
Nun geht es wieder los. Die Fußball-Bundesligisten steigen morgen in den Spielbetrieb ein, wenn der Pokal seine eigenen Gesetze anwendet, um einmal ein der vielen gängigen und liebenswerten Plattitüden zu bemühen, die im Sport Anwendung finden. Eigentlich eine tolle Sache, die am Samstag regelmäßig vielen Freude bereitet.
Weniger Freude bereitet der Umstand, dass die Fußballnachrichten inzwischen so wichtig geworden sind, dass andere Nachrichten es gar nicht erst in die Massenmedien, zumindest dort nicht nach vorne schaffen. Der neue Bayern-Trainer leitet das erste Training - auf allen Kanälen! Hingegen: Griechenland macht schon wieder keine Reformforstschritte - besser nicht darüber reden.





Zyniker werden jetzt einwenden, dass Griechenlands mangelnder Reformeifer wirklich keine Überraschung, die Verpflichtung eines Weltstars durch eine deutsche Mannschaft aber schon etwas Besonderes sei. Insofern stimmt die Betonung im deutschen Fernsehen schon, oder?
Etwas beunruhigend ist es dennoch, dass die millionenfache Sportbegeisterung die politischen Prioritäten verschiebt. Denn immer mehr politische Akteure tragen nun ebenfalls eine Begeisterung für den Fußball zur Schau, die es früher nicht zu beobachten gab. Bei nahezu jedem wichtigen Spiel ist Frau Merkel im Stadion dabei, ob Champions League-Finale oder WM-Halbfinale; viele Politiker lassen uns wissen, für wen sie fiebern. Warum ist das so? Haben die Damen und Herren Politiker nichts Wichtigeres zu tun?
Warum z.B. war Frau Merkel während des Wochenendes des Champions League Finals nicht in Addis Abeba beim 50-jährigen Jubiläum der Afrikanischen Union. Das hätte ein echtes Zeichen gesetzt, dass Europa sich auf dem afrikanischen Kontinent engagiert. Es wäre übrigens auch im deutschen Eigeninteresse gewesen, denn die wirtschaftliche Lage in Europa scheint so desolat zu sein, dass Afrika für die deutsche Exportwirtschaft in Zukunft eine zunehmend bedeutende Rolle spielen dürfte.
Wer seine Arbeit erledigt, darf beim Fußball entspannen





Wahrscheinlich denkt Frau Merkel, dass es im Wahlkampf wichtiger ist, beim Torjubel beobachtet zu werden als irgendwo in der - bisher noch nicht so wichtigen - Welt fernab der Kameras zu sein. Wahrscheinlich glaubt Herr Steinbrück, ein sozialdemokratischer Bundeskanzlerkandidat muss den Verein der ehemaligen Arbeiterstadt Dortmund unterstützen und das ständig kommunizieren. Und wahrscheinlich haben sie beide Recht damit!
Denn solange das Publikum sich nicht für die Antworten der wesentlichen Fragen interessiert, sondern lieber beruhigt werden will, solange ist es möglicherweise nicht rational für Berufspolitiker, die wesentlichen Fragen zu beantworten. Dann macht es Sinn, der Öffentlichkeit Ruhe und Sicherheit vorzugaukeln und bei den Ereignissen mit großer Medienwirksamkeit Präsenz zu zeigen. Staatsmännisch und zukunftsgewandt ist das aber nicht.
Um es klar zu sagen, es ist kein Problem, wenn ein Berufspolitiker zum Fußball geht, das machen viele andere auch. Auch wird sich eine prominente Politikerin nicht in die Kurve stellen (das erlauben schon die Sicherheitsanforderungen nicht), wenn sie ein Spiel sehen will. Die Bundeskanzlerin wäre zu Recht überall ein Ehrengast.
Deutschland
Das Problem entsteht, wenn der Besuch eines solchen Spiels strategisch in dem Sinne ist, dass bewusst eine breite Öffentlichkeit gesucht wird und dabei andere Themen vernachlässigt werden. Ein wenig wirkt das alles so, wie Guido Westerwelle einmal die Lage beschrieben hat: spätrömische Dekadenz. Oder weniger poetisch: Brot und Spiele.
Deshalb kann man zu Saisonbeginn und angesichts drängendster wirtschafts-, energie-, bildungs- und gesellschaftspolitischer Probleme auch in Deutschland nur hoffen, dass die politischen Entscheidungsträger nicht vergessen, dass Fußball nur eine Nebensache ist, wohl eine schöne, aber auch eine gänzlich irrelevante. Wer seine Arbeit erledigt hat, darf beim Fußball entspannen. Diese Entspannung sollte andere Aufgaben allerdings nicht in den Hintergrund schieben.