Freytags-Frage
ARCHIV - ILLUSTRATION - Euro-Münzen sind am 13.01.2010 in Köln (Nordrhein-Westfalen) gestapelt. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gehen den Schuldenabbau nach Einschätzung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW/Köln) nicht entschlossen genug an. Die beiden von SPD und Grünen regierten Länder versäumten es, konkrete Sparmaßnahmen zu benennen, um die Schuldenregel zu erfüllen, heißt es in dem «Konsolidierungs-Check» des IW im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Foto: Oliver Berg/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Warum bekommt die Marktwirtschaft so viel Gegenwind?

Die Soziale Marktwirtschaft wird immer kritischer betrachtet. Politik und Gesellschaft müssen sie verteidigen, denn es gibt keine bessere Alternative.

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In der öffentlichen Debatte über wirtschaftliche Zusammenhänge drückt sich seit langem sehr viel Misstrauen gegenüber der Marktwirtschaft aus. Vor etwa einem Jahr wurde in einer Umfrage des Allensbach-Instituts eine breite Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft und der Demokratie deutlich. Während im Westen der Republik immerhin noch die Hälfte der Bürger kein besseres Wirtschaftssystem als die Marktwirtschaft kennt, sind es im Osten nur noch 30 Prozent.

Diese kritische Distanz ist keineswegs neu – immer wieder gab es Phasen, in denen die Bevölkerung an der Marktwirtschaft (ver-)zweifelte. Neu ist die politische Lethargie in der sogenannten bürgerlichen Mitte, die zur Zeit völlig regungslos die Angriffe auf die marktwirtschaftliche Ordnung hinnimmt und getrieben von den Populisten links und rechts wirkt. Nicht wenige Unternehmer und Manager äußern sich kritisch zur Marktwirtschaft. Sie entschuldigen sich geradezu für ihre Existenz. Gleichzeitig erniedrigen sich gerade die Top-Manager der großen Unternehmen im Umgang mit Despoten wie der chinesischen oder russischen Führung.

In der Politik scheint der Kompass für die Marktwirtschaft ebenfalls verloren gegangen zu sein. Insgesamt hat die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel, obwohl deren Verständnis für ökonomische Fragen überragend ist, die Wirtschaftspolitik vernachlässigt. Offenbar waren die Wahlerfolge höher, wenn kurzfristig orientierte Sozialpolitik langfristig sinnvoller Politik vorgezogen wurde – man denke nur an die Rentenpolitik. Aber auch die Wirtschaftspolitik hat sich verschoben: Bundeswirtschaftsminister Altmaier legte zum Beispiel eine Industriestrategie voller planwirtschaftlicher Elemente vor. Mit dem Klimaplan verweigert sich die Koalition auf geradezu groteske Weise einer marktwirtschaftlichen Strategie, mit deren Hilfe sektorale Feinsteuerung unterbleiben könnte, ohne das Ziel der Emissionsreduktion zu gefährden. Interessanterweise sprechen die Grünen fast noch am meisten von ihrer Version der Marktwirtschaft, einer öko-sozialen Marktwirtschaft.

von Benedikt Becker, Simon Book, Sven Böll, Max Haerder, Cordula Tutt

Hört man aufmerksam der politischen Linken in Deutschland zu, verstärkt sich dieser Eindruck. Die Linkspartei wie auch linke Kreise der Sozialdemokraten (SPD) haben zum Beispiel das Desaster der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen eifrig dazu genutzt, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Auf der einen Seite versuchen sie, zustimmende Aussagen zur Marktwirtschaft als besonders rechtsextrem zu brandmarken. Dies nutzt dann vor allem der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD); in dieser Situation kann ihr eine marktwirtschaftliche Positionierung sicher helfen, die bürgerliche Mitte zu kapern. Hier könnte die extreme Rechte sogar gut mit der extremen Linken zusammenarbeiten.

Auf der anderen Seite kann eine solche Verschiebung dazu beitragen, dass mehr Menschen nun davon überzeugt sind, dass sozialistische Ideen ihre Lage verbessern. Die Diskussion um die Wohnungswirtschaft und mögliche Verstaatlichung privaten Wohneigentums (möglichst ohne Kompensation) zeigt eine deutliche Verschiebung der Positionen. Gerade in Berlin, wo der Senat alles dafür zu tun scheint, den Wohnungsmarkt funktionsunfähig zu machen, um dann umso lauter nach Verstaatlichung rufen zu können, sieht man, wie die Entwicklung laufen könnte.

