Freytags-Frage
Bundeswehr-Soldaten stehen Militärstützpunkt in Rukla, Litauen. Quelle: dpa

Müssen wir mehr in die äußere Sicherheit investieren?

Mit dem Fall der Mauer gingen die Rüstungsetats auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs zurück. Krisen im Nahen Osten und Konflikte mit Russland verändern die Situation grundlegend. Das hat schwerwiegende Konsequenzen.

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Als im Jahre 1989 die Mauer fiel und sich der Eiserne Vorhang öffnete, gab es hämische Fragen an Bundeswehrsoldaten. Was würden sie nun mit ihrer Zeit anfangen? Wie kämen sie mit der drohenden Bedeutungslosigkeit klar? Die naheliegende Antwort lautete: Der Fall der Mauer und das Ende des Kalten Krieges waren auch ein Verdienst der Bundeswehr, die die Aufgabe hatte, den Frieden zu sichern, und diese offenbar gut gemeistert hatte.

Man kann durchaus unterschiedliche Ansichten haben in Bezug auf die Frage, wie man Frieden sicherstellt. Wenn sämtliche Beteiligten friedliebend sind, braucht man in der Tat kaum Streitkräfte. Deshalb war nach 1989 die Abrüstung die naheliegende Antwort auf das Ende des Kalten Krieges. Auf beiden Seiten des ehemaligen Eisernen Vorhangs sanken die Rüstungsetats relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Die Bundeswehr reduzierte ihre Truppenstärke, später setzte die Politik die Wehrpflicht – quasi im Vorbeigehen – aus. Die damit verbundene Freisetzung von Ressourcen für alternative Verwendungen (Schwerter zu Pflugscharen) ist im Prinzip wohlfahrtssteigernd und deshalb überaus sinnvoll. Niemand zieht das ernsthaft in Zweifel. Sie basiert allerdings auf der oben aufgestellten Nebenbedingung, dass alle Beteiligten friedliebend sind. Diese Nebenbedingung gilt nicht länger als gesichert. Von verschiedenen Seiten werden die westliche Werteordnung und ihre Träger bedroht, wie die drei prägenden Fälle zeigen.

von Melanie Bergermann, Rüdiger Kiani-Kreß, Elisabeth Niejahr

• Da sind die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten, in gewisser Weise auch eine Bedrohung für uns, weil von ihnen ungeregelte Wanderungsbewegungen ausgehen.
• Eine große Bedrohung sind fanatische Gotteskrieger, die jeden in ihrem Sinne Ungläubigen verfolgen und töten. Sie tragen den Krieg mittels Terrorattacken nach Europa, wie in den Metropolen schmerzhaft zu erleben war.
• Und da ist die russische Regierung (und nicht DIE Russen), die seit Jahren mehr oder weniger offen den Westen angreift und provoziert. Meistens ist es schwer, die russische Urheberschaft zu belegen. Häufig jedoch gelingt es, vor allem wenn es sich um Cyberattacken handelt, die zunächst gegen Estland gerichtet waren, sich aber nun auch gegen andere westliche Länder richten. Die Annexion der Krim und der Krieg in Georgien sowie große Militäraufmärsche an den baltischen Grenzen Russlands sind weitere Belege für die aggressive Haltung des Kreml.

Man kann davon ausgehen, dass diese Attacken vielfach aus einer Position der Schwäche und aus innenpolitischem Kalkül heraus motiviert sind. Sie sind dennoch nicht zu unterschätzen. Es gibt genug politische Analysten, die Präsident Putin als einen Politiker sehen, der die Welt als Nullsummenspiel interpretiert. Austausch findet dieser Lesart nach immer so statt, dass der eine gewinnt, was der andere verliert. Dies ist fundamental konträr zur empirischen Evidenz allen Handels, und zwar unabhängig davon, ob es sich um innerstaatliche oder internationale Arbeitsteilung handelt. Aber für Autokraten sind Fakten nicht von Belang.

Wenn diese Einschätzung stimmt, kann man den Aggressor mit Beschwichtigung und Zurückhaltung nicht bremsen. Dann muss man Stärke signalisieren, was eine hohe Verteidigungsbereitschaft einschließt. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass zahlreiche Esten sich freiwillig als Reserve zur Armee gemeldet haben. Sie werden eine russische Streitmacht nicht aufhalten können, wenn es Herrn Putin einfiele, Estland zu überfallen. Sie signalisieren aber eine hohe Bereitschaft zum Widerstand. Dies dürfte einen hohen russischen Blutzoll zur Folge haben, was nicht im Interesse der russischen Regierung sein kann.

