Freytags-Frage
Quelle: dpa

Warum ist der Preismechanismus so wichtig?

Preise zeigen Veränderungen bei Knappheiten oder Präferenzen an, der Staat sollten sie deshalb nicht antasten. Das ist mit Blick auf die explodierenden Strompreise aktuell nicht einfach – und dennoch wichtig.

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Es ist eine banale, aber praktisch bedeutsame Erkenntnis, dass Preise in einer Gesellschaft eine wichtige Funktion erfüllen. Sie signalisieren Knappheiten und sorgen (mit) dafür, dass Ressourcen und Arbeitszeit in die von der Gesellschaft am höchsten bewerteten Verwendungen fließen. Dabei werden auf Märkten die in den Preisen dezentral verteilte Informationen verarbeitet, und zwar viel besser, als dies einer zentralen Planungsbehörde rein technisch möglich wäre. Veränderte Preise zeigen entsprechend veränderte Knappheiten oder veränderte Präferenzen an.

Sofern keine Externalitäten oder andere Formen des Marktversagens vorliegen und keine überragenden politischen Gründe dagegen sprechen, sollten Regierungen die Preisbildung unangetastet lassen. Vielmehr sollten sie die Preisbildung organisatorisch dadurch unterstützen, dass eine funktionierende Rechtsordnung Märkte stabil hält und Verträge durchsetzbar macht.

Dies durchzuhalten, ist politisch nicht immer leicht. Die seit einem halben Jahr kräftig steigenden Energiepreise führen zu lautstarken Protesten und bisweilen zu echter Verzweiflung. Denn für viele Menschen ist eine solche Preissteigerung mit enormen Härten verbunden und führt zu ernsthaften finanziellen Problemen. Vor diesem Hintergrund besteht zurecht ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass die Bundesregierung den Betroffenen unter allen Umständen helfen sollte. Dies kann durch gezielte Förderung dieser Gruppe oder durch einen Eingriff in die Preise mit dem Ziel, Höchstpreise zu setzen, geschehen. Das gegenwärtige Problem ist also nicht das „Was“, sondern das „Wie“.

von Sonja Álvarez, Daniel Goffart, Florian Güßgen, Max Haerder

Das bringt uns zurück zur Rolle von Preisen. Viele Verbände und Organisationen verlangen Preisdeckel beziehungsweise Preisbremsen, um die Belastungen zu reduzieren. Die Bundesregierung hat mit den nun auslaufenden Maßnahmen des 9-Euro-Tickets und des Tankrabatts bisher weitgehend danach gerichtet. In beiden Fällen kann man von lehrbuchgemäßen Reaktionen sprechen. Die Nachfrage wurde ausgedehnt, und das Angebot blieb unverändert, zumindest bei der Bahn, was zu überfüllten Zügen führte.

Die Mineralölkonzerne sahen sich zudem nicht veranlasst, den Tankrabatt an die Kunden weiterzugeben. Sie strichen satte Gewinne ein, was zur Forderung nach der nächsten Intervention in die Märkte führte. Nun sollen diese Gewinne mit einer Übergewinnsteuer abgeschöpft werden. Besser wäre es, wenn es dem Bundeskartellamt endlich gelingen würde, das kartellartige Verhalten der Konzerne zu unterbinden. Da es schwerfällt, abgestimmtes Verhalten nachzuweisen, bleibt der Frust hoch.

Preisbildung am Strommarkt erfolgt nach Merit-Order-Prinzip

Auch auf dem Strommarkt an der Leipziger Strombörse soll nun reagiert werden. Dort wird die Preisbildung (für den Produzentenpreis, nicht den Endpreis) nach dem sogenannten Merit-Order-Prinzip durchgeführt: Zuerst wird der billigste Strom verkauft, bevor immer teurere Anbieter zum Zuge kommen, bis die gesamte Nachfrage bedient worden ist. Der Preis wird durch den teuersten Anbieter bestimmt; er gilt für alle Anbieter. Wer günstig Strom produziert, macht die höchsten Gewinne. In der Ökonomik spricht man von der Grenzkostenpreisbildung, die auf den meisten Märkten zur Anwendung kommt.

Der Strompreis für Futures, also in Zukunft produzierten Strom, stieg in den letzten Wochen auf bis zu 1.000 Euro pro Megawattstunde. Das ist etwa das 25-fache des Durchschnittspreises der letzten Jahre. Von Dienstag auf Mittwoch dieser Woche sank der Preis dann um die Hälfte auf 500 Euro pro Megawattstunde. Diese Preissteigerungen sind erstens durch die Steigerung des Gaspreises und zweitens durch allgemeine Stromknappheit in Europa (wegen Probleme in den französischen Strommeilern und ausbleibender Wasserkraft) bedingt.

