Freytags-Frage
Ein Euro-Sack wird von drei Menschen mit einem Seil gezogen Quelle: imago images

Könnte ein deutscher EZB-Chef überhaupt den Euro retten?

Bundesbank-Chef Weidmann will neuer EZB-Chef werden – entsprechend groß war die Aufregung, als Kanzlerin Merkel sich kürzlich dagegen stellte. Doch am Ende tut sie Deutschland damit vielleicht gar einen großen Gefallen.

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In den vergangenen Tagen war die Aufregung groß, denn es sickerte durch, dass die Bundesregierung möglicherweise nicht mehr mit Priorität das Ziel verfolgt, einen deutschen Kandidaten als Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) durchzusetzen. Stattdessen soll die Personalie des Präsidenten der Europäischen Kommission der Bundesregierung wichtiger sein.

Schon das zweite Mal habe sich Bundeskanzlerin Angela Merkel damit gegen einen Bundesbankpräsidenten gestellt, argumentieren manche Kritiker. Offenbar wolle man im Kanzleramt keine normalisierte Geldpolitik, sondern könne gut mit der Enteignung der Sparer zugunsten eines hohen Finanzspielraumes des Bundes leben. In der Tat betreibt die EZB seit Jahren eine Enteignung der Sparer zugunsten der Staatshaushalte, die sozusagen über den Umweg Europäische Währungsunion eine recht ansehnliche Inflationssteuer erheben, ohne dass tatsächlich eine hohe Inflation nötig wäre. Es ist auch richtig, dass diese unselige Mischung aus Geldpolitik und Fiskalpolitik langfristig die marktwirtschaftliche Ordnung gefährdet.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sich viele – nicht nur deutsche – Beobachter wünschen, dass die EZB von einem geldpolitischen Falken geleitet wird, der die Zinswende einleiten soll und dafür sorgen soll, dass der Preis für die Zeit wieder positiv wird, so dass wirtschaftliches Handeln sowohl der Privaten als auch des Staates wieder an den langfristigen Opportunitäten ausrichtet. So gesehen müsste man die Kehrtwende der Bundesregierung als Verrat ansehen.

Auf jeden Fall ist es politisch unklug, einen Kandidaten öffentlich aufzubauen und ihn dann fallenzulassen. Allerdings dürfte der Fehler weniger beim Fallenlassen als beim Aufbauen geschehen sein. Denn es muss die Frage gestellt werden, ob der Präsident der EZB überhaupt die Macht hätte, die Geldpolitik zu ändern und auf diese Weise die Regierungen in der Eurozone vor ein größeres fiskalisches Problem zu stellen. Die heutigen Kritiker der Kanzlerin nehmen implizit an, dass es Mario Draghi war, der als unabhängiger Notenbanker die Zinsen stark gesenkt und Staatsanleihen der Mitgliedsländer gekauft hat, also in großem Stil Kredite an die Regierungen vergeben hat. Dabei wird ihm auch eine gewisse Boshaftigkeit unterstellt, er täte dies vor allem als Italiener für „seine“ Regierung.

Möglicherweise wird Draghi hier ein wenig überschätzt. Vielleicht ist die EZB schon lange nicht mehr unabhängig, sondern folgt den Wünschen (Anweisungen?) der Finanzminister der Eurozone. Es ist übrigens keineswegs ausschließlich die italienische Regierung, die von der Geldpolitik profitiert. Auch die Bundesregierung freut sich. Laute Proteste aus Berlin gegen die Geldpolitik waren nie zu hören. Im Gegenteil, Kritiker der EZB wurden von Bundesfinanzminister Schäuble regelmäßig mit dem Hinweis auf die Unabhängigkeit der EZB gerügt.

Wenn diese Lesart stimmt, dann würde auch ein deutscher, stabilitätsorientierter Notenbankpräsident wenig helfen. Ganz im Gegenteil muss man befürchten, dass sich an der EZB-Politik nichts ändern würde, wenn die Regierungen in der Eurozone mehrheitlich nicht bereit wären, langfristorientierte und rationale Wirtschaftspolitik zu betrieben. Die Geldpolitik würde so weitermachen; die Probleme blieben bestehen und verstärkten sich, da die niedrigen Zinsen genau die Sparer träfen, die in den nächsten zwanzig Jahren in den Ruhestand gehen und sich sinkenden Rentenauszahlungen gegenübersehen. Und dies nicht nur, aber auf jeden Fall auch, in Deutschland. Dann wäre ein deutscher EZB-Präsident diskreditiert und Kritik aus Deutschland an der Geldpolitik wäre unglaubwürdig.

Unter diesen Umständen schlösse sich sogar das Hintertürchen Dexit, also ein Austritt Deutschlands aus der Währungsunion. Der erscheint zwar zur Zeit utopisch, ist aber keineswegs völlig ausgeschlossen. Denn je länger die Verschleppung von Reformen sowie die Aufblähung der Vermögenspreise durch die EZB finanziert werden, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Eurozone ihre Strukturprobleme überwinden kann. Ein erneutes Platzen der Vermögenspreisblase ist ebenfalls zu befürchten. Aus Sicht der Bundesregierung wäre es sicher von Vorteil, dass ein solcher Niedergang nicht mit einem deutschen Zentralbankchef in Verbindung gebracht würde. Denn mit einem deutschen Zentralbankchef wäre eine Neustrukturierung der Währungsunion politisch kaum denkbar.

So gesehen spricht einiges dafür, dass die Bundesregierung versucht, den Kommissionspräsidenten zu stellen und von der Durchsetzung eines deutschen Kandidaten für die Präsidentschaft der EZB abzusehen. Man kann es sogar positiv interpretieren: Vielleicht liegt der Regierung doch einiges am langfristigen Wohl des Landes!

Und selbst wenn die hier angestellten Überlegungen zur de facto aufgegebenen Unabhängigkeit der EZB nicht zutreffend wären, kann man diesem Szenario noch etwas abgewinnen, nämlich dann, wenn es der Bundesregierung gelänge, zusätzlich zu einem deutschen Kommissionspräsidenten einen Kandidaten aus einem stabilitätsorientierten Land – zum Beispiel Estland, Österreich oder Finnland – als EZB-Präsidenten zu gewinnen und durchzusetzen. Dann hätte sie dazu beigetragen, dass es sowohl einen Anwalt der Vernunft auf dem Chefposten der EZB als auch eine starke deutsche Position in der Europäischen Kommission gäbe.

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