Freytags-Frage

Warum sind die Menschen so pessimistisch?

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Nachrichten und Erwartungen

Drittens ist die Nachrichtenlage in der Regel verzerrt. Schlechte Nachrichten bekommen mehr Platz eingeräumt als gute. Nehmen Sie die Entwicklungszusammenarbeit als Beispiel: Obwohl seit etwa einem Jahrzehnt Afrika der Kontinent mit den weltweit höchsten durchschnittlichen Wachstumsraten ist und sich inzwischen ein kleine, aber stetig wachsende Mittelschicht herausgebildet hat, wird der Kontinent hierzulande fast ausschließlich als Krisenkontinent wahrgenommen. Diese guten Nachrichten werden offenbar systematisch ausgeblendet, nicht nur hierzulande

Dies mag viertens damit zu tun haben, dass die Erwartungen andere sind. Afrika war für viele immer das Herz der Finsternis und wird es deshalb bleiben müssen. Es ist schwer, Nachrichten, die diese Erwartungen (oder bisweilen Vorurteilen) nicht entsprechen, zu akzeptieren. So würde es den Kolumnisten wundern, wenn die Eurokrise tatsächlich beendet würde, es entspricht einfach nicht seinen Erwartungen; gut wäre es natürlich dennoch.

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von Cora Stephan

Fünftens kann es durchaus sein, dass einige Menschen die guten Nachrichten schon deshalb nicht wahrnehmen, weil sie nicht mit ihrem Weltbild vereinbar sind. Wachstum in Afrika würde in dieser Sicht bedeuten, dass ohnehin nur einige wenige – und zumeist westliche Konzerne – davon profitierten. Selbst wenn die guten Nachrichten einmal veröffentlicht werden, würden sie also von diesen nicht ernst genommen.

Sechstens kann man konstatieren, dass viele Menschen wenig Zutrauen zu Statistiken oder gar empirischer Forschung haben. Dies mag mit einer generellen Verunsicherung durch viele sich widersprechende Forschungsergebnisse erklärt werden. Allerdings kann man den Statistiken z.B. der Weltbank wenig entgegensetzen, die ja nicht auf einer Hypothese, sondern schlichter Beobachtung und Zählung beruhen.

Dass dieser Befund nicht aus der Luft gegriffen ist, kann man daran erkennen, dass in Umfragen zu Entwicklungsprognosen weltweit der Pessimismus vorherrscht, wie der schwedische Forscher und Gründer der Gapminder Foundation Hans Rosling in seinem Ignorance-Poject zeigt. In Deutschland beispielsweise unterschätzen seiner Umfrage zufolge die Menschen die entwicklungspolitischen Erfolge der jüngeren Vergangenheit bei weitem.

Wenn man die obigen Erklärungen in den Blick nimmt, kann man Wege erkennen, mit deren Hilfe man auch zu einer realistischeren Einschätzung und einer positiveren Sicht auf die Zukunft gelangt. Man könnte z.B. einfach grundsätzlich zur Kenntnis nehmen, dass es den meisten Menschen seit Generationen besser geht als jeweils einer Generation zuvor, wenigstens wenn man die echten Krisenregionen für einen Moment außer Acht lässt. Dann ist der Pessimismus weniger angebracht.

Eine solche Haltung setzt vielleicht die Energie frei, derer es bedarf, um die wirklichen Probleme anzugehen. Denn natürlich gibt es Probleme, zum Beispiel die dem Flüchtlingsdrama zugrundeliegenden Konflikte in den Krisenregionen, aber Pessimismus mag lähmen und ihre Lösung verschleppen oder verhindern. Dies sollte Anlass genug sein, ein wenig optimistischer in die Zukunft zu blicken.

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