Freytags-Frage
Angela Merkel und Annalena Baerbock im Gespräch bei einer Sitzung des Bundestages. Quelle: dpa

Warum machen die Grünen so wenig aus ihren Möglichkeiten?

Die Grünen nutzen ihr Potential nicht aus. Chancen zu mehr und preiswerterem Umweltschutz und umweltfreundlichen Innovationen wurden immer wieder ignoriert. Zu oft wurden Ökologie und Ökonomie in Gegensatz gestellt.

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Die Grünen feiern ihr vierzigjähriges Jubiläum. Die Partei hat das Thema Ökologie prominent auf der Agenda platziert und immer erfolgreich daran erinnert, dass es nur einen Planeten gibt. In der bislang einzigen Phase der Regierungsbeteiligung (Rot-Grün 1998 bis 2005) haben die Grünen den erneuerbaren Energien zum Durchbruch verholfen.

So weit, so gut. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass die Grünen – anders, als sie gerne behaupten – die Umweltpolitik in Deutschland nicht erfunden haben. Es gibt Vorläufer, zum Beispiel das Bundesumweltprogramm, das 1971 unter dem liberalen Innenminister Hans-Dietrich Genscher entstand. Noch weiter zurück reicht die praktische Umweltpolitik in Deutschland. Bereits 1913 gab es im Ruhrgebiet mit der Gründung des Ruhrverbandes die ersten Versuche, als die Wasserqualität der Ruhr und Emscher infolge der Industrialisierung immer schlechter geworden war. Allerdings war die Priorität der Umwelt in den Jahren des Aufstieges wie auch in den Jahren des Wiederaufstieges nach 1945 bei den Bürgern eher gering gesetzt. Das Umweltbewusstsein stieg erst mit steigendem Wohlstand.

Insofern war es konsequent, dass sich in den Siebzigerjahren immer mehr Menschen für die Umwelt interessierten und 1980 die Partei „Die Grünen“ gründeten. Heute heißt die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“, weil die Grünen selbst 1990 den Einzug in den Bundestag verfehlten und nur über die Zusammenarbeit mit Bündnis 90 dort vertreten waren. Heute wie in den Gründertagen sind die meisten Mitglieder (und vermutlich auch Wähler) dem relativ wohlhabenden Bürgertum zuzurechnen – wie gesagt, das Umweltbewusstsein steigt mit dem Einkommen.

Trotz aller Erfolge der Grünen und ihrer aktuellen Beliebtheit in Umfragen ist eine kritische Betrachtung notwendig. Denn die Grünen haben ihr Potential nicht ansatzweise ausgenutzt. Die Chancen zu mehr und preiswerterem Umweltschutz und umweltfreundlichen Innovationen wurden oftmals ignoriert.

Das liegt daran, dass die Partei nicht nur daran interessiert war, die Umweltqualität zu sichern beziehungsweise wo nötig wiederherzustellen. Sie hat ihre ökologische Position regelmäßig mit der Vorstellung verbunden, dass Ökologie und Ökonomie zueinander im Gegensatz stünden. Dies ist spätestens seit der Arbeit von Ronald Coase mit dem Titel „The Problem of Social Cost“ aus dem Jahre 1960, aber eigentlich schon seit dem Werk von Arthur Pigou zur Wohlfahrtstheorie in den 1920er Jahren eine überholte Position – sowohl theoretisch als auch empirisch.

Die Weigerung oder Unfähigkeit (?), diesen Zusammenhang anzuerkennen, hat erstens bei den Grünen selbst immer wieder wenig durchdachte Politikvorschläge oder wie im Falle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes schlechte, weil teure und zumindest langfristig ineffektive Politik hervorgebracht. Zwar haben immer wieder einzelne Grüne auf das Potential wirtschaftlicher Anreize für die Umweltqualität verwiesen, sie konnten aber selten durchdringen. Insgesamt haben die Grünen die Umweltprobleme regelmäßig zu konfrontativ und am Bürger vorbei adressiert – gelegentlich gar am Rande der Hysterie.

Zweitens hat diese Ablehnung der marktwirtschaftlichen Instrumente und die damit verbundene Vorliebe für Besserwisserei, Vorschriften und Verbote bei Kritikern der Umweltpolitik eine zum Teil fundamentale Opposition gegen jedwede Umweltpolitik erzeugt.

Insgesamt spaltet das Thema Umweltpolitik, insbesondere der relevante Teilbereich Klimapolitik, die Bevölkerung. Selbst Menschen, die sich für die Umwelt einsetzen, fühlen sich abgeschreckt. Es entsteht der völlig falsche Eindruck, es ginge entweder um die Umwelt oder den Wohlstand.

Das leitet über zur Frage: Was hätten die Grünen alles erreichen können?

Man stelle sich vor, die Grünen hätten bereits in der Gründungsphase die Bepreisung der Umweltnutzung vorgeschlagen und beworben. Natürlich wäre der Widerstand aus der Wirtschaft gegen zusätzliche Kosten deswegen ebenfalls spürbar gewesen; aber man hätte der Kritik mit dem Hinweis darauf begegnen können, dass eben für jede Leistung gezahlt werden muss. Zusätzlich hätten die Grünen natürliche Verbündete in den einschlägigen Wirtschaftsforschungsinstituten und in wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten gefunden, wo die umweltpolitischen Probleme gerade in den Siebziger- und Achtzigerjahren sehr intensiv beforscht wurden.

Mit marktwirtschaftlichen Lösungen hätte man zudem moderat beginnen und die Preise für die Umweltnutzung langsam erhöhen oder entsprechende Höchstausstoßmengen langsam verringern können. Das wäre kaum spürbar gewesen; die Bürger wie die Unternehmen hätten aber ein Gefühl dafür bekommen, dass man die vollen Kosten einer Leistung zu zahlen hat – also auch die Umweltkosten. Umweltfreundliche Produktion und Konsum wären auf diese Weise früh belohnt worden.

Wahrscheinlich wäre das Verständnis für und die Zustimmung zur Notwendigkeit einer umfassenden und zielführenden Umweltpolitik in der Bevölkerung deutlich höher als gegenwärtig. Auch wären die jungen Umweltaktivisten wie zum Beispiel die „Fridays for Future"-Bewegung vermutlich nicht so radikal. Gerade die Ablehnung der Marktwirtschaft durch diese Gruppen ist problematisch. Setzen sie sich damit durch, wäre weder der Umwelt geholfen, noch könnte der Wohlstand gehalten werden. Ob die Demokratie das überleben würde, ist höchst zweifelhaft. Anders gewendet: Wenn die Grünen von Anfang an logisch argumentiert hätten, ginge es vielleicht nicht nur der Umwelt besser, sondern Deutschland wäre wohl zugleich auch wohlhabender.

Die Grünen haben somit eine echte Chance ungenutzt gelassen. Allerdings ist das letzte Wort noch nicht gesprochen – auch eine vierzigjährige Partei kann noch lernen. In diesem Sinne kann man den Grünen nur wünschen, dass sie sich vom naiven Wunschdenken verabschieden und sich die Kraft ökonomischer Anreize für die Verbesserung der Umweltqualität und des Klimas vor Augen führen. Viele Ökonomen wären bereit, ihnen dabei zu helfen!

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