Freytags-Frage
Das Logo der Shell Oil Company an einer Tankstelle. Quelle: dpa

Sollen Gerichte Unternehmen die Klimaziele vorschreiben?

In den Niederlanden haben NGOs das Erdölunternehmen Shell verklagt. Sie wollen den Konzern zwingen, den Verkauf von Erdöl annähernd zu halbieren. Ein solches Urteil hätte fatale Folgen.

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In diesen Tagen läuft in den Niederlanden ein interessanter Prozess. Einige Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich dem Klima verpflichtet fühlen, haben das multinationale Erdölunternehmen Shell vor einem Bezirksgericht in Den Haag verklagt. Ziel der Klage ist es, dem Unternehmen vorzuschreiben, seinen Ausstoß (und den seiner Kunden) an Treibhausgasen bis 2030 um 45 Prozent zu verringern. Faktisch heißt das nichts anderes, als den Verkauf von Erdöl annähernd zu halbieren. Ende Mai soll das Urteil gesprochen werden.

Noch wird der Fall in der Öffentlichkeit nicht sehr prominent diskutiert. Dies dürfte sich ändern, sollte Shell zu der Halbierung seines Geschäfts verurteilt werden. Dies gilt selbst dann, wenn Shell zur nächsthöheren Instanz ziehen sollte, um doch noch Recht zu bekommen. Denn eine Verurteilung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens zur Halbierung ihres traditionellen Geschäfts würde viele Signale aussenden, deren Wirkungen noch nicht vollständig durchdrungen sind. Immerhin lassen sich Vermutungen anstellen.

Erstens würde das Geschäftsmodell von Erdölunternehmen in westlichen Ländern, zumindest aber in Europa infrage gestellt werden. Denn wenn Shell tatsächlich verurteilt würde, würden sämtliche Unternehmen aus dem Sektor anders bewertet. Banken würden vermutlich ihre Finanzierung unter Vorbehalt stellen, Zulieferer und Kunden sich wohl neu positionieren.

Zweitens würde das Urteil viele NGOs und Umweltverbände dazu anregen, auch andere Unternehmen zu verklagen. Dies geschieht zum Teil schon, aber es würde sich vermutlich ein recht ertragreiches Geschäftsmodell entwickeln, wie es jetzt schon von NGOs wie der Deutschen Umwelthilfe betrieben wird.

Drittens könnten viele der potentiell betroffenen Unternehmen den Wirtschaftsstandort Europa verlassen oder wenigstens in Zukunft meiden. Es ist nicht auszuschließen, dass Shell im Falle einer Verurteilung die Hauptaktivitäten aus den Niederlanden verlagern würde. Darüber ist nichts bekannt, aber ausschließen kann man es nicht. Dies gilt selbst dann, wenn Shell dann Produktionsstätten in Europa abschreiben müsste. Andere Unternehmen könnten abwandern, um nicht vor Gericht gebracht zu werden. Es würde vermutlich keine überstürzte Flucht angetreten werden, sondern die jeweils nächsten Investitionen fänden nicht mehr in Europa statt, während man mit Berufungsverfahren bis zur höchsten Instanz Rückzugsgefechte führen würde.

Die Abwanderung hätte viertens zur Folge, dass in Europa Arbeitsplätze gefährdet werden. Klimaschutz wäre dann scheinbar nur noch zu hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten möglich. Dies wiederum würde die Akzeptanz des Klimaschutzes in Europa gefährden. Ein Teufelskreis droht dann, der sowohl das Klima als auch den europäischen Wohlstand bedroht. Die Folgen mag man sich nicht ausmalen.



Fünftens droht mit der Abwanderung der Unternehmen, dass das Urteil schnell substantiell irrelevant wird. Denn in anderen Jurisdiktionen gelten Gebote oder Verbote, die in Europa ausgesprochen werden, nicht. Das Problem dürfte dann sein, dass die Unternehmen sich Standorte aussuchen, in denen das Klimabewusstsein und die Umweltauflagen geringer sind. Es wird also genauso viel wie vorher produziert, allerdings ohne eine Selbstverpflichtung zur Reduktion der Emission und im Dissens zwischen Europa und den neuen Gastgeberländern der europäischen Unternehmen.

Das senkt sechstens auch das Potential für Klimaschutz deswegen, weil nun mehr Wertschöpfung in Ländern ohne Rechtsstaatlichkeit geschaffen würde. Diese Länder haben oftmals auch – nicht zuletzt aufgrund ihrer geringeren wirtschaftlichen Entwicklung – ein grundsätzliches geringeres Interesse an Klimaschutz. Anstatt dass der Klimaschutz in einem demokratischen Umfeld mit wirtschaftlichem Erfolg verbunden wäre, würde er unbedeutender werden und mit wirtschaftlichem Niedergang verbunden sein.

Damit sinkt siebtens auch der Innovationsdruck weltweit – hier würde er steigen, damit wir weiterhin Energie, Mobilität und Wärme zur Verfügung hätten. Aber dem Klima würden unsere Innovationen weniger nützen.
Vor diesem Hintergrund wäre es doch besser, wenn das Gericht der Klage nicht stattgeben würde – allein aus der Sorge um das Klima. Es ist auch fraglich, ob ein Gericht in einer Demokratie derart starke Eingriffe in die Eigentumsrechte privater Unternehmen vornehmen dürfte. Das klingt für einen juristischen Laien eher abenteuerlich.

Das heißt ja nicht, dass die Klimaschützer keinen Punkt hätten, wenn sie die Nutzung von Erdöl beschränken wollen. Ihr Ziel lässt sich aber viel eleganter und im Einklang mit einer rechtsstaatlichen Ordnung durch eine marktwirtschaftliche Klimapolitik, zum Beispiel die Definition vom Emissionsrechten und deren stetige Verknappung erreichen. Diese Politik wird am besten natürlich in globaler Abstimmung vorgenommen, aber Europa könnte sich ja im Rahmen seiner Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Klimaabkommen (oder etwas darüber hinaus) marktwirtschaftlich betätigen.

Diese Emissionsrechte sind auch Eigentumsrechte, die den Unternehmen bislang zumeist umsonst zur Verfügung standen. Nun werden sie knapper, deswegen werden sie teurer oder gar irgendwann unerschwinglich. Vermutlich würden sie und die damit verbunden Treibhausgasemissionen lange, bevor die erlaubten Emissionen auf Null reduziert würden, unwichtig. Denn bei extrem hohen Preisen würden innovative Unternehmen mit Sicherheit weitere und vor allem – im Vergleich zu heute – wesentlich preiswertere Alternativen zu fossilen Brennstoffen entwickelt.

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Mehr zum Thema: Die Umwelt- und Finanzpolitiker der Unionsfraktion bereiten eine konkrete Reform des Klimaschutzgesetzes vor. Jede durch fossile Energie verursachte Tonne CO2 soll deutlich teurer werden als bisher festgelegt.

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