Freytags-Frage
Parteitag der Grünen Quelle: dpa

Unterstützen die Grünen noch den Rechtsstaat?

Die Grünen haben die Gewalt der Besetzer des Hambacher Forstes nicht verurteilt. Die Partei entspricht damit nicht den eigenen moralischen Ansprüchen und stärkt die Feinde des Rechtstaates.

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Die Braunkohle hat ihre beste Zeit hinter sich und sollte eher schneller als langsamer durch regenerative Energien ersetzt werden. Diese Aussage ist breiter Konsens und wird vermutlich sogar von Energieversorgern geteilt. Nicht zuletzt deshalb gibt es klar formulierte und vertraglich vereinbarte wie auch gesetzlich geregelte Ausstiegspläne aus der Braunkohle (und anderen konventionellen Energieträgern).

Solche Pläne basieren in der Regel auf Kompromissen, die innerhalb von Koalitionsregierungen oder zwischen Regierungen und Unternehmen, Gewerkschaften und Teilen der Zivilgesellschaft geschlossen werden. Kompromisse haben die Eigenschaft, dass sich einzelne Auffassungen beziehungsweise Forderungen nicht hundertprozentig durchgesetzt haben.

So war es auch im Falle des Braunkohleabbaus in Nordrhein-Westfalen, speziell im Hambacher Forst. Die damalige rot-grüne Landesregierung hatte sich auf den Kompromiss geeinigt, dass dieses Stück Wald gerodet und in den Braunkohlabbau einbezogen werden sollte; gleichzeitig wurde das Ende des Abbaus und der Verstromung der Braunkohle avisiert. Umweltverbände waren nicht einverstanden, klagten und bekamen nicht Recht. Die Rodung des Waldes war durch Räumungsarbeiten schon vorbereitet worden und hatte bereits vor wenigen Tagen begonnen. Eine letzte Klage aber verhinderte diese Rodung am vergangenen Wochenende. Sie ist für zwei Jahre mindestens ausgesetzt.

Diese Abläufe wirken rechtmäßig und rational; alle Beteiligten nutzen den Rechtsweg, um ihre Position durchzusetzen. Man kann auch den Grünen nicht vorwerfen, es der jetzigen Landesregierung negativ auszulegen, den Kompromiss der rot-grünen Vorgängerregierung umzusetzen, also in gewisser Weise politischen Opportunismus zu betreiben. Das machen alle politischen Parteien so; zumeist reklamieren aktuelle Regierungen die Erfolge von politischen Maßnahmen ihrer Vorgänger für sich. Außerdem besteht immer die Chance dazuzulernen. Kurz gesagt: Die Haltung der Grünen zur Braunkohle ist absolut nachvollziehbar.
Allerdings gibt es einen Wermutstropfen, der auch die Rolle der Grünen ins Zwielicht rückt. In den vergangenen Jahren haben sogenannte Umwelt-Aktivisten im Hambacher Forst Baumhütten gebaut und bewohnt. Dies ist zunächst einmal nicht legal, war aber friedlich und wurde von RWE und der Landesregierung geduldet. Als der Rodungstermin näher rückte, wurden die Besatzer aufgefordert, den Wald zu räumen.

Wie leider zu erwarten war, geschah dies nicht. Vielmehr wurden die zur Räumung eingesetzten Mitarbeiter der RWE und Polizisten in recht feiger Weise mit Wurfgeschossen aller Art angegriffen. Die Gewalt eskalierte zwar nur geringfügig. Trotzdem kam ein Mensch – unter tragischen Umständen, aber ohne Einwirken der Polizei oder des Energieunternehmens – zu Tode, andere wurden verletzt. Insgesamt musste man den Eindruck haben, etlichen, aber sicher nicht sämtlichen Bewohnern des Waldes ging es nicht um die Umwelt, sondern darum, Terror zu verbreiten.

Natürlich war es die moralische Pflicht der Grünen, die illegalen Bewohner des Hambacher Forstes sofort in deutlichen Worten aufzufordern, die Gewalt einzustellen und die Rechtsdurchsetzung nicht länger zu behindern. Eine rechtsstaatbejahende und zudem recht moralisierend und pazifistisch auftretende Partei in einer Demokratie würde – so die Erwartung – auch dann für die Durchsetzung von Recht plädieren, wenn sie selber eine andere Auffassung zu dem Thema hat.

Dies geschah jedoch nicht, und es ist bis heute nicht geschehen – im Moment ist das Thema ja auch wieder von der Tagesordnung verschwunden. Verdruckst wurde den Fragen zur Gewalt ausgewichen beziehungsweise murmelnde Zustimmung dazu geäußert. Vereinzelt hört man Aussagen wie: „Wer Polizist wird, ist selber Schuld“ und ähnliches. Hier offenbart die Partei ein sehr eigentümliches Verhältnis zum Rechtsstaat. Offenbar gibt es für die Grünen „gute“ und „schlechte“ Gewalt. Während sie Gewalt von rechts völlig zurecht vehement ablehnen, drücken sie bei Gewalt von links oder „für die Umwelt“ mindestens ein Auge zu.

Das ist perfide und mit den regelmäßig artikulierten hohen moralischen Ansprüchen der Vertreter der Grünen nicht vereinbar. Von einer Partei, die in einigen Bundesländern regiert und in anderen wie auch im Bund Regierungsverantwortung anstrebt, darf man erwarten, dass sie ohne weitere Aufforderung das Gewaltmonopol des Staates verteidigt. Tut sie es nicht, legitimiert sie Gewalt auf den Straßen – und zwar nicht nur bei denjenigen, die ihre Haltung teilen, sondern auch bei ihren politischen Gegnern (wobei das für die Bewertung der Gewalt als solche keine Rolle spielt). Damit trägt die Partei zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei und stärkt die Feinde der Demokratie. Wollen die Grünen das wirklich?

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