Die Europäische Kommission und einige andere politische Akteure – wie auch die oben genannten Verbände, so der Zentralverband des deutschen Handwerks – fordern nun einen effektiven Preisstopp oder eine Separierung der Strommärkte, das heißt es wird eine angebotsspezifische Preisdifferenzierung betrieben.

Beide Instrumente sind problematisch. Der allgemeine Preisstopp müsste aus Steuermitteln finanziert werden. Diese Lösung setzt ähnliche Anreize frei wie der Tankrabatt – die Produzenten erhöhen die formellen Kosten, z.B. durch bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Gehälter, und damit letztlich die Produzentenpreise. So schöpfen sie dieses Geschenk ab. Somit ist das keine gute Idee.

Wie sieht es bei der Preisdiskriminierung aus? Die Anbieter bekommen den Preis, zu dem sie den Strom an der Börse anbieten. Strom aus Gaskraftwerken würde dann das Mehrfache des Stroms aus Windkraftanlagen kosten. Auf diese Weise würde die Produzentenrente der günstigen Stromanbieter direkt an die Kunden umverteilt.



Das sieht zunächst nach einer fairen Lösung aus. Die Preise spiegeln die Kosten wider, alle Kunden zahlen den verursachergerechten Preis. Die Kunden erneuerbarer Energien würden für ihr ökologisch vorbildliches Verhalten belohnt. Diejenigen, deren Stromanbieter Gaskraftwerke nutzt, würden dann als einzige mehr zahlen.

Beim zweiten Hinsehen zeigen sich einige deutliche Probleme. Erstens haben die Stromkunden regelmäßig keinen Einfluss auf die Wahl des Energieträgers ihres Stromanbieters. Die Preisbildung erscheint nun etwas fairer, weil die Preisdiskriminierung die Produzentenrente umverteilt, keineswegs sozial treffsicher. Dieses Problem löst sich mit Preisdiskriminierung nicht automatisch.

Nicht viel spricht dafür, direkt in den Preismechanismus einzugreifen

Überdies ist auch die Frage nach der Fairness nicht zweifelsfrei beantwortet. Denn warum ist es grundsätzlich fair, wenn Produzenten verlieren und Kunden gewinnen? Die Eigentümer von Unternehmen sind auch Menschen mit Rechten. Sie zugunsten anderer Menschen auszubeuten, wirkt nicht fair. Als Konsequenz daraus könnten die Stromanbieter zudem die Preise an der Strombörse erhöhen. Das bedeutet, dass der Korridor für die Preisbildung enger wird – und der Staat müsste diese Preisbildung stärker kontrollieren, damit die Anbieter die „wahren“ Kosten angeben. Dies ist viel Aufwand und führt zu einer Interventionsspirale. 

Dagegen sprechen auch klimapolitische Überlegungen. Das Merit-Order-Prinzip sorgt dafür, dass Stromanbieter auf die günstigen Technologien umsteigen, eben vom Gas auf die Erneuerbaren, um einen hohen Gewinn zu erzielen. Der Anreiz geht in Richtung Kilmaschutz, das ist sinnvoll und gewollt. Und es ist das oben bereits erwähnte gesellschaftlich erwünschte Ergebnis des Preismechanismus.

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Fasst man das alles zusammen, so spricht nicht viel dafür, direkt in den Preismechanismus einzugreifen. Sozial gerechter, effizienter und ökologisch effektiver ist es, den Preismechanismus wirken zu lassen – das heißt die Anreize hoher Preise für Anbieter und Nachfrager zu technischem Fortschritt zu nutzen – und durch gezielte Ausgleichszahlungen an die am stärksten betroffenen und ärmsten Haushalte die sozialen Härten abzufedern. Für die Unternehmen wie zum Beispiel Handwerksbetriebe, deren Stromkosten stark gestiegen sind und so die Gewinn- und Verlustrechnung verhageln, bieten sich großzügige, mehrjährige Regeln zum Verlustvortrag und -nachtrag. So kann man auch ohne direkten Eingriff in die Preisbildung die negativen Konsequenzen abrupt und nicht durch diese Gesellschaft verursachten Preiserhöhungen einigermaßen abmildern. Die Preise können weiterhin ihre gesellschaftliche Funktion erfüllen.

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