Freytags-Frage
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Können wir den Niedergang unseres Landes noch stoppen?

Deutschland wirkt so gelähmt wie noch nie. Lösungen müssen her. Diese sieben Probleme machen die in vielen Bereichen schwierige Lage des Landes deutlich.

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Mancur Olson hat bereits vor über 40 Jahren eine Erklärung für den „Aufstieg und Fall von Nationen“ vorgelegt, die die Bedeutung von Interessengruppen und Verteilungskoalitionen für den Abstieg eines Landes als Treiber des Abstieges klar hervorhob. Diese vor allem an Rent-Seeking und Rent-Defending interessierten Gruppen wären imstande, Reformen zu blockieren, und lähmten mit der Zeit unternehmerische und politische Initiativen. Olson sprach von Sklerose. Gesellschaften, die unter Sklerose litten, befänden sich im Niedergang.

In den 1980er Jahren zeigte sich die Relevanz dieser Überlegungen in einer immer schwerfälligeren und nach innen und außen zunehmend verschlossenen Europäischen Gemeinschaft. In diesem Zusammenhang wurde dieses Thema Sklerose in Europe wiederholt aufgegriffen, der Begriff Eurosklerose war geprägt. Olson bot aber auch eine Lösung an, die als Olsonscher Schock in die Literatur einging.

Eine starke politische oder wirtschaftliche Krise, ein Konflikt oder eine Naturkatastrophe könnten diesem Gedanken zufolge dazu führen, dass Regierungen die richtigen Schritte zur Bewältigung der Krise und zur Überwindung der Sklerose einleiten. In der Tat konnte die Europäische Gemeinschaft das Ruder herumreißen und nun mit dem Binnenmarktprogramm eine starke wirtschaftliche Dynamik entfalten, die schon weit vor dem Gründungsdatum des Binnenmarktes am 31.12.1992 begann.

Die weltweit wachsende Mittelschicht fordert neben mehr Wohlstand auch mehr Freiheit ein. Ist eine offene Marktwirtschaft noch das richtige Konzept für die Gegenwart? Eine Kolumne.
von Andreas Freytag

Heute sieht es so aus, als ob die Sklerotisierung des Kontinents und insbesondere Deutschlands sogar noch weiter fortgeschritten ist, als es Mitte der 1980er Jahre der Fall war. Nach 16 Jahren politischen Attentismus und Verweigerung von Gestaltungswillen wirkt das Land gelähmt wie noch nie. Wen man auch fragt, man hört Klagen über Klagen, die in dieser Schärfe selbst in einem Land wie Deutschland, in dem man gerne klagt, so noch nicht gehört wurden. Oftmals sieht man nur noch ein Abwinken oder hört zynische Kommentare, wenn man auf eine Schwierigkeit hinweist. Was ist das Problem? Beziehungsweise: Was sind die Probleme? Einige Beispiele können die Problemlage deutlich machen.

