Freytags-Frage
Tino Chrupalla beim Parteitag der AfD in Niedersachsen.. Quelle: dpa

Was ist eine interessengeleitete Außenpolitik?

AfD-Chef Tino Chrupalla hat sich für eine interessengeleitete Außenpolitik ausgesprochen. Die Idee: Dann sei der Import von preiswertem Öl und Gas aus Russland wieder möglich. Macht es Sinn, Außenpolitik ohne Rückgriff auf unsere Werte zu betreiben?

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Nach der Landtagswahl in Niedersachsen stand der Vorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, vor den Kameras und erläuterte die außenpolitischen Vorstellungen seiner Partei. Zum deutlichen Erstaunen der Moderatorin Bettina Schausten verkündete er, dass die AfD keine wertegeleitete, sondern eine interessengeleitete Außenpolitik für richtig hielte. Frau Schausten fragte sogar noch einmal nach, ob Herr Chrupalla sich wirklich gegen wertegeleitete Außenpolitik ausspreche. Das tat er!

Der AfD-Vorsitzende erklärte dann auch umgehend, was er unter interessengeleiteter Außenpolitik versteht, nämlich die Sicherstellung kurzfristiger preiswerter Öl- und Gasimporte aus Russland, damit die deutsche Industrie nicht unter zu hohen Energiepriesen zu leiden hätte. Auch ansonsten empfand der die Sanktionen als falsch, weil uns der Krieg Russlands in der Ukraine nichts anginge – Deutschland müsse eben zuerst gesehen werden.

Stimmt es wirklich, dass es im deutschen Interesse ist, jetzt Gasimporte zu niedrigen Preisen aus Russland zu sichern? Macht es Sinn, Außenpolitik ohne Rückgriff auf unsere Werte zu betreiben? Ist es wirklich so, dass uns der Krieg im Osten Europas nichts angeht?

Um es kurz zu machen: Die Antwort auf alle drei Fragen ist nein!

Denn es kann nicht in unserem langfristigen Interesse sein, wenn wir aus kurzfristigen Überlegungen heraus Geschäfte mit Putins Russland aufrechterhalten und damit bei unseren Partnern in der gesamten enorm an Reputation verlieren. Das schadet unseren mittelfristigen und langfristigen Interessen. Dann werden vielleicht andere Länder die Märkte für deutsche Unternehmen schließen oder uns bei der Verfolgung anderer Politikziele ignorieren – man denke nur an die räumliche Verteilung von geflüchteten Menschen in Europa. Insgesamt ginge es uns dann viel schlechter, unsere Interessen würden deutlich verletzt. Außerdem würden wir den Aggressor weiter stärken. Wer eine verantwortungsvolle Außenpolitik betreibt, nimmt eine längerfristige Perspektive ein und wägt Interessen gegeneinander ab.

Gleiches gilt für die Werte. Wer soll die Deutschen noch ernst nehmen, wenn sie ihre eigenen Werte in der Außenpolitik ignorieren oder gar verleugnen? Zur Erinnerung: Unser Wertesystem sieht die individuelle Freiheit, demokratische Strukturen und Nichtdiskriminierung als zentral an. All das will Präsident Putin in der Ukraine nicht zulassen und anderswo untergraben. Mit einem Kriegsverbrecher und Anstifter von Völkermord Handel zu treiben, als wäre nichts passiert, nur weil es heute der deutschen Industrie hilft, tritt nicht nur die deutschen Werte mit den Füßen, sondern ist schlicht unmenschlich und unzivilisiert.

Eine Partei, die laut eigener Website deutsche Werte hochhalten will, aber eine wertegeleitete Außenpolitik ablehnt, scheint im Inneren keine Werte zu haben oder nur denen des Aggressors zu folgen. Immerhin hat der heimliche Parteivorsitzende der AfD aus Thüringen Björn Höcke letztlich zu Protokoll gegeben, dass er sich mit russischen Werten wohler als mit amerikanischen Werten fühlt – Völkermord statt Hollywood?

Was die Parteiführung offenbar nicht begreift beziehungsweise ignoriert, ist der Umstand, dass die beiden Aspekte der Außenpolitik, nämlich eigene Interessen und eigene Werte, untrennbar verbunden sind. Eine Außenpolitik, die ohne Werte auszukommen glaubt, schadet den eigenen Interessen. Und eine Außenpolitik, die eigene Interessen ignoriert, verrät die Werte. Nur der Gleichklang hilft uns langfristig. Vor diesem Hintergrund ist es sowohl unseren Werten als auch unseren Interessen geschuldet, die Ukraine zu unterstützen und das russische Regime mit Sanktionen unter Druck zu setzen, den Konflikt zu beenden. Die kurzfristigen Kosten dieser Strategie – die der AfD offenbar Sorgen bereiten beziehungsweise am Sonntag niedersächsische Wähler zugetrieben haben – gilt es möglichst gerecht so unter den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen aufzuteilen, dass die Ärmsten nicht leiden und viele Arbeitsplätze erhalten bleiben. Das ist in der Tat eine anspruchsvolle Aufgabe. Dazu hat die AfD aber nicht viel zu sagen (außer der naheliegenden und von vielen vertretenen Forderung, gegenwärtig alle zur Verfügung stehenden Energieträger zur Stromerzeugung zu nutzen).

Dieser Zusammenhang zwischen Werten und Interessen gilt selbst dann, wenn man meint, dass es der Überfall Russlands auf die Ukraine die Angelegenheit dieser beiden Länder ist und wir uns nicht in Konflikte anderer einmischen sollten. In diesem eindeutigen Fall wäre es jedoch überaus zynisch, so zu denken. Mit diesem Zynismus ist die AfD übrigens nicht allein.

Allerdings ist es nicht der Fall, dass der Krieg uns nicht berührt. Im Gegenteil, er geht uns eine Menge an. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein Angriff auf das gesamte Wertesystem des Westens – er wäre ja auch nicht erfolgt, wenn die Ukraine sich nicht westlich orientieren würde. Gleichzeitig muss man davon ausgehen, dass bei einem Sieg Russlands über die Ukraine andere Länder ebenfalls in das Visier der russischen Regierung geraten würden. Dies gilt mindestens für Moldawien und Georgien. Man darf aber auch den Hass des russischen Präsidenten auf die Balten nicht unterschätzen. Andere frühere Satellitenstaaten des Sowjetimperiums fühlen sich ebenfalls bedroht. Er würde wohl erst stoppen, wenn sich ihm eine starke Macht entgegenstellt. Insofern spricht alles dafür, dass die Ukraine diese starke Macht ist!

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Es sollte klar sein, dass das von der AfD vorgetragene Verständnis von interessengeleiteter Außenpolitik logisch nicht trägt. Die deutschen Interessen sind langfristiger Natur. Würde die Bundesregierung so wie von der AfD gefordert handeln, würde sie Deutschland sehr schaden. Wer seine Interessen verfolgt, kann dies nicht gegen seine Werte tun!

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