Freytags-Frage

Warum sind die Menschen so pessimistisch?

Der Menschheit geht es mit jeder Generation besser. Dennoch überwiegt zum Jahresbeginn der Pessimismus. Fünf Gründe, warum wir die Lage nicht besser einschätzen und wie wir das ändern können. Eine Kolumne.

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Regentropfen vor einer deutschen Nationalflagge Quelle: dpa

Zu Beginn des Jahres 2016 äußern sich zahlreiche Deutsche relativ pessimistisch mit Blick auf die Zukunft. Sie fürchten den Terrorismus, sie blicken zum Teil skeptisch auf die Flüchtlingsströme, sie sind nicht sehr optimistisch mit Blick auf die europäische Integration, und sie zeigen einen ausgeprägten Entwicklungspessimismus. Sie sehen vielfach Ungerechtigkeiten, obwohl die Daten es gar nicht hergeben, und haben Abstiegsängste.

Dabei gibt es eigentlich überwiegend gute Nachrichten. In Deutschland erleben wir gerade eine sehr gute Wirtschaftslage, einen extrem hohen Beschäftigungsstand und geringe Inflation.

Außerhalb Deutschlands, z.B. in den Entwicklungs- und Schwellenländern sinkt die Kindersterblichkeit, steigt die Rate der Kinder, die zur Schule gehen, sinkt der Anteil derjenigen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze leben (um nur einiges zu nennen). In allen Fällen sind die Werte auf einem Rekordniveau, jeweils positiv für die erfreulichen und negativ für die unerfreulichen Tatbestände, ohne dass deshalb Entwarnung gegeben werden kann. Dennoch überwiegen die positiven Nachrichten.

Die sieben größten Ängste der Deutschen

Warum nur sind die Deutschen so trübsinnig? Man könnte ja mit Blick auf Deutschland auf die vielzitierte “German Angst“ abstellen. Das machen wir hier nicht, denn in anderen Ländern sind viele Einschätzungen ähnlich.

Die erste Erklärung für Pessimismus könnte darin liegen, dass die Lage in der Tat nicht so gut ist, wie es scheint. Und wirklich bestehen Risiken, die in der öffentlichen Diskussion im Augenblick vernachlässigt werden: Es gibt europaweit einen Investitionsstau, und die Eurokrise ist noch lange nicht vorbei, ganz im Gegenteil: Der Linksruck in Spanien und Portugal, die halbherzigen Versuche der griechischen Regierung, die Gläubiger mit „Reförmchen“ zufrieden zu stellen, die müde französische Wirtschaftspolitik sowie die fatale Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) befeuern ernsthafte Zweifel an der Widerstandskraft der Europäischen Union (EU). In Verbindung mit der Schwäche der chinesischen Wirtschaft, die sich erst diese Woche wieder gezeigt hat, lässt dies einen etwas beunruhigten Blick in die Zukunft der Wirtschaft weltweit nicht völlig unangebracht erscheinen.

Diese politischen Baustellen müssen 2016 bewältigt werden
FlüchtlingskriseEine rasche Trendwende ist nicht zu erwarten. Niemand weiß, wie sich die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber entwickelt. Die Kostenplanungen für 2016 gehen von etwa 800 000 Flüchtlingen aus. Das dürfte den Staat allein im nächsten Jahr etwa 20 Milliarden Euro kosten - nach jetziger Schätzung. Bisher gibt es keinen verbindlichen Plan - auch der EU nicht -, die Zuwanderung zu begrenzen. Die EU-Verteilung greift nur schleppend. Die Integration von Flüchtlingen, schnellere Asylverfahren sowie gemeinsame europäische Lösungen bleiben zentrale Themen. Mehr Geld wird im Kampf gegen Fluchtursachen und für Hilfen an Länder in der Krisenregion fällig. Quelle: dpa
Anti-Terror-KampfDie Bundesregierung will sich auch militärisch am internationalen Einsatz gegen die Terrororganisation IS beteiligen - und zwar auch ohne UN-Mandat. Die Bundesregierung wollte Deutschland ursprünglich aus den Luftangriffen gegen den IS heraushalten. Der Terror von Paris hat die Haltung aber verändert. Quelle: dpa
Innere SicherheitMit dem militärischen Eingreifen wächst die Gefahr, dass auch Deutschland Ziel terroristischer Anschläge wird. Die Sicherheitsbehörden haben nach den Anschlägen von Paris bereits aufgerüstet. Die Debatte um schärfere Sicherheitsgesetze, Einschränkungen der Bürgerrechte sowie einen Einsatz der Bundeswehr auch im Innern dürfte intensiver werden. Quelle: dpa
Ukraine-KonfliktDer Ukraine-Konflikt schwelt weiter. Bei der angestrebten Lösung spielt Deutschland eine herausgehobene Rolle. Es wird 2016 auch darum gehen, die Spannungen mit Russland abzubauen. Quelle: REUTERS
EuropaDie Europäische Union ist in einer tiefen Krise. Es häufen sich die Warnungen vor einem Bruch. In der Flüchtlingskrise nehmen nationale Egoismen zu, nationalistische Töne machen sich breit. Die offenen Grenzen wackeln - ohne „Schengen“ droht aber dem Euro und dem Binnenmarkt ein herber Rückschlag. Quelle: REUTERS
GriechenlandDie Schuldenkrise in Griechenland dauert an - auch wenn sie ein wenig aus dem Blickfeld geraten ist. Zuletzt hatte die Athener Regierung weitere Reformen beschlossen und Hilfen aus dem dritten Rettungspaket erhalten, das 86 Milliarden Euro umfasst. Von zentraler Bedeutung ist, ob der Internationale Währungsfonds (IWF) bei der Lösung der Schuldenkrise weiter mit im Boot bleibt. Quelle: dpa
Bund-Länder-FinanzenIn den Verhandlungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen ab dem Jahr 2020 haben sich die 16 Länder auf ein gemeinsames Konzept verständigt. Jetzt stehen schwierige Verhandlungen mit dem Bund an. Denn der soll nach dem Willen der Länder Ausgleichszahlungen von anfangs jährlich knapp 9,7 Milliarden Euro leisten. Der Bund hatte dagegen 8,5 Milliarden Euro angeboten. Nach den Plänen der Länder soll der Länderfinanzausgleich abgeschafft und durch ein Umsatzsteuermodell ersetzt werden. Quelle: dpa

