Freytags-Frage

Warum geht es der SPD so schlecht?

Die SPD verliert, die AfD gewinnt – seit Monaten  ist das der Trend. Doch nicht nur die Rechtspopulisten spielen mit der Angst der Menschen – auch die Sozialdemokraten, was ihnen nun zum Verhängnis wird.

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Sigmar Gabriel. Quelle: dpa

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) verliert immer weiter an Zustimmung und Wählergunst. Zuletzt lag die SPD in Umfragen nur noch bei 20 Prozent und damit nicht mehr weit vor den traditionell eher kleineren Grünen und der Alternative für Deutschland (AfD), dem Krisengewinner. In der Tat ist es eine gruselige Vorstellung, dass die SPD, die Staatsmänner wie Kurt Schumacher, Willy Brandt oder Helmut Schmidt hervorgebracht hat, verschwindet und durch die AfD mit solchen Kalibern wie Alexander Gaulandt, Björn Höcke oder Beatrix von Storch ersetzt wird.

Dabei scheint es nicht so zu sein, dass die AfD am Niedergang der Sozialdemokraten irgendeinen Anteil hätten; wohl eher umgekehrt trägt die Schwäche der Volksparteien dazu bei, dass diejenigen, die mit der Angst spielen, soviel Erfolg haben. Und das führt zum Stichwort Angst. Auch die SPD des Jahres 2016 versprüht wenig Aufbruchsstimmung und versucht vor allem, auf Ängste zu reagieren: Mitpreisbremse, Rentenerhöhungen, Anti-Globalisierungsrhetorik sind gerade nicht darauf gerichtet, die Menschen in ihren Anpassungskräften und ihrer Selbstbestimmung zu fördern.

Dabei liest sich doch die Geschichte der Sozialdemokratie gerade als eine Geschichte der Stärkung der Schwächsten innerhalb der Gesellschaft und keineswegs nur als die eines Schutzpatrons, der die Menschen vor Veränderung bewahren will. Was verbindet sich mit der SPD?

Die SPD-Führung

  • Schutz der Schwachen vor Ausbeutung, z.B. durch eine Arbeitsgesetzgebung mit Kündigungsschutz und Mitbestimmung sowie durch umfassende Krankenversicherung

  • Verbesserung der Bildung in allen Schichten der Bevölkerung durch umfassenden Zugang zu betrieblicher und universitärer Ausbildung
  • Soziale Begleitung (aber nicht Verhinderung!) des Strukturwandels
  • Modernisierung der Gesellschaft, insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren

Wenn man es etwas idealisiert zusammenfasst, so steht die Sozialdemokratie für die Förderung sozialer Gerechtigkeit in einer sich wandelnden Gesellschaft. Dies impliziert aber nicht, dass alle am Ende das Gleiche besitzen müssen und auch sonst gleich denken und leben müssen; dafür stehen eigentlich andere.

Leider scheint die SPD das hinter ihrer Agenda stehende Bild des selbstbestimmten Menschen aufgegeben zu haben. Menschen werden offenbar zunehmend als Opfer angesehen (die Täter sind zumeist anonym: das Großkapital, die USA, die Banken). Dieses Bild ist schief, denn Menschen sind in ihrer überwältigenden Mehrheit in der Lage, ihr Leben zu meistern – zumindest in ihrem unmittelbaren Umfeld. Was die globalen Entwicklungen angeht, so scheinen die Sorgen zuzunehmen und viele glauben überfordert zu sein.

An dieser Stelle haken all diejenigen ein, die mit leichten Lösungen punkten wollen. Ihre Botschaften suggerieren, dass man mit Isolation und Protektionismus alles Übel aus Deutschland heraushalten kann:

- Ohne Flüchtlinge gäbe es mehr Jobs für Deutsche (dafür gibt es bislang keine Belege) und weniger Kriminalität

- Ohne TTIP blieben unsere Standards hoch, mit TTIP wären wir stark gesundheitsgefährdet (für beides gibt es keinen Beleg)

Einschränkungen der Vertragsfreiheit

Leider macht die SPD da mit. Durch immer weitere Einschränkungen der Vertragsfreiheit versucht sie, vermeintlich Schwächere zu schützen:

  • Die Mietpreisbremse soll Mieter vor Wucher schützen; die Mieten steigen aber ohnehin nur in den Ballungsräumen, also dort, wo das viele Geld der EZB hinfließt.
  • Die Zeitarbeit soll stark eingeschränkt werden, obwohl sie nachweislich gerade Langzeitarbeitslosen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt erleichtert.

  • Die heutigen Rentner werden massiv auf Kosten zukünftiger Generationen protegiert, als ob die Jungen Schuld daran wären, dass sie so wenige sind. Auch hier wird ein verzerrtes Bild vom schwachen Rentner gezeichnet.

Auf diese Weise konkurriert die SPD auf unglückliche Weise mit den anderen Parteien, die auf Angst setzen und sich als Lordsiegelbewahrer des Stillstandes zu profilieren versuchen, insbesondere mit der Linkspartei und der AfD. Offenbar sind die dabei aber glaubwürdiger und können die Ängstlichen besser für sich gewinnen.

Deshalb sollte man sich im Willy-Brandt-Haus vielleicht einmal Gedanken machen, wie man den Optimismus und die Gestaltungskraft der Menschen wieder unterstützt und sich selber als die Partei präsentieren, die den Menschen Stärkung bei der Bewältigung des globalisierungsbedingten Strukturwandels anbietet. Die Globalisierung ist nicht zu verhindern. Die SPD sollte sich fragen, ob es überhaupt im Interesse der Deutschen und insbesondere der deutschen Beschäftigten liegt, die Globalisierung einzuschränken. Bislang konnte gerade der deutsche Mittelstand daraus den größten Nutzen ziehen.

Ein Thema, bei dem sozialdemokratische Expertise wichtig wäre, ist zum Beispiel Fairness in der Arbeitswelt: Wie kann die Dienstleistungsgesellschaft gestärkt werden, so dass die dort Beschäftigen faire Löhne erhalten, ohne dass in die Märkte eingegriffen wird. Welche Rolle spielte das lebenslange Lernen? Ist soziale Gerechtigkeit ausschließlich eine Frage der Einkommens- oder Vermögensverteilung?

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Bildungspolitik: Warum verlassen nahezu 10 Prozent der Schüler die Schule ohne Abschluss? Ist es richtig, das duale Ausbildungssystem gegenüber dem Studium so zu benachteiligen, wie es gerade passiert? Und schließlich scheint es so zu sein, dass die enorme Unkenntnis der Deutschen über ökonomische Zusammenhänge die Ängste erst erzeugt oder zumindest verstärkt. Sozialdemokratisch geprägte Institutionen wie die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen oder die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) haben immer großen Wert darauf gelegt, die Schüler gerade nicht volkswirtschaftlich zu bilden (weil man keine Neoliberalen heranzüchten will, so die schwachsinnige Begründung).

Könnte es ein, dass eine ungebildete Bevölkerung sich von den Sozialdemokraten abwendet und den tumben Rattenfängern von links oder rechts auf den Leim geht?

Es wird Zeit, dass die SPD wieder aufhört, mit Ängsten zu spielen; das können die anderen besser. Sie sollte wieder modern werden und den gesellschaftlichen und technischen Fortschritt aktiv mitgestalten. Dazu gehört es, die Offenheit der Gesellschaft nicht nur als moralischen Imperativ vor sich herzutragen, sondern sie in jeder Hinsicht, also sowohl humanitär als auch wirtschaftlich, zu leben.

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