Von der Leyen ging es mehr um den Ausbau von Kindertagesstätten

Es ist übrigens in niemandes Interesse. Die Verteidigungsbereitschaft soll gerade den Konflikt verhindern. Damit sind wir wieder am Beginn der Analyse. Man muss Rüstungsausgaben nicht mögen, und die Welt wäre eine bessere ohne große Waffenarsenale. Man muss aber auch sehen, dass der einseitige Verzicht auf Wehrhaftigkeit Begehrlichkeiten wecken und kriegerische Gelüste stimulieren könnte.

Deshalb spricht vieles dafür, selber verteidigungsbereit zu sein. Hier begeht die kollektive Linke übrigens einen Denkfehler, wenn sie Rüstungsausgaben Deutschlands oder der NATO als kriegerisch und die russischen Absichten als friedliebend betrachtet. Bislang jedenfalls hat die Regierung Putin sehr deutlich gezeigt, dass sie nicht nur friedliebende Absichten hat. Präsident Putin hat bereits mehrfach das Ende der Sowjetunion als Katastrophe bezeichnet. Diese Sicht wird in Kiew, Tallinn oder Riga nicht geteilt. Dort hat man zum Teil über Jahrhunderte sehr schmerzhafte Erfahrungen mit russischen Invasoren gemacht, die man in Zukunft vermeiden will.

Diese kriegerische Haltung ist überdies nicht neu, mindestens 15 Jahre schon strahlt die russische Regierung diese Aggressionen aus. Dennoch hat die Bundesregierung die eigene Verteidigungsbereitschaft sträflich reduziert. Die Bundeswehr wirkt heute ausgeblutet. Es fehlt an Soldaten, aber vor allem fehlt es an Ausrüstung. Die Berichte über schlechtes und hoffnungslos veraltetes Material in Verbindung mit organisatorischen Problemen sind sehr beunruhigend.

Wie konnte es dazu kommen?

Ein Teil der Antwort dürfte darin liegen, dass die Gesellschaft immer reicher und deswegen auch immer satter wird. Bis vor kurzem hatte dies zur Konsequenz, dass harte Budgetrestriktionen sehr unpopulär waren. Wer als Politiker höhere Rüstungsausgaben versprach (bzw. androhte), wirkte aus der Zeit gefallen. Wer hingegen Rentenerhöhungen und verbesserte Soziallleistungen anbot, hatte gute Chancen bei Wahlen.

Als die Verteidigungsministerin ihr Amt antrat, ging es zunächst mehr um den Ausbau von Kindertagesstätten als um die Sicherheit der Soldaten. Sie legte den Schwerpunkt nicht auf die naheliegenden Aufgaben einer Armee.

von Christian Schlesiger, Karin Finkenzeller

Diskussionen über Zivilklauseln an den Universitäten und verächtliche Kommentare zur Bundeswehr mögen dazu beigetragen haben. Das ganze Klima war einer rationalen Debatte um äußere Sicherheit nicht förderlich.

Schließlich muss auf die fiskalische Situation nach der Wiedervereinigung bis zu den Krisen nach der Lehman-Pleite hingewiesen werden. Die enormen Aufbauleistungen haben sicherlich Priorität genossen, so dass es nicht verwunderlich und überaus nachvollziehbar ist, dass die Politik die Verteidigung nachrangig behandelt hat, zumal man ja vom Ende des Kalten Krieges und einer Bedrohung aus dem Osten ausging.

Damit es ist jetzt offenkundig vorbei. Einige Politiker scheinen das erkannt zu haben, aber bei weitem nicht alle. Die Bevölkerung scheint deutlich weiter zu sein. Dies kann man an auch der geringen Beteiligung an den Ostermärschen erkennen. Wenn das Umfeld bedrohlicher wird, ist Abrüstung keine ernsthafte Option; das haben viele erkannt. So sympathisch die netten Ostermarschierer in den Nachrichten auch wirken und so schön es wäre, könnte man auf Waffen verzichten: Ihre Botschaft scheint am Ende weniger Frieden zu versprechen als eine Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft, die eventuellen Aggressoren deutlich macht, dass sie nicht gewinnen können. Ökonomen sprechen von gesunkenen Opportunitätskosten der Verteidigung.

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