Freytags-Frage
Bergleute der Grubenwehr gehen während der Veranstaltung

Müssen wir Kohle und Klima sachlicher diskutieren?

Kohle war in Deutschland ein jahrzehntelanges Streitobjekt. Zum Jahresende schließt nun die vermutlich modernste Zeche der Welt, Prosper-Haniel. Doch ist Deutschlands Verteufelung der Kohle nicht kurzsichtig?

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Zum Jahresende schließt die vermutlich modernste Zeche der Welt in Bottrop, Zeche Prosper-Haniel, dauerhaft ihre Türen. Diese Schließung ist ein Teil des Plans zur Beendigung der Steinkohleförderung in Deutschland und Abbau der Kohlesubventionen, die die Bundesrepublik Deutschland bereits unter dem letzten sozialdemokratischen Bundeskanzler beschlossen hatte.

Zuvor war die Kohle in Deutschland ein jahrzehntelanges Streitobjekt, zunächst ausschließlich aus wirtschaftlichen, später dann auch aus ökologischen Gründen. Richtig ist, dass ohne die Kohle die Industrialisierung in Europa so nicht hätte verlaufen können. Als wesentliche Stütze des Wiederaufstiegs der westdeutschen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Steinkohle auch noch gefeiert, als ihre Beiträge zur Energieversorgung kleiner wurden. Dem Beruf des Bergmannes haftet dementsprechend eine starke Romantik an, die angesichts der Härte des Berufs wohl auch gerechtfertigt ist.

Nicht zuletzt mit Rückgriff auf dieses erfolgreiche Narrativ wurde die Steinkohle seit den Sechzigerjahren mit horrenden Beträgen subventioniert. Der offizielle Titel der Förderung lautete Kohlepfennig; Anfang der Neunzigerjahre waren es über 120.000 D-Mark. Das entspricht nominal über 61.350 Euro pro Arbeitnehmer und Jahr im Kohlebergbau. Das war insgesamt vermutlich mehr als gesamte Lohnsumme der Ruhrkohle AG, auf jeden Fall ein ordentlicher Pfennigbetrag! Bis in die Neunzigerjahre bildete sie Bergleute aus, was manche Kritiker der Subventionierung dazu veranlasste, hier von Geiselnahme zu sprechen; junge Menschen wurden zu einer nicht-nachhaltigen Berufswahl verführt. Denn schon damals war klar, dass der Beruf des Bergmanns kein Zukunftsberuf ist. Aber man konnte das Arbeitsplatzargument für weitere Subventionen anbringen.

So wie die Kohle noch vor dreißig Jahren gefeiert wurde, wird sie heute verteufelt, wobei die Braunkohle noch schlechter wegkommt als die Steinkohle. Manchen Umweltschützern kann es gar nicht schnell genug gehen, bis wir gänzlich ohne fossile Brennstoffe auskommen. Selbst modernste Kohlekraftwerke werden kaum mehr genehmigt und entsprechend von der Energiebranche in Deutschland nicht mehr geplant. Das hat dann den etwas absurden Nebeneffekt, dass wir eben nicht die modernsten Technologien, sondern alte, wesentlich umweltschädlichere Kohlekraftwerke einsetzen.

Außerdem verlieren wir die Technologieführerschaft, wie übrigens zuvor schon in der Atomenergie. Dies ist überaus kurzsichtig, da nicht alle Regierungen den deutschen Ehrgeiz bei der Beendigung des fossilen Zeitalters an den Tag legen. Sowohl der amerikanische als auch der polnische Präsident beispielweise haben sich klar für die Weiternutzung der Kohle ausgesprochen. Das wird keine Umwelthilfe stoppen können, sei sie noch so bewegt!

Stattdessen dürfte die negative Grundstimmung fossilen Brennstoffen gegenüber die Bereitschaft zu weiterer Forschung mit dem Ziel einer effektiveren und umweltfreundlichen Verwendung der Kohle auch außerhalb Deutschlands reduzieren – unser Wissen wird entwertet, und unsere Nachbarn bauen weitere umweltunfreundliche und gefährliche Kohle- und Atomkraftwerke in unserer unmittelbaren Umgebung. Meistens werden solche Werke nämlich an den Grenzen gebaut, um das Umweltrisiko für die eigene Bevölkerung zu reduzieren.

Immerhin können wir im Zweifel den Strom aus diesen Werken kaufen, wenn es mit der Energiewende weiterhin so stockend vorangeht und die Elektromobilität in Deutschland an Fahrt gewinnt. Diese zynische Bemerkung zeigt: Ein gutes und von fast allen geteiltes Ziel wird mit übertriebenem Ehrgeiz angestrebt und umso deutlicher verfehlt!

Auch in der Klimadebatte kann man die hier beschriebene Dichotomie sehen. Auf der einen Seite stehen Politiker, die den Klimawandel nicht sehen wollen oder bewusst ignorieren. Sie stehen bisweilen unter hohem politischen Druck, kurzfristigen Wohlstand aufrechtzuerhalten und dabei langfristige Strategien zu vernachlässigen. Diese Leute kann man mit starken Glaubensbekenntnissen für das Weltklima und moralischem Getöse nicht überzeugen. Leider gehen aber die selbsternannten Klimaschützer auf der anderen Seite genauso vor. Sie lassen keine politischen Argumente gelten und fordern zu viel auf einmal.

Dabei gibt es die nötigen Instrumente zu einer effektiven Klimastrategie längst. Das Kyoto-Protokoll arbeitet mit den vom Nobelpreisträger Ronald Coase vorgeschlagen Emissionszertifikaten. Es sind noch nicht alle Länder und alle Sektoren (Stichwort See- und Luftverkehr) in den Emissionshandel einbezogen. Je mehr Länder sich aber der Disziplin des Pariser Abkommens von 2015 unterwerfen, desto besser sind die Chance auf eine umfassende Lösung des Klimaproblems. Es geht nur nicht mit der Brechstange, das zeigt auch die in diesen Tagen in Kattowitz abgehaltene Klimakonferenz 2018.

Deshalb ist es geboten, auch im Bereich der Energieversorgung und des Klimaschutzes wieder zu einer sachlichen und realitätsbezogenen Diskussion zurückzukommen. Die Bundesregierung sollte endlich dazu übergehen, klare und realisierbare Ausstiegsszenarien aus der fossilen Energie anzustreben. Auch sollte sie möglichst mit allen Nachbarländern über gemeinsame Strategien zu einer Zukunft mit wesentlich geringerer Nutzung der oder dem völligen Verzicht auf fossile Brennstoffe zu reden. Dies sollte möglichst ohne die typisch deutsche moralinsaure Grundhaltung geschehen. Es geht nicht darum, der bessere Umweltschützer zu sein, sondern um die Zukunft der Menschheit, und zwar so, dass die heutige Generation weiterhin in gewohntem Wohlstand lebt. Das ist schwer genug!

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