Freytags-Frage
Gerade in Deutschland gibt es eine heftige Diskussion um die russischen Gaslieferungen und ob man sie wegen des Ukraine-Kriegs sanktionieren und damit einstellen sollte. Quelle: imago images

Kann man die Kosten eines Gasboykotts genau messen?

Eine hohe Strafsteuer auf importierte fossile Brennstoffe dürfte Gazprom und Russland empfindlich treffen. Bundesregierung und EU-Kommission sollten sie nutzen, um schnell mehr Druck auf Putin auszuüben.

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Die Europäische Union (EU) hat die nächste Sanktionsrunde eingeleitet. Nun wird keine russische Kohle, kein Holz und kein Wodka mehr gekauft. Die Gas- und Öllieferungen bleiben jedoch weiter unangetastet. Zu groß ist die Furcht vor starken wirtschaftlichen Verwerfungen, die ein abruptes Ende vor allem russischer Gaslieferungen für die EU-Mitglieder, allen voran Deutschland, haben könnte.

Allerdings ist die Diskussion um ein Gas- und Ölboykott gegen Russland nur verschoben, das wurde schon am Mittwoch deutlich. Da die russische Regierung keinerlei Absicht erkennen lässt, das organisierte Morden in der Ukraine einzustellen, dürfte in wenigen Tagen die nächste Runde an Sanktionen eingeleitet werden. Die Debatte dazu ist weiterhin lebhaft.

Gerade in Deutschland gibt es eine heftige Diskussion um die Gaslieferungen. Vertreter der deutschen Wirtschaft wenden sich naturgemäß mit starken Worten gegen einen Gasboykott. In der Wissenschaft ist die Einschätzung uneinheitlich. Verschiedene ökonomische Studien widersprechen einander, der Ton wurde dabei bisweilen auch hier ruppig. Denn die Schlussfolgerungen der beteiligten Autoren sind höchst unterschiedlich. Sie reichen von „handhabbar“ bis „mit drastischen Folgen für Wirtschaft und Haushalte“.

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Dabei lagen die geschätzten negativen Auswirkungen eines totalen Boykotts bei Rüdiger Bachmann und seinen Ko-Autoren nur sehr knapp unter den Wirkungen, die laut der Studie von Sebastian Dullien und Tom Krebs zu erwarten seien. Es geht um drei bis fünf Prozent, um die das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der kurzen Frist einbrechen würde. Die Leopoldina kam zu ähnlichen Ergebnissen.

Reicht es aber überhaupt aus, die Wirkungen des Gasboykotts auf das deutsche BIP isoliert von anderen Faktoren zu berechnen? Man muss sich zur Beantwortung dieser Frage noch einmal vor Augen führen, worum es eigentlich geht. Das erste Ziel der Sanktionen muss nach wie vor die Beendigung des Mordens und der Zerstörung sein; auch wenn die Vorstellung Präsident Wladimir Putin bleibt im Amt, sehr verstörend ist. Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, wie ein Boykott auf Russlands Entscheidungsträger wirkt.

Dazu muss man sich die Elastizitäten, das heißt die Reaktionen der Anbieter auf den Nachfrageausfall und der Nachfrager auf die folgenden Preiserhöhungen ansehen. Die Preiselastizität der Nachfrage in Deutschland ist kurzfristig sehr niedrig, das wird überall anerkannt. Aber offenbar ist die russische Seite genauso abhängig vom Verkauf des Gases an uns, wie wir von der Lieferung. Gazprom als Hauptlieferant scheint jetzt schon unter den Sanktionen zu leiden und würde in weitere Schwierigkeiten kommen, wenn es kein Gas mehr nach Westen verkaufen kann. Denn die Infrastruktur in Russland scheint nicht so ausgerichtet zu sein, dass man schnell neue Abnehmer im Osten des Landes beliefern könnte. Es wäre langfristig sehr teuer für Gazprom, die Gasförderung zu drosseln.

Abgesehen davon ist die russische Regierung von den Gasmilliarden abhängig. Das kann man schon daran erkennen, dass der Ankündigung Russlands, nur noch Rubel als Zahlungsmittel zu akzeptieren, keine Konsequenzen in Gestalt des Lieferstopps folgten, als die europäischen Regierungen ankündigten, nicht in Rubel zu zahlen. Das zeigt, wie wichtig die Einnahmen für das Regime sind.

Durch diese Abhängigkeit wird eine Idee von Ricardo Hausmann für die EU potentiell sehr attraktiv: Er schlägt eine hohe Strafsteuer auf importierte fossile Brennstoffe vor. Dabei fokussiert er auf Öl, weil die Preiselastizität der Nachfrage bei Öl viel höher ist als bei Gas. Auch wenn es etwas weniger friktionslos ist, kann man es sich aber auch für Gas gut vorstellen. Die Ratio dieser zunächst kontraintuitiven Steuer – man kann sie auch als Importzoll interpretieren – besteht in der geringen Angebotselastizität der russischen Gasanbieter und ist damit der etwas verstaubten Optimalzolltheorie entnommen. Der Zoll treibt den Preis in die Höhe, die Konsumenten beziehungsweise die Unternehmen werden dann ihre Nachfrage gemäß ihrer eigenen Elastizität senken.

Um im Markt zu bleiben, müsste Russland dann die Preise für Gas senken – und bezahlte dann den Zoll quasi selber. Die Zolleinnahmen wiederum könnten genutzt werden, um die betroffenen Unternehmen für den erhöhten Gaspreis wenigstens teilweise zu entschädigen.



Die Wirkungen auf das BIP in Deutschland beziehungsweise ganz Europa bleiben vermutlich negativ, aber der Kauf von Gas wird nicht verunmöglicht. Gleichzeitig steigt der Anreiz in Europa, Gas schneller als geplant zu substituieren. Insofern dürfte es noch schwieriger werden, die Kosten dieser Strafsteuer für die europäische Wirtschaft zu berechnen. Fest steht aber, dass sie erhebliche Kosten für die russische Seite verursacht.

Zu diesen rein ökonomischen Kosten kommt ein Faktor, den man nicht berechnen kann, nämlich der Verlust an politischem Kapital Deutschlands gerade in Mittel- und Osteuropa, sollte sich die Bundesregierung trotz Fortführung des Krieges noch lange weigern, die Gasimporte auch kurzfristig deutlich zurückzufahren. Die Regierungen der Ukraine, aber auch des Baltikums und Polens drängen die Deutschen schon lange, diesen Schritt zu gehen. Eine weiterhin so beharrliche Weigerung mit – angesichts der humanitären Katastrophe in der Ukraine – relativ kleinkarierten wirtschaftlichen Argumenten würde die Reputation Deutschlands und die Glaubwürdigkeit seiner ständigen Betonung der Bedeutung der Menschenrechte im internationalen Handel und Kapitalverkehr eher reduzieren. Welches Preisschild eine solche Entwicklung hat, ist nicht vorherzusagen. Aber man kann davon ausgehen, dass der Reputations- und Glaubwürdigkeitsverlust massiv sein wird.

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Vor diesem Hintergrund sollte die Bundesregierung gemeinsam mit der Europäischen Kommission die Option Strafsteuer auf Öl und Gas ernsthaft erwägen. Es scheint ein gangbarer Weg sein, um die russische Regierung unter Druck zu setzen.

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