Freytags-Frage

Wie steht Deutschland Ende 2019 da?

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Rente, Digitalisierung und die Wirtschaftspolitik

11. Wie zum Hohn hat die Bundesregierung bereits vor Jahren eine abschlagsfreie Rente mit 63 beschlossen, an der sie zäh festhält. Diese Rente wird nach 45 Arbeitsjahren gezahlt und verstärkt damit den Facharbeiter- und Handwerkermangel. Ob die Frührentner an der Wahlurne deshalb für die Sozialdemokraten stimmen, ist nicht überliefert.

12. Die Krankenhausversorgung läuft für ein entwickeltes Land nicht optimal. Nach Meinung etlicher Fachleute gibt es zu viele Krankenhäuser, die jeweils zu wenige Operationen durchführen und damit die Qualität gefährden.

13. Der Klimaschutz stellt nach Aussagen fast aller politischen Parteien eine wesentliche Herausforderung dar. Die dafür unternommene Politik ist allerdings weder zielführend noch effizient oder gerecht. Es wird unter großem Aufwand erneuerbare Energie produziert, weswegen die deutschen Strompreise zu den weltweit höchsten zählen. Dies führt zu einer Umverteilung von unten nach oben, weil die Anlagen Land- oder Immobilienbesitz (also etwas Wohlstand) erfordern und alle Stromkunden die hohen Preise bezahlen müssen. Sehr effektiv war die Förderung nicht, denn im laufenden Jahr 2019 sind nur sehr wenige neue Anlagen für erneuerbare Energien in Betrieb genommen worden.

von Karin Finkenzeller, Martin Seiwert, Annina Reimann

14. Das wäre aber nötig, wenn die schon lange anvisierte Digitalisierung wirklich an Fahrt gewinnen sollte. Es wird damit gerechnet, dass die konsequente Nutzung digitaler Technologien etwa ein Fünftel zum heutigen Stromverbrauch (etwa 640 TWh) hinzufügen würde. Wie dies bewerkstelligt werden soll, wenn parallel in den nächsten 20 Jahren etwa die Hälfte der Kapazität (nämlich die fossilen Kraftwerke) vom Netz genommen werden sollen, ist noch nicht geklärt. Hier herrscht eine erstaunliche Gelassenheit in politischen Kreisen.

15. Schließlich gibt die Wirtschaftspolitik Anlass zur Unruhe, und zwar gleich aus mehreren Gründen.

a. Erstens betreibt die Europäische Zentralbank eine Geldpolitik, die langfristig die Sparanstrengungen gerade der Geringverdiener massiv behindert, die dadurch das Rentenproblem verschärft und die Wirtschaftsordnung untergräbt (Stichwort Zombifizierung).

b. Zweitens sorgt diese Geldpolitik nach einer Studie der Bundesbank auch für Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt. Anstatt nach den Ursachen der Mietsteigerungen zu suchen, macht es sich die Politik leicht und reagiert flächendeckend mit populistischen Maßnahmen wie Preisregulierungen und Enteignungsdrohungen. Dies sorgt nicht für eine bessere Versorgung mit Wohnraum, sondern eher für Konflikte zwischen Mietern und Vermietern.

c. Drittens wirkt die allgemeine Wirtschaftspolitik eher rückwärtsgewandt und nationalistisch; die Industriestrategie des Wirtschaftsministers hat mit der Sozialen Marktwirtschaft nicht mehr viel zu tun.

d. Viertens kommt die Marktwirtschaft auch von anderen Seiten unter Druck. Zu nennen sind dabei vor allem die unausgereiften Pläne des Finanzministers für eine Finanzmarktsteuer, die ausschließlich Aktientransaktionen treffen soll und damit direkt die Altersvorsorge angriffe, aber kurzfristige Spekulationen unangetastet ließe; man kann nur hoffen, dass der Minister sich von der massiven Kritik aus dem In- und Ausland überzeugen lässt. Auch die unausgegorenen Pläne eines Gesetzes zu nachhaltigen Lieferketten der Minister Heil und Müller werden der deutschen Wirtschaft vor allem schaden, ohne dabei im Geringsten zur Sicherung der Menschenrechte in Entwicklungsländern beizutragen. Für beide Themen wünscht man sich Augenmaß und Zielorientierung.

Fazit

All dies zusammengenommen wirkt nicht gerade beruhigend mit Blick auf eine unruhige Zukunft, die mit Herausforderungen aller Art gespickt ist: Demographischer Wandel, Klimawandel, Handelskonflikte, Migrationsströme, sicherheitspolitische Bedrohungen aus Russland und von islamistischen Gruppen, um nur einige zu nennen, erfordern rationale Politiken und Lösungen, die durchaus zu Einschränkungen und dem Verlust von Renten führen können, wenn nicht müssen. Der bisher zu beobachtende weitgehende Attentismus der sogenannten Großen Koalition in Verbindung mit gelegentlichem Aktionismus ohne Wirkungen trägt nicht dazu bei, dass Deutschland die Herausforderungen meistern wird.

Dazu ist mehr nötig. Im Jahre 2020 sollte daher endlich der berühmte, vom Bundespräsidenten Herzog vor zwei Dekaden beschworene „Ruck“ durch das Land gehen. Immerhin erkennt man Ansätze zum Beispiel in der Klimapolitik; die Bundeswehr soll gestärkt werden; auch in die Migrationspolitik ist Bewegung gekommen; auch die Gefahr durch kriminelle Clans ist politisch wahrgenommen worden. In der Wirtschaftspolitik steht die Rückbesinnung auf die Vorteile einer marktwirtschaftlichen Ordnung allerdings noch aus.

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