Ein zweiter Grund für Pessimismus mag darin bestehen, dass es eine Neigung in der Politik gibt, die Sachfragen auszublenden und Diskussionen nicht zu führen. Dies kann am Beispiel der Flüchtlingsfrage in Deutschland gut verdeutlichen. Die These „Wir schaffen das“ gibt nur solange Hoffnung, wie sie auch mit Handlungsabsichten und Planungen in Verbindung gebracht wird. Diese mögen bestehen – so die Hoffnung des Kolumnisten –, sie werden aber nicht vernünftig kommuniziert. Dahinter mag die Angst der Regierung stehen, dass die Menschen die Pläne nicht gutheißen. Das Gegenteil wird offenbar erzielt, denn obwohl sämtliche ernsthaften Prognosen zeigen, dass die These „Wir schaffen das“ gar nicht so unrealistisch ist, glauben es viele nicht.

Nachrichten und Erwartungen

Drittens ist die Nachrichtenlage in der Regel verzerrt. Schlechte Nachrichten bekommen mehr Platz eingeräumt als gute. Nehmen Sie die Entwicklungszusammenarbeit als Beispiel: Obwohl seit etwa einem Jahrzehnt Afrika der Kontinent mit den weltweit höchsten durchschnittlichen Wachstumsraten ist und sich inzwischen ein kleine, aber stetig wachsende Mittelschicht herausgebildet hat, wird der Kontinent hierzulande fast ausschließlich als Krisenkontinent wahrgenommen. Diese guten Nachrichten werden offenbar systematisch ausgeblendet, nicht nur hierzulande

Dies mag viertens damit zu tun haben, dass die Erwartungen andere sind. Afrika war für viele immer das Herz der Finsternis und wird es deshalb bleiben müssen. Es ist schwer, Nachrichten, die diese Erwartungen (oder bisweilen Vorurteilen) nicht entsprechen, zu akzeptieren. So würde es den Kolumnisten wundern, wenn die Eurokrise tatsächlich beendet würde, es entspricht einfach nicht seinen Erwartungen; gut wäre es natürlich dennoch.

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von Cora Stephan

Fünftens kann es durchaus sein, dass einige Menschen die guten Nachrichten schon deshalb nicht wahrnehmen, weil sie nicht mit ihrem Weltbild vereinbar sind. Wachstum in Afrika würde in dieser Sicht bedeuten, dass ohnehin nur einige wenige – und zumeist westliche Konzerne – davon profitierten. Selbst wenn die guten Nachrichten einmal veröffentlicht werden, würden sie also von diesen nicht ernst genommen.

Sechstens kann man konstatieren, dass viele Menschen wenig Zutrauen zu Statistiken oder gar empirischer Forschung haben. Dies mag mit einer generellen Verunsicherung durch viele sich widersprechende Forschungsergebnisse erklärt werden. Allerdings kann man den Statistiken z.B. der Weltbank wenig entgegensetzen, die ja nicht auf einer Hypothese, sondern schlichter Beobachtung und Zählung beruhen.

Dass dieser Befund nicht aus der Luft gegriffen ist, kann man daran erkennen, dass in Umfragen zu Entwicklungsprognosen weltweit der Pessimismus vorherrscht, wie der schwedische Forscher und Gründer der Gapminder Foundation Hans Rosling in seinem Ignorance-Poject zeigt. In Deutschland beispielsweise unterschätzen seiner Umfrage zufolge die Menschen die entwicklungspolitischen Erfolge der jüngeren Vergangenheit bei weitem.

Wenn man die obigen Erklärungen in den Blick nimmt, kann man Wege erkennen, mit deren Hilfe man auch zu einer realistischeren Einschätzung und einer positiveren Sicht auf die Zukunft gelangt. Man könnte z.B. einfach grundsätzlich zur Kenntnis nehmen, dass es den meisten Menschen seit Generationen besser geht als jeweils einer Generation zuvor, wenigstens wenn man die echten Krisenregionen für einen Moment außer Acht lässt. Dann ist der Pessimismus weniger angebracht.

Eine solche Haltung setzt vielleicht die Energie frei, derer es bedarf, um die wirklichen Probleme anzugehen. Denn natürlich gibt es Probleme, zum Beispiel die dem Flüchtlingsdrama zugrundeliegenden Konflikte in den Krisenregionen, aber Pessimismus mag lähmen und ihre Lösung verschleppen oder verhindern. Dies sollte Anlass genug sein, ein wenig optimistischer in die Zukunft zu blicken.

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