Der Kapitalismus steckt in einer Krise – das ist auch für Marktwirtschaftler kaum zu übersehen. Da scheint der 200. Geburtstag von Karl Marx gerade recht zu kommen. Am kommenden Wochenende wird die Welt seiner gedenken. In vielen Städten wird aus diesem Anlass in unterschiedlicher Form gefeiert, mal etwas verschämter, mal etwas lauter (wie in Trier, seiner Geburtsstadt). Auch die Stadt Jena feiert „ihren“ Marx, denn schließlich ist Marx ein erfolgreicher Doktorand der Friedrich-Schiller-Universität, die zu Marx‘ Zeiten allerdings noch nicht so hieß.
Die Geschichte hat einen kleinen Haken: Karl Marx wurde in Jena promoviert, ohne je dort gewesen zu sein, in absentia. Das war damals regelkonform, so dass es nichts daran auszusetzen gibt. Über die Beweggründe von Marx, in Jena zu promovieren, gibt es mindestens drei Geschichten: Erstens soll es billiger als anderswo gewesen sein, zweitens war es – wiederum anders als an anderen Universitäten – in Jena nicht Pflicht, die Dissertation in Latein abzuliefern, und drittens war Marx nicht überall so wohlgelitten wie in der liberalen Jenaer Alma Mater. Die dritte Erklärung stößt in Jena naturgemäß auf die größte Zustimmung.
Die Feier in Jena läuft seit dem 3. Mai und wird bis zum 6. dauern. Der Untertitel der Veranstaltung lautet: „Ideen einer gerechten Gesellschaft nach Marx“. Sie ist keineswegs nur eine Auseinandersetzung mit dem Werk von Marx, was absolut berechtigt und sehr notwendig ist, sondern soll offenbar den Charakter eines Volksfestes annehmen (sozusagen ein verspäteter 1. Mai in Rot). In den Titeln der meisten Beiträge scheint eine positive Wertung des Sozialismus durch.





Diese Ausrichtung überrascht Beobachter aus mehreren Gründen. Erstens kommen Kritiker des Sozialismus in Jena nur vereinzelt auf Podien zu Wort, und alternative Ansätze zu einer gerechten Welt werden gar nicht diskutiert, obwohl Jena ja einen Marx durchaus mindestens ebenbürtigen Denker als Kind der Stadt zu bieten hat, nämlich Walter Eucken. Dessen Konzept des Ordoliberalismus war deutlich erfolgreicher als jedes marxistische Regime. Man hätte also beide – und andere Ideen einer gerechten Gesellschaft – durchaus parallel diskutieren können.
Darüber hinaus sind zweitens – und obwohl Marx selber keineswegs einen totalitären Kommunismus forderte – im Grunde alle sich auf die Marxschen Arbeiten berufenden politischen Regime durch Terror, Unterdrückung, Arbeitslager sowie die Abwesenheit von Demokratie und Meinungsfreiheit (Stichwort: Andersdenkende) geprägt; man kann das nur als gerecht ansehen, wenn man allgemeines Elend einer möglicherweise schiefen Einkommensverteilung in einer Wohlstandsgesellschaft vorzieht. Außerdem muss man etwa 100 Millionen Tote in Friedenszeiten verdrängen, die diese Regime verantworteten.





Diese Probleme liegen dabei nicht an schlechten Menschen, die eine gute Idee ruiniert haben, sondern durchaus in der Logik sozialistischer oder kommunistischer Regimes. Denn Zentralisierung und Verstaatlichung klingen zwar ex-ante sehr attraktiv (weil scheinbar gerecht), sind aber ex-post wohlfahrtsvernichtend und ungerecht und stoßen daher schnell auf Widerstand. Dieser Widerstand muss unterdrückt werden, um die Utopie zu retten. Deshalb sind und waren alle sozialistischen Regime zugleich Unterdrückungsregime. Diesem Problem wird nur sehr vereinzelt in diesen Tagen in Jena Rechnung getragen.