Freytags-Frage
Quelle: AP

Was ist eine zielführende Arbeitsteilung zwischen Staat und privat?

Angriffe durch totalitäre Regime auf die Demokratie, die Coronapandemie sowie der Klimawandel haben die Rolle und die öffentliche Wahrnehmung staatlichen Handelns verändert. Diese Staatsgläubigkeit ist nicht ohne Risiko.

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Die großen Herausforderungen der Gegenwart – zum Beispiel die zunehmenden Angriffe durch totalitäre Regime auf die Demokratie, die Corona-Pandemie sowie der Klimawandel – haben eines gemeinsam: Sie haben die Rolle staatlicher Akteure sowie die öffentliche Wahrnehmung staatlichen Handelns verändert. Die europäischen Regierungen greifen nicht nur mit Rettungspaketen bislang nichtgekannten Ausmaßes, sondern auch mit direkter wirtschaftlicher Betätigung in die Wirtschaft ein. Außerdem scheint der Glaube an die Wirksamkeit staatlicher Eingriffe und an die Güte oder Milde staatlichen Handelns enorm zugenommen zu haben.

Diese Staatsgläubigkeit ist nicht ohne Risiko, vor allem wenn es um die Fähigkeiten staatlicher Akteure geht, unternehmerisch und innovativ tätig zu werden. Hier werden die Grenzen unmittelbar sichtbar, wenn sich staatliche Akteure als Unternehmer gerieren. Allerdings ist der Staat massiv gefordert, wenn es um die Rahmenbedingungen geht – sowohl im Umgang mit totalitären Regimen, einer Pandemie oder dem Klimawandel. Die Demokratie muss wehrhaft gemacht werden, das öffentliche Leben nach der Pandemie wiederhergestellt werden und die Emissionen klimaschädlicher Gase effektiv (und möglichst effizient) reduziert werden.

Diese Aufgaben sind nicht trivial, wie sich an allen drei Herausforderungen beispielhaft recht klar zeigen lässt. Beginnen wir mit den Angriffen auf Demokratie und Wirtschaft zum Beispiel aus Russland und China: Seitdem auch den politischen Entscheidungsträgern in Europa deutlich wurde, auf welche Weise die dortigen autokratischen Regierungen in die politischen und ökonomischen Prozesse in den westlichen Demokratien Einfluss nehmen, werden die Stimmen lauter, hier Einhalt zu gebieten.

Wertesystem und Eigentumsrechte schützen

Dies ist richtig, wenn es darum geht, die Sicherheit der digitalen Netze zu erhöhen und die Versuche von Wahlbeeinflussung oder gar -fälschung durch Hacker mit amtlichem Auftrag aus diesen Ländern zu verhindern. Es ist auch richtig, wenn es darum geht, den Aufkauf europäischer Mittelständler durch hoch subventionierte chinesische Staatsunternehmen zu regulieren. Unser Wertesystem und unsere Eigentumsrechte sind energisch gegen Angriffe aus dem Ausland zu verteidigen. Hier ist der Staat als Regelsetzer und vor allem Regeldurchsetzer gefordert.

Das kann aber nicht bedeuten, dass nun vermehrt Staatsunternehmen der chinesischen Konkurrenz die Stirn bieten sollen. Auch ist es sehr zweifelhaft, ob Industriestrukturen durch die Regierungen, die Europäische Kommission oder die Europäische Zentralbank (mit ihrer Anlagepolitik) gestaltet werden können und sollen – man kann nicht davon ausgehen, dass diese Behörden die gleichen Fähigkeiten wie die zahllosen privaten Unternehmen haben, die Präferenzen der Kunden zu berücksichtigen und die Informationen der Märkte zu verarbeiten. Dazu bedarf es des Wettbewerbs und des privaten Eigentums. Behördenvertreter sind nun einmal keine Unternehmerinnen und Unternehmer. Wie sich im Falle der Coronakrise gerade bedrückend eindrucksvoll zeigt, sie sind eher Unterlasser; so hat Herbert Giersch vor über 30 Jahren in seinen Vorlesungen den Kontrast zum unternehmerischen Handeln sehr treffend beschrieben.

Die Coronakrise zeigt ebenfalls sehr deutlich, wie eine gelungene Arbeitsteilung zwischen staatlichen und privaten Akteuren aussieht beziehungsweise nicht aussehen sollte. Der Staat sollte schnell und konsequent auf die Krise reagieren und die geeigneten Regeln zur Reduzierung der Infektionen ergreifen – was in der Rückschau leider nur sehr bedingt gelungen ist. Er sollte auch – im Sinne einer Rezessionsbekämpfung – gesunde Unternehmen fiskalisch unterstützen. Dies kann grundsätzlich als gelungen bezeichnet werden

Es bleibt allerdings abzuwarten, wie sich die wirtschaftliche Situation dieser Unternehmen in den kommenden Monaten entwickelt. Die Unterdrückung von Insolvenzen mit Hilfe der Rettungspakete sollte nicht zur Schaffung von sogenannten Zombieunternehmen führen, die dann dauerhaft Staatshilfen brauchen. Vor diesem Hintergrund sollte sich der Staat schnellstmöglich von den Unternehmensanteilen trennen, die zur Sicherung des Überlebens einiger Großunternehmen erworben wurden.

