3. Bieten die Hochschulen wirklich das an, was einerseits die Studenten und andererseits die zukünftigen Arbeitgeber oder Klienten benötigen? Um diese Frage zu beantworten, muss man zwei Dinge trennen, nämlich die Struktur der deutschen tertiären Ausbildung einerseits und die politischen Vorgaben andererseits.
In der Vergangenheit hat sich eine Struktur der Hochschulen herausgebildet, die sich an der Grenze zwischen der praktischen Ausbildung und einer eher theoretisch akademischen Bildung bewegte: Während die Fachhochschulen den theoretischen Überbau klein hielten und eine sehr gute und recht stark berufsbezogene Ausbildung anboten, verstanden sich Universitäten eher als Stätten des gemeinsamen Lernens und Forschens von Studenten und den Lehrenden. Der praktische Bezug wurde weniger betont. Diese Arbeitsteilung hat sich bewährt, weil so verschiedene Talente gefördert werden konnten. Das war zwar nicht egalitär, aber fair und effizient.
Die dritte Säule der tertiären Ausbildung bildete schon damals (und noch bedeutsamer als heute) die duale Ausbildung, die vor allem praktisch orientiert ist und sehr gute berufliche Perspektiven bietet. Diese dritte Säule scheint ein wenig unter die Räder gekommen zu sein.
Dies muss als Ergebnis eines politischen Willens, der vor allem die Ausweitung der Studienmöglichkeiten für breite Teile der Bevölkerung vorsah, betrachtet werden. Aufgeschreckt durch internationale Vergleiche und eine hysterische Reaktion auf eine „zu niedrige“ Studentenquote durch die OECD beschloss die Politik, dass ein höherer Anteil der Schulabgänger studieren müsste.
Nahezu gleichzeitig hat man dann noch beschlossen, ein deutsches Alleinstellungsmerkmal, das Diplomstudium, zugunsten eines international scheinbar kompatibleren Bachelor- und Masterstudiums aufzugeben.
Diese Pläne haben die Hochschulen doppelt gefordert. Man musste das Diplomstudium in ein zweigeteiltes Programm umwandeln, was nicht immer sachbezogen gelungen ist und zu einer andauernden und gleichermaßen überflüssigen Diskussion der Schuldfrage geführt hat. Außerdem müssen die Hochschulen deutlich mehr Studenten betreuen als zuvor. Dies hat zu einer Verschulung gerade der Bachelorprogramme eigetragen; es dürfte somit auch kein Zufall sein, dass gerade Bachelorstudenten den Stress als groß empfinden.
Daraus ergeben sich wiederum zweierlei Konsequenzen, denn nun müssen zum einen die Anforderungen nach unten angepasst werden, wozu vor allem die Universitäten (die vor allem im internationalen Wettbewerb stehen) nicht bereit sind. Außerdem sorgt die Zweiteiligkeit mit ihrer gestiegenen Durchlässigkeit zwischen den Universitäten und Fachhochschulen dafür, dass letztere versuchen, den Universitäten gleichgestellt zu werden, unabhängig davon, ob es der Sache dient oder nicht. Gleichzeitig müssen sich die Universitäten mit dem Anspruch auseinandersetzen, stärker praxisorientiert zu werden. Die gut austarierte Arbeitsteilung der Prä-Bologna-Zeit droht damit aufgelöst zu werden. Das heißt aber auch, dass Absolventen beider Hochschultypen sich annähern und dass die notwendige Unterscheidung von theoretischen und praktischen Kenntnissen nicht länger relevant ist.
Insgesamt scheint es mithin so zu sein, dass weder Nachfrager nach Bildung, also Schüler und Studenten, noch die Anbieter, also Lehrbetriebe und Hochschulen zufrieden sind. Vielmehr sind offenbar beide Seiten überfordert. Dieses Problem setzt sich in gewisser Weise auf dem Arbeitsmarkt fort, denn dort fehlen auf der einen Seite Facharbeiter, während es ein Überangebot an nur unzureichend Qualifizierten gibt. Indessen sind die Unternehmen mit den Hochschulabsolventen weiterhin recht zufrieden. Und dies liegt nicht daran, dass es ein Überangebot an Hochschulabsolventen gibt, denn Arbeitslosigkeit unter Akademikern ist laut Arbeitsagentur dauerhaft niedrig.
Dennoch ist die Situation nicht befriedigend. Unter diesen Bedingungen sollte die Politik handeln, allerdings vorsichtig. Drei Richtungen erscheinen vielversprechend, die allerdings nicht billig sind; mithilfe des hier mehrfach eingeforderten Subventionsabbaus können aber Mittel geschaffen werden:
Die Schulen müssen so ausgestattet werden, dass sämtliche Jugendliche im Prinzip ausbildungsfähig sind. Alles andere ist schlichtweg ein Skandal.
Die Hochschulen müssen ebenfalls besser ausgestattet werden, so dass die Betreuung intensiver werden kann und der empfundene Stress durch bessere Studienchancen verringert wird. Die Hochschulen müssen im Gegenzug ihre Programme entschlacken und wieder mehr selbständiges Lernen verlangen und ermöglichen. Der Ausbau der psychologischen Dienste dürfte nur Symptome kurieren.
Drittens muss mehr dafür getan werden, Ausbildungsberufe wieder attraktiver zu machen, um denjenigen, die sich mangels Alternativen zum Studium genötigt sehen, gute Alternativen anzubieten. Wenn die öffentliche Hand bereit ist, bessere Arbeitsbedingungen und Gehälter in den Pflegeberufen zu bieten, dürften gerade diese deutlich attraktiver werden. Vermutlich werden auch mehr gut qualifizierte Kräfte bei der Bundeswehr und der Polizei benötigt.
Die Lage am Bildungsmarkt ist nicht aussichtslos, aber auch nicht rosig. Die Politik hat zahlreiche Stellschrauben, hier Angebot und Nachfrage besser zusammenzubringen.