Freytags-Frage

Ist die Linkspartei eigentlich links?

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Pauschale Diskreditierung der Globalisierung

Nun zu David Ricardo: Seine Arbeit zum Außenhandel zeigt eindrucksvoll, dass Arbeitsteilung über Grenzen hinweg sich für alle Beteiligten lohnt. Selbst dann, wenn die Produktivität in einem der Partnerländer durchgängig geringer ist als anderswo, lohnt es sich, sofern es relative Unterschiede gibt. Also lohnt es sich auch für Entwicklungsländer oder weniger produktive Menschen, sich in die Arbeitsteilung einzuklinken, ohne befürchten zu müssen, ausgebeutet zu werden. Die Linkspartei behauptet regelmäßig das Gegenteil. Ohne auf die wohlfahrtserhöhende und zugleich friedensstiftende Wirkung von Arbeitsteilung, darunter auch der internationalen Arbeitsteilung (man denke an Deutschland und Frankreich) einzugehen, diskreditiert die Linke die Globalisierung pauschal. Das ist nicht nur ignorant, sondern es delegitimiert berechtigte Kritik an einzelnen Problem der globalisierten Wirtschaft, zum Beispiel an überproportionaler politischer Einflussnahme einiger Sektoren, die die globale Marktwirtschaft in der Tat gefährden. Diese Gefährdung überwindet man aber nicht in einen Rückfall in protektionistische Zeiten, sondern eher durch eine regelgebundene Politik mit klaren Zuständigkeiten, und das erst nach sauberer Analyse.

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Und hier kommt dann Frankreich ins Spiel. Die Kandidatin des Front National (FN), Marine Le Pen, fordert explizit die Abschottung der französischen Wirtschaft von der Weltwirtschaft bis hin zum Austritt aus der Europäischen Union (EU); Immigranten sollen Frankreich ihrer Auffassung nach verlassen. Sie argumentiert damit in unangenehmer Weise völkisch und baut einen Gegensatz zwischen „uns hier drinnen“ und „denen da draußen“ auf. Das ist explizit nicht links (zumindest nach Sesslens Definition) und ist auch nicht so gemeint. Interessant ist aber, dass die deutsche Linkspartei große Schwierigkeiten hat, sich wiederum von Frau Le Pen abzugrenzen. Diese Schwierigkeiten hätte die Partei vermutlich nicht, wenn der Gegenkandidat der FN nicht Emmanuel Macron wäre, sondern der Linkspopulist Melénchon, der wirtschaftspolitisch allerdings das gleiche wie Frau Le Pen fordert. Er steht also gar nicht links.

An diesen drei Beispielen, die vor allem durch ihre zeitliche Koinzidenz auffallen, zeigt sich, dass die Linkspartei nicht viel mit einem idealisierten Bild des Linksseins gemein hat: Damit ist sie kein Einzelfall; auch die Freien Demokraten (FDP) sind nicht in jeder Facette liberal, und die Grünen vertreten regelmäßig ökologisch unsinnige Positionen. Das ist nicht das Problem. Es wird aber eines, wenn die Ideologie der Linkspartei sich so weit vom Linkssein entfernt, dass man eher mit Frau Le Pen als mit einem bürgerlichen Kandidaten, dessen Programm weit eher Hoffnung auf Gerechtigkeit, Offenheit und Aufklärung macht als das der FN, gemeinsame Sache machen will. Das wirkt nicht links, sondern reaktionär.

Zweieinhalb Stunden lang lieferten sich Emmanuel Macron und Marine Le Pen am Donnerstagabend einen harten und persönlich beleidigenden Schlagabtausch. Inhaltlich argumentierte nur einer der Kandidaten.
von Nora Jakob
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