Auch sollten die Regierungen nach Ende der Pandemie zweierlei nicht tun: Erstens sollte es keine Steuererhöhungen zur Finanzierung der Rettungspakete geben, zweitens sollte es einen ernsthaften Versuch geben, die Regulierungsdichte zu reduzieren und die bürokratischen Hemmnisse gerade für Neugründungen von Unternehmen abzubauen.

Klimaschutz braucht unternehmerische Initiative, keine politische

Anstatt zum Beispiel der Pflicht zum Homeoffice mit enormen Berichtspflichten, der Überregulierung und damit faktischen Zerstörung des Wohnungsmarktes oder einer Erhöhung des Mindestlohnes um ein Viertel sollte es eine Art „angebotspolitischer Revolution“ geben, damit die europäische Wirtschaft sich schnell erholt und die nötigen Spielräume erhält, die Beschäftigungsverluste schnell aufzuholen. Im außereuropäischen Ausland wird man nicht schlafen. Damit die europäischen Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, bedarf es einer Neuformulierung der Wirtschaftspolitik hin zu mehr unternehmerischer Freiheit und weniger staatlicher Gängelung.

Das muss keineswegs im Widerspruch zu einer wirksamen Klimapolitik stehen, ganz im Gegenteil. Die Europäische Kommission ruft mit dem Green Deal zu einem Aufbruch auf, scheint aber zu glauben, dass die unternehmerische Initiative dazu direkt aus der Brüsseler Zentrale der Kommission zu kommen hat. Frau von der Leyen spricht in diesem Zusammenhang von Europas „Man-on-the-moon-moment“, als ob die klimafreundlichen Technologien auf den Gängen des Charlemagne-Gebäudes entwickelt werden können.



Hier ist die optimale Arbeitsteilung zwischen Staat, also nationalen Regierungen und europäischer Ebene, und Privaten im Grunde noch simpler. Politisch muss eine Emissionsgrenze oder ein entsprechender Emissionspreis vorgegeben werden. Die Unternehmen werden dann die Technologien entwickeln. Hilfreich ist eine großzügige – technologieneutrale – Förderung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit europäischer Unternehmen. Schädlich sind Vorschriften über Technologien oder sektorspezifische Vorgaben. Dem Klima ist es egal, ob die CO2-Emission beim Verkehr oder bei der Wärmeerzeugung eingespart werden. Gewählt werden sollte die preiswerteste Variante. Diese Variante kennt weder Frau von der Leyen noch Herr Altmaier; sie ergibt sich im Wettbewerb. Deshalb ist von industriepolitischen Initiativen ernsthaft abzuraten.

Gleiches gilt für eine besondere Versuchung auf der außenhandelspolitischen Ebene, die für alle drei und weitere Herausforderungen darin zu bestehen scheint, den Wettbewerb mit dem Ausland zu beschränken. Die Europäische Kommission spricht von strategischer Autonomie. Was das im Detail bedeutet, bleibt vage. Man kann sich aber vorstellen, dass der französische Präsident darunter die Einführung hoher Protektionsmauern versteht.

Selbst die Bundesregierung wirkt hier nicht stabil. Dabei sollte allen Beteiligten klar sein, dass gerade der Klimaschutz eine exportstarke und innovative europäische Wirtschaft braucht. Werden die Importe nach Europa behindert, leiden auch die Exporte – mit Importbeschränkungen werden automatisch auch Exporte reduziert, das kann man nicht verhindern.

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Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die drei hier beispielhaft diskutierten Herausforderungen einen starken Staat brauchen. Dieser wehrt sich gegen Einmischungen von außen, setzt klare Regeln für das Wirtschaften im Inneren und legt Obergrenzen für Treibhausgasemissionen fest. Er verzichtet aber darauf, selber unternehmerisch tätig zu werden und den Strukturwandel im Detail steuern zu wollen. Dies wird den privaten Akteuren überlassen, denn die haben die Expertise und tragen das Risiko, was den Realitätssinn der unternehmerischen Entscheidungen im Vergleich zu staatlichen Unternehmen vermutlich deutlich erhöht. Nur mit dieser Arbeitsteilung kann die Bewältigung der Herausforderungen gelingen.

Mehr zum Thema: In den Niederlanden haben NGOs das Erdölunternehmen Shell verklagt. Sie wollen den Konzern zwingen, den Verkauf von Erdöl annähernd zu halbieren. Ein solches Urteil hätte fatale Folgen.

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