  • Die Verwaltung funktioniert nahezu nirgends in der jahrzehntelang gewohnten Form, wie spätestens in der Coronakrise deutlich wurde. Prozesse dauern zu lange, Informationen werden nicht schnell genug ausgetauscht. Ein sinnbildliches Beispiel ist die Erhebung der Grundsteuer, für deren individuelle Festsetzung die Steuerpflichtigen selber verpflichtet worden, weil die Verwaltung die Daten zwar hat, aber nicht zusammenbringen kann. Auch die Genehmigung der dringend benötigten Windräder und Solaranlagen dauert nach wie vor viel zu lange. Bundeskanzler Olaf Scholz hat jüngst ein extrem hohes Tempo des Ausbaus der Erneuerbaren angekündigt, das angesichts der Geschwindigkeit der Verwaltungen und der entsprechenden Prozesse völlig unrealistisch ist.
  • Dessen ungeachtet scheint die Politik an diese Zahlen zu glauben. Anders kann das atemberaubende Tempo, mit dem die Bundesregierung die konventionelle Energieversorgung reduzieren will, nicht erklären. Wenn man zudem bedenkt, dass die Wärmeversorgung und die Mobilität in den kommenden Jahren weitgehend auf elektrische Grundlagen gestellt werden soll, kann man sich eine sichere Energieversorgung nach 2030 schlichtweg nicht vorstellen. Wer wissen will, wie sich das anfühlt, sollte mal eine Woche in Südafrika verbringen.
  • Das führt direkt zur Klima- und Wirtschaftspolitik, die von einem zuvor nicht erlebten Staatsglauben geprägt ist. Der Wirtschaftsminister und seine Leitungsebene scheinen sich sicher zu sein, zukünftige Technologien genau zu kennen (und das besser als alle anderen Menschen zusammen). Also planen sie, jetzt schon festzulegen, was man zukünftig zum Heizen oder Reisen verwenden darf und was nicht. Die Geschichte legt nahe, dass diese Art der Anmaßung von Wissen kläglich scheitern würde. Statt eines effektiven Klimaschutzes würde der Ausstoß an CO2 hierzulande kaum sinken, dafür aber der Wohlstand, wenn zum Beispiel in der Automobilindustrie zehn- oder gar hunderttausende Arbeitsplätze verloren gingen.
  • Gleichzeitig würde der Widerstand gegen Klimapolitik hier so stark wachsen, dass wir wohl auf absehbare Zeit keinen Fortschritt sähen. Das könnte zudem die Radikalisierung der Bevölkerung weiter anheizen und gar zu einer politischen Destabilisierung führen. Dennoch scheint die Regierung entschlossen zu sein, eine wahrlich höchst gefährliche Klima-, Umwelt und Wirtschaftspolitik voranzutreiben.
  • Das Rentensystem ist nicht nachhaltig. Schon heute wird ein Drittel des Bundeshaushaltes als Zuschuss zur Rentenkasse verwendet. Ändert sich nichts an den Beitragssätzen, der Rentenhöhe oder dem Renteneintrittsalter, dürfte dies in 2026 bereits die Hälfte des Bundeshaushaltes umfassen.
  • Damit einhergehend scheint der Fachkräftemangel in Deutschland endemisch zu sein. Kein Sektor scheint davon ausgenommen zu sein. Diese Mängel in Verbindung mit dem anstehenden Eintritt großer Teile der sogenannten Babyboomer in die Rente von 2025 an stellt ein großes Problem für die Unternehmen dar. Es sorgt auch für deutlich verringerte Produktivität beziehungsweise ein vermindertes Produktivitätswachstum und höhere Kosten.
  • Die Kosten für Unternehmen werden durch strengere Arbeitszeiterfassungs- und Lieferkettengesetzgebung erhöht. Dazu muss an dieser Stelle nichts weiter gesagt werden.

Dies sind nur die Probleme, die den wirtschaftspolitisch Interessierten unmittelbar interessieren. In der Migrations-, der Sozial-, der Arbeitsmarkt- und der Bildungspolitik sieht es auch nicht rosig aus. Schließlich sollte die Sicherheitspolitik (nach außen und innen) nicht unerwähnt bleiben. Auch hier sind die Probleme geradezu lähmend. Insofern stehen wir vor Herausforderungen, die zu lösen kurzfristig unmöglich scheint, aber unumgänglich ist. Viele Kabinettsmitglieder wirken so, als ob diese Herausforderungen sie gar nichts angehen.

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Wenn sich die Haltung in der Bundesregierung nicht schnell dahingehend ändert, dass sie die Dringlichkeit der hier genannten Probleme erkannt, wird es schwer werden, den Niedergang des Landes zu verhindern. In der nächsten Folge, die (nach mehr als 540 Kolumnen) zugleich die letzte Freytags-Frage sein wird, werde ich versuchen, die Lösungsmöglichkeiten für diese Herausforderungen zu skizzieren.

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