Freytags-Frage
Quelle: dpa

Was kann man der neuen Regierung zu Weihnachten wünschen?

Schöne Bescherung: Die Ampelkoalition hat die Regierungsgeschäfte in turbulenten Zeiten übernommen. Das birgt viele Risiken – und doch auch Chancen.

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Die neue Bundesregierung ist etwas mehr als zwei Wochen im Amt. Bislang bestand für Bundeskanzler Scholz und sein Kabinett kaum Gelegenheit, sich in Ruhe in die Amtsgeschäfte einzuarbeiten. Zu viele Baustellen taten sich in den letzten Monaten gleichzeitig auf, die jede für sich eine Herausforderung für jede Regierung darstellen. (Wie Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing und SPD-Chef Lars Klingbeil auf die bevorstehenden Aufgaben blicken, erfahren Sie im großen Doppel-Interview.)

Neben der letzten Variante des Corona-Virus treten die geopolitischen Konflikte mit Russland und China, die steigende Wohnungsknappheit in Deutschland, höchst unterschiedliche Auffassungen zur europäischen Integration zwischen den Nachbarn auf dem Kontinent und nicht zuletzt bedrückende Funktionsschwächen der deutschen Verwaltung. All diese kurzfristigen Probleme werden überlagert von der genauso dringenden Jahrhundertaufgabe Klimaschutz. Die Bundesregierung ist somit einerseits nicht zu beneiden. Denn die vielen Probleme bergen die Gefahr, dass die Regierung überfordert wird.

Andererseits besteht in der Gemengelage auch eine Chance. Denn erstens haben die Koalitionäre keine Zeit für Nabelschau und unnötige Streitigkeiten untereinander. Jetzt muss man funktionieren und die Probleme angehen. Dabei ist es unabdingbar, Kompromisse einzugehen und zusammenzuarbeiten, selbst wenn es fundamentale Unterschiede in den Positionen gibt. Außerdem hilft es, die Querverbindungen zwischen den Problemen zu erkennen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Auch müssen die Fristigkeiten der Probleme richtig bewertet werden. Klimaschutz zum Beispiel ist eine Generationenaufgabe und wird nicht bis 2025 eingelöst.

Vor allen Dingen zeigt sich, dass die Probleme nicht isoliert zu lösen sind. Es wird zum Beispiel nicht gelingen, die Erderwärmung ohne China und Russland zu begrenzen. Insofern ist eine starre Haltung in der Außenpolitik genauso wenig hilfreich wie eine rein auf die nationalen Emissionen beschränkte Klimapolitik. Es reicht eben nicht, hier die Altbauten zu sanieren und den Verbrennungsmotor zu bannen. Richtig ist es, die Außenpolitik mit der Klimapolitik zu kombinieren. Dies schließt die wirtschaftliche Zusammenarbeit auch mit Systemrivalen mit ein.

Dabei sollte man auch die Entwicklungsländer nicht aus dem Blick verlieren. So könnte die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) mit einbezogen werden. Durch eine engere Zusammenarbeit mit afrikanischen Regierungen kann die Bundesregierung den Kampf gegen den Klimawandel intensivieren sowie sich zugleich besser gegenüber China positionieren und dabei in derselben Form wie China – also mit einem Fokus auf eigenen Interessen – mit den Partnern in Afrika umgehen. Das erhöht vermutlich auch den Respekt, der der deutschen EZ aus Afrika entgegengebracht wird.

Ähnlich könne man in der Europäischen Union (EU) vorgehen. Anstatt zu moralisieren, könnte die Bundesregierung Angebote machen. Wer sich an Menschenrechte hält, wird belohnt. Innerhalb der EU könnte man so vielleicht der polnischen oder der ungarischen Regierung Angebote machen, die nur schwer abzulehnen sind. Die Beteiligung diese Länder an Hilfszahlungen aus der EU wird schon richtigerweise an eine konsequent demokratische Regierungsführung gekoppelt; vielleicht kann die Rhetorik noch angepasst werden. Mit Partnern von außerhalb könnte man Klimaziele in Verbindung mit Hilfszahlungen oder Marktzutritt vereinbaren und so die Interessen in dieselbe Richtung lenken.

In der Pandemiebekämpfung zeigt sich darüber hinaus einmal mehr, dass es nicht reicht, hierzulande auf die Impfungen möglichst vieler Menschen zu achten. Diese Erkenntnis ist durch den erfreulichen Sommer und die dramatische Zuspitzung seit November dieses Jahres etwas aus dem Blick geraten. In einer eng vernetzten und arbeitsteiligen Welt müssen letztlich überall die Impfquoten hoch sein, damit Ansteckungen entweder verhindert werden oder aber möglichst glimpflich verlaufen können. Hier gilt es Angebote zu machen, die keineswegs ohne Preis (Stichwort Menschenrechte) bleiben müssen.

Anders gewendet kann man der Bundesregierung zu Weihnachten wünschen, dass sie sich nicht im Klein-Klein der täglichen Krisen verliert, sondern die Zusammenhänge erfasst und eine ganzheitliche Sicht auf die Probleme bekommt. Daran mangelt es noch etwas im Koalitionsvertrag, zumindest explizit. Allerdings schließt der Vertrag die ganzheitliche Perspektive nicht aus.

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Der Start der Bundesregierung ist vor diesem Hintergrund durchaus als gelungen zu bezeichnen, denn einzelne Schritte sind sinnvoll. Die Pandemiebekämpfung wirkt einigermaßen professionell, die Maßnahmen werden ruhig diskutiert und besonnen ergriffen. Der neue Gesundheitsminister strahlt im Amt Ruhe aus – Verantwortung diszipliniert. Die Außenministerin ist durch klare Aussagen zu Menschen- und Bürgerrechten positiv aufgefallen. Die leisen Klagen darüber aus Polen und China kann man nur als Bestätigung auffassen. Ihre ersten Besuche strahlten Energie und Sachkenntnis aus – ein wohltuender Unterschied zu ihrem Vorgänger. Die Verteidigungsministerin sendet ebenfalls klare Botschaften aus. Die jeweils ersten Amtshandlungen vom Wirtschaftsminister und vom Finanzminister sind nicht durch Extrempositionen gekennzeichnet, sondern wirken abgeklärt und nüchtern. Die Berufung des neuen Bundesbankpräsidenten strahlt ein beruhigendes Signal nach innen und die klare Aussage nach außen aus, dass die Bundesbank weiterhin das Stabilitätsziel verfolgen wird, ohne auf Konfliktkurs zu gehen.

Nach 14 Tagen ist es zu früh, um die Erfolgsaussichten eindeutig zu bewerten. Dennoch besteht die gute Chance, dass die enormen Herausforderungen auch zu enormer Leistungsfähigkeit führen, zumal nicht zu erwarten ist, dass sich die Ampelkoalition dieselbe Bräsigkeit leisten kann, die die große Koalition der letzten Jahre ausgezeichnet hat. Je mehr Druck herrscht, umso eher wird es nötig und möglich, deutsche Politik ganzheitlich zu denken und zu betreiben. Das muss kein frommer Weihnachtswunsch bleiben.

Mehr zum Thema: Das Ampel-Spitzengespräch: Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing und SPD-Chef Lars Klingbeil über Impfpflicht und Planungsturbo, das Vorbild Biontech und den Standort Deutschland.

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