nebenkriegsschauplätze konzentriert haben. Das Gesundheitssystem mag nicht perfekt sein, aber es ist im Grunde keine Zweiklassengesellschaft: ernsthaft Kranke werden immer prioritär und vor allem angemessen behandelt. Probleme liegen vor allem bei den zu hohen Bettenzahlen in Krankenhäusern und der ungleichmäßigen Versorgung der Patienten über die Fläche. Aber das hat die Sozialdemokraten offenbar nicht interessiert.

Ähnlich unverhältnismäßig war der Einsatz auf dem Arbeitsmarkt. Dort fallen die neuen Regulierungen zwar weniger restriktiv aus als befürchtet, allerdings wäre beim Thema der sachgrundlosen Befristung schon viel gewonnen, würde sich die öffentliche Hand als Arbeitgeber an die Regeln halten und als Vorbild auftreten. Dies ist nicht der Fall, gerade öffentliche Arbeitgeber wie Schulen, Hochschulen und der Bundestag stechen vielfach negativ hervor und stellen überdurchschnittlich häufig nur befristet ein. Weitere gesetzliche Einschränkungen haben vor diesem Hintergrund eher Symbolcharakter.

Insgesamt gibt die Koalition mal wieder viel Geld aus, das die Steuerzahler, insbesondere diejenigen der Mittelschicht, aufbringen müssen. Eine echte Entlastung des Steuerzahlers kommt trotz sprudelnder Steuereinnahmen nicht infrage. Das ist gerade deshalb verwunderlich, weil die Sozialdemokraten dringend die Unterstützung der Bezieher mittlerer Einkommen nötig hätten – und diese wiederum die Unterstützung der Sozialdemokraten bräuchten. Auch die kalte Progression wird wieder nicht ernsthaft reduziert, der Solidaritätszuschlag für Menschen mit Einkommen ab 60.000 Euro – also nicht nur die wirklich Reichen im Lande – nicht gesenkt.

Damit sind die Leistungsträger der Gesellschaft – gemeint sind nicht die Topmanager, Schlagersternchen und Fußballspieler, sondern die Facharbeiter, Verwaltungsangestellten und Dienstleister vor Ort – wieder die Zahlmeister der sozial genannten, aber nicht treffsicheren Geschenke. Von diesen Leistungsträgern haben übrigens bei der letzten Wahl nicht wenige frustriert die sogenannte Alternative für Deutschland (AfD) gewählt. Echte Argumente, davon bei der nächsten Wahl Abstand zu nehmen, werden ihnen nicht geliefert.

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