Man sieht in Berlin aber auch, dass die Debatte nicht im Interesse der Menschen geführt wird. Es wird bereits jetzt deutlich, dass der Mietendeckel weniger denjenigen nützt, die bezahlbaren Wohnraum wirklich brauchen, als denjenigen, die nun große und teure Wohnungen zum Spottpreis erhalten könnten – wenn der Mietendeckel sich als verfassungskonform erweist. Investitionen in Berlin werden gerade zurückgestellt, selbst Reparaturen werden offenbar teilweise nicht mehr durchgeführt. Das alles hilft nicht den Menschen, kann aber die Marktwirtschaft weiter diskreditieren.

Selbst einschlägige politische Stiftungen formulieren ihre Haltung zur Marktwirtschaft inzwischen so vage, dass man glauben könnte, sie würden sich schon auf die Zeit nach der Marktwirtschaft vorbereiten. In der Wissenschaft rufen einzelne Fachkollegen nach staatlichen Ausgabeprogrammen, zum Beispiel einem etwa eine halbe Billion Euro schweren Deutschlandfonds, ohne die politische Ökonomik solcher Programme in den Blick zu nehmen.

Was der Diskussion fehlt, ist hingegen eine Wissensbasis über die Funktionsweise der Marktwirtschaft. Viel zu wenige Bürger verstehen Märkte und begreifen, dass viele Probleme des modernen Kapitalismus in Deutschland – aber auch anderswo – hausgemacht sind. Es liegt Staatsversagen in dem Sinne vor, dass die Regierungen Marktmacht – gerade im digitalen Sektor – zu wenig beschränken und den riskanten Wetten mancher Finanzmarkteure zu wenig entgegenzusetzen haben. Diese Probleme lassen sich nicht mit Verstaatlichung lösen, denn dieselben Politiker, die private Akteure nicht in ihrem Fehlverhalten kontrollieren, werden bei staatlichen Akteuren nicht besser handeln.

Hinzu kommt, dass Menschen regelmäßig den Fehler machen, eine zweit- oder drittbeste Realität (Marktwirtschaft 2020) mit einer erstbesten Alternative (dem idealen Sozialismus mit wohlmeinenden Politikern) zu vergleichen. Besser wäre es, auch bei der Alternative die Fehler bereits einzukalkulieren. Dann sieht das Bild anders aus: In Berlin geht es nicht darum, den fehlerbehafteten Wohnungsmarkt mit einem sozialistischen Paradies mit großen Wohnungen für alle zum Preis von 3,50 Euro pro Quadratmeter zu vergleichen. Richtig ist der Vergleich der unvollkommenen Privatwirtschaft mit einer völlig überforderten Berliner Verwaltung, die auf einmal einige Millionen Kunden hätte – und sie vermutlich als Antragsteller und Störenfriede behandeln würde. Ein Chaos wäre vorprogrammiert.

Vielleicht geht es den Deutschen auch einfach zu gut – sie können unter Umständen nicht mehr erkennen, welche Anstrengungen nötig sind, unseren Wohlstand zu erzielen. Wenn man keine echten Probleme mehr zu lösen hat, sucht man sich Scheinprobleme oder wird unzufrieden. Das ist riskant.

Denn bisher hat noch jedes sozialistische Experiment Elend und Diktatur erzeugt – es spricht viel dafür, dass es beim nächsten Mal nicht besser ist. Denn die Kapazität der Informationsverarbeitung ist in der Zentralverwaltungswirtschaft deutlich kleiner als in der Marktwirtschaft. Es ist das Grundproblem staatlicher Akteure, die dezentral vorhandene Information aller Marktteilnehmer nicht zentral verarbeiten zu können – dies können dezentrale Akteure einfach besser. Insofern hat das Überleben der marktwirtschaftlichen Ordnung zunächst keine moralische Dimension, sondern ist einfach eine Frage des Wohlstandes. Das moralische Problem folgt dann, wenn Sozialisten das Land armregiert haben und die Konsequenz der Abwahl fürchten – dann müssen sie die Demokratie aushebeln.

Auch deswegen spricht alles dafür, die Marktwirtschaft zu verteidigen. Gerade die Parteien der Mitte, aber auch die politische Linke und die Grünen sollten sich darüber im Klaren sein, dass die vielen wohlfeilen Ziele sozialer und ökologischer Natur nur zu erreichen sind, wenn wir weiterhin einen hohen Wohlstand aufweisen. Richtig ist, dass dieser Wohlstand fair verteilt werden sollte – dafür muss es eine funktionsfähige Soziale Marktwirtschaft geben.

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