Freytags-Frage

Warum brauchen wir regelgebundene Wirtschaftspolitik?

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Vorteile der Regelbindung - und ihre Nachteile

Die Soziale Marktwirtschaft hat ihre allgemeine Akzeptanz und Legitimität nicht zuletzt durch die strenge Bindung aller Akteure – also auch des Staates – an Regeln gezogen. Diese Regelbindung hat mehrere Vorteile:

- Regeln verteilen die Verantwortlichkeiten klar: Für Geldpolitik ist – zumindest offiziell – allein die EZB zuständig, für Wettbewerbspolitik das Kartellamt, für die Lohnfindung haben die Tarifpartner die Verantwortung. Das schafft Klarheit und Vertrauen.

- Regeln schützen vor dem Einfluss von organisierten Interessen. Ein Beispiel dafür sind die Welthandelsregeln, die von Regierungen immer wieder herangezogen worden sind, um Protektionswünsche von Industrien abzuwehren.

- Regeln erleichtern den Regierungen die Arbeit, weil man – sofern die Regeln zielführend sind – standardisierte Lösungen für Probleme hat. Nur bei völlig neuen Situationen helfen die Regeln dann nicht. Diese Neuartigkeit ist aber die Ausnahme.

- Regeln erlauben den Regierungen, ihre Politikmaßnahmen vom Wahlzyklus zu entkoppeln, ohne für kurzfristige Kosten sofort verantwortlich gemacht zu werden. Man darf unter den Regeln des Welthandels auf den Strukturwandel eben nicht mit neuen Zöllen oder anderen Maßnahmen reagieren. Kurzfristig kostet das eventuell Arbeitsplätze, weil im Strukturwandel die neuen Arbeitsplätze erst entstehen müssen. Mit Protektionsmaßnahmen werden diese unterdrückt, langfristig stellt sich die Region schlechter. Dies kann mithilfe der Regeln auch dem Wahlvolk vermittelt werden.

- Regeln und deren Durchsetzung sind für langfristig orientierte Investoren von Bedeutung, weil viele Investitionen auf Jahrzehnte geplant sind, gerade im Wohnungsbau und in der Energieversorgung.

Regeln haben zwei Nachteile, die nicht verschwiegen werden dürfen:

- Sie stehen gelegentlich unter Änderungsdruck, weil sich die Umstände ändern. Das heißt, sie dürfen nicht starr und unflexibel sein, müssen aber gleichzeitig verhaltenssteuernd bleiben.

- Zweitens nehmen sie den politischen Entscheidungsträgern die Möglichkeit zur Gestaltung und damit auch die Chance, diskretionär auf neue Nachrichten zu reagieren oder ideologisch beziehungsweise politisch gewollte Umverteilungen zu betreiben. Das macht Regeln tendenziell immer angreifbar. Je stärker der Einfluss von Interessengruppen, desto stärker der Regelbruch; insofern kommt die Entwicklung in Europa nicht völlig überraschend.

Nicht zuletzt aus diesem Grund ist zum Beispiel das Wettbewerbsrecht etwas flexibel, indem nämlich dem Minister die Erlaubnis von Fusionen, die aus wettbewerbspolitischen Gründen abgelehnt werden, aus übergeordneten Gründen ermöglicht wird.

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