Freytags-Frage
Stau im abendlichen Berufsverkehr Quelle: dpa

Wie betreibt man verantwortungsvolle Umweltpolitik?

Die Deutschen führen die Debatte um ihre Umweltpolitik mit viel Pathos. Das verschließt den Blick vor den Fakten und führt zu einem quasireligiösen Glaubenskrieg.

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Die Deutschen bilden sich einiges auf ihr Umweltbewusstsein ein. Sie trennen Müll, und versuchen, Plastikabfälle zu vermeiden. Sie verwenden Ökostrom und versuchen, den Ausstoß von Stickoxiden zu verringern. Und sie tun dies mit Verve und mit moralischem Pathos. Dennoch gehört Deutschland, was das Vermeiden von Umweltverschmutzung anbetrifft, nicht in die internationale Spitzenklasse.

Gerade vor diesem Hintergrund sollte das Pathos zu denken geben. Denn Pathos ersetzt oft Rationalität. Die Umweltdiskussion in Deutschland wird von Beginn an (also seit den 1970er Jahren) als moralische Diskussion geführt. Wer für die Umwelt ist und sich entsprechend äußert, gehört zu den „Guten“, die anderen sind sozusagen die „Bösen“. Dies gilt vor allem für diejenigen Diskussionsteilnehmer, die über den Nutzen und die Kosten von umweltpolitischen Maßnahmen sprechen.

Dabei ist das Umweltproblem ein praktisches. Es dürfte jedem klar sein, dass die Umweltqualität sich nicht mit Worten hochhalten lässt, sondern Taten nötig sind, und zwar vernünftige Taten. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Die Verwendung von Papiertüten anstelle von Plastiktüten beim Einkauf macht nur dann Sinn, wenn die gesamte Ökobilanz stimmt.

Das sind die saubersten Airlines der Welt
Klimaziele werden nicht erreicht Quelle: dpa
Platz 12: Air Berlin Quelle: dpa
Platz 11: Latam Airlines Brasil Quelle: REUTERS
Platz 9: Thomas Cook Airlines Quelle: dpa
Platz 9: Condor Quelle: dpa
Platz 8: Transavia.com Quelle: REUTERS
Platz 7: Jet2.com Quelle: dpa Picture-Alliance

Man könnte auch die Diskussion um die Dieselfahrzeuge heranziehen. Die Gegner des Diesels als Antriebsmotor im Individualverkehr argumentieren in gewisser Hinsicht mit religiöser Inbrunst; sie führen einen Kreuzzug. Den Fakten schenken sie in der Regel wenig Beachtung, als unrichtig Erwiesenes wird nur dann korrigiert, wenn es der eigenen Position hilft. Dabei sollte es doch ganz einfach sein: Der Ausstoß sämtlicher dieselgetriebenen Motoren sollte gemessen und mit vertretbaren Werten verglichen werden. Dabei dürfte sich herausstellen, dass PKW nur einen Teil der Probleme verursachen – man denke nur an die Schifffahrt auf Binnengewässern oder an die Hafenstädte, die Kreuzfahrtschiffe anlaufen. Hinzu kommt der Straßentransport, der ebenfalls deutlich mehr Stickoxide produzieren dürfte als PKW.

Diese Beispiele sollen keineswegs dazu dienen, den Dieselmotor oder die Plastiktüte vor dem Aus zu bewahren, sondern als Mahnung gelten, die Diskussion sachlich zu führen und die ökologische Effektivität in den Blick zu nehmen. Außerdem sollte angestrebt werden, die jeweils preiswerteste Lösung – in diesen Fällen von verschiedenen Transportproblemen – zu finden.

Vor diesem Hintergrund bekommt das Umweltproblem eine ökonomische Dimension. Denn es geht um zweierlei: erstens um eine nachhaltige Nutzung der Umwelt und zweitens um den besten Weg dahin.

Der Verzicht auf Fakten hilft der Umwelt auf keinen Fall

Auch hierzu bietet die deutsche Umweltpolitik ein anschauliches Beispiel, nämlich die Förderung erneuerbarer Energien seit 2000 durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Dabei wurden sehr unterschiedliche Einzelpreise für jede Art von Strom aus erneuerbaren Quellen für seine Einspeisung ins Netz festgelegt, die sich nach festen Plänen änderten. Die Differenz zwischen den Einspeisungstarifen und den vom Kunden zu zahlenden Strompreisen wird mit der EEG-Umlage für Stromverbraucher ausgeglichen.

Dieses System ist insofern planwirtschaftlich und unwirtschaftlich, als der Gesetzgeber vorschreibt, welche Technologie zu welchem Preis verwendet wird. Besser wäre es gewesen, allen Energieunternehmen eine Quote an erneuerbaren Energien vorzuschreiben, es ihnen aber selbst zu überlassen, mit welcher Technologie sie diese Quote erfüllen wollen. Trotz prominenter Fürsprecher dieser preiswerten Lösung (zum Beispiel die Monopolkommission) war es nicht möglich, die Bundesregierung davon zu überzeugen.

Auch hier verläuft die Diskussion nicht entlang sachlicher Argumente. Vielmehr werden Kritiker des EEG nicht angesehen als ernsthafte Gesprächspartner, denen es auch um die Umweltqualität geht. Wer ökonomisch argumentiert, kann dieser Logik zufolge nur kalt sein und kein ökologisches Bewusstsein haben.

So produzieren wir weniger Müll
Wie viel Müll produzieren die Deutschen?Jedes Jahr fallen in der Bundesrepublik 350 Millionen Tonnen Abfall an. 17,8 Millionen davon sind Verpackungsmüll, die Menge ist seit 1996 um mehr als 30 Prozent angewachsen. Rund 8,3 Millionen Tonnen, also fast die Hälfte, kommt aus Privathaushalten. Das macht 103 Kilogramm Verpackungsmüll im Haushalt pro Person und Jahr. Das meiste davon sind dem Umweltbundesamt (UBA) zufolge Verpackungen von Getränken, Nahrungsmitteln und Tierfutter. „Kein Land in Europa produziert pro Einwohner und Jahr mehr Verpackungsabfälle als wir“, sagt Patrick Hasenkamp vom Verband kommunaler Unternehmen. Quelle: DPA
Was wird schon getan, um die Abfallmenge zu verringern?Seit Dezember 2013 gibt es ein „Abfallvermeidungsprogramm“ des Bundes und der Länder. Es besteht aus Empfehlungen und soll 2019 ausgewertet werden. Die Bundesregierung setzt hauptsächlich auf Freiwilligkeit. Etwa, wenn Unternehmen sich selbst verpflichten, Plastiktüten nicht mehr umsonst abzugeben, oder Kaffee in Mehrwegbechern verkauft wird, wie in Freiburg, Tübingen oder Berlin. Gerade läuft die „Europäische Woche der Abfallvermeidung“, an der viele Unternehmen und Kommunen teilnehmen. Schwerpunkt dieses Jahr: Verpackungsmüll. Quelle: DPA
Warum fällt trotzdem immer mehr Verpackungsmüll an?Ein Grund sei der demografische Wandel, sagt UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. Kleine Haushalte kauften kleine Portionen, Singles setzen oft auf Fertiggerichte. Außerdem zähle bei Verpackungen oft der Marketing-Wert statt nur die Funktionalität: „Sie sind oft unnötig, aufwendig und vor allem oft nicht recyclinggerecht.“ Quelle: ZB
Sehen die Hersteller das genauso?Der Markenverband weist die Kritik als zu pauschal zurück. „Lediglich in kleinen Bereichen findet man sogenannte Schmuckpackungen“, sagt Hauptgeschäftsführer Christian Köhler. Verpackungen seien nicht nur für den Schutz wichtig, sondern trügen