Freytags-Frage

Wie kann Sigmar Gabriel die Deutschen vom Freihandel überzeugen?

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Wenn der Wohlstand gefährdet wird, dann durch uns selber

Damit werden wir unserer entwicklungspolitischen Verantwortung gerecht. Nebenbei schaffen wir die Kaufkraft, die es braucht, damit die Menschen aus diesen Ländern sich unsere guten und umweltfreundlichen Produkte leisten zu können. Das ist vorteilhaft für alle.

Nun können Sie zu Recht einwenden, dass durch internationalen Wettbewerb auch viele Arbeitsplätze verloren gehen. Dies ist tatsächlich ein Bestandteil jeder Marktwirtschaft, auch der Sozialen Marktwirtschaft: Jeden Tag scheiden Unternehmen aus dem Markt aus, neue treten hinzu. Wussten Sie, dass es im Jahre 2015 allein etwa 23.000 Unternehmensinsolvenzen gab? Darauf können wir nicht stolz sein, aber immerhin nimmt die Zahl beständig ab, und auch in 2016 ist ein Abwärtstrend sichtbar. Stolz aber können wir darauf sein, wie wir in der Sozialen Marktwirtschaft diesen Strukturwandel bewältigen.

Seit Jahren steigt die Beschäftigung in unserem Land; das bedeutet auch, dass viele Menschen schnell wieder einen Arbeitsplatz finden und neue Unternehmen entstehen. Diejenigen, die erst einmal keinen Arbeitsplatz finden, werden von der Sozialpolitik unterstützt. Auch hier können wir mehr tun; wir Sozialdemokraten arbeiten daran.

Aber lassen Sie sich bitte nicht ins Bockshorn jagen durch diejenigen politischen Kräfte, die trotz unserer guten Lage Ängste schüren und ihnen einreden wollen, dass gerade von außen – sei es durch Handel, sei es durch Flüchtlinge – eine große Gefahr droht. Das ist zu billig! Es sind nicht ausländische Unternehmen und schon gar nicht die Schwächsten, nämlich die Flüchtlinge, die unseren Wohlstand gefährden. Wenn der Wohlstand gefährdet wird, dann durch uns selber: durch nachlassenden Ehrgeiz, durch Bequemlichkeit und durch zu viele Bemühungen, ohne Anstrengungen auf Märkten, aber durch Lobbying zum Erfolg zu kommen. Das können nur wir verhindern. Es ist unsere Verantwortung, durch gute Bildungspolitik, unternehmerischen Mut und erfolgreiche Forschungsanstrengungen die Herausforderungen durch internationalen Handel zu meistern. Wirtschaftspolitisch heißt dies, den Wettbewerb immer im Blick zu behalten. Dass wir das schaffen können, belegen wir alle gemeinsam, die Menschen, die Unternehmen und die Politik, Tag für Tag.

Stellen Sie sich einmal vor, wir folgen den Sirenengesängen an den extremen Rändern bei uns, in Großbritannien, den Niederlanden oder in Frankreich und schließen unsere Grenzen für Arbeitskräfte aus der EU (oder in Maßen aus anderen Ländern) und für Güter aus der ganzen Welt. Wie ich eben sagte, werden dann vielen Produkte nicht mehr verfügbar sein. Wie soll das Telefon ohne seltene Erden aus China oder den USA als Input funktionieren? Was wollen Sie anziehen, wenn Textilanbieter aus Entwicklungsländern nicht mehr bei uns verkaufen dürfen? Wie langweilig wäre der Speiszettel ohne Lebensmittel aus dem Ausland, wenigstens auf Dauer? Wo wollen wir unsere Produkte verkaufen, wenn die Menschen im Ausland bei uns nichts mehr verdienen?

Der Widerstand wächst: Sind TTIP und CETA noch zu halten?

Und denken Sie einmal historisch: Als vor knapp einhundert einhundert Jahren der Protektionismus sich weltweit Bahn brach, ging es den Menschen überall schlecht. Eine Konsequenz war der Aufstieg des Totalitarismus in Europa.

Vielleicht ist das ja das Ziel der Angstmacher: Uns geht es schlecht, und sie bieten einfache Lösungen an; Schuld sind die Amerikaner, die Muslime und Juden, die afrikanischen Flüchtlinge. Wollen wir das etwa? Natürlich nicht! Deshalb sollten wir den Mut nicht verlieren und auch weiterhin auf offene Märkte und Soziale Marktwirtschaft setzen. Gerade deutsche Produkte sind im Ausland begehrt, und zwar nicht, weil wir ängstlich und defensiv sind, sondern weil unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie unsere Unternehmen sich aktiv im Welthandel bewegen.

Vertrauen Sie uns; wir öffnen unsere Märkte mit Augenmaß. Handels- und Investitionsabkommen werden unsere bewährten Regelungsprinzipien und unsere Sozialpolitik nicht aushebeln – die Deutschen sind seit siebzig Jahren friedlich und erfolgreich auf den Weltmärkten unterwegs. Das wird auch so bleiben.

Vielen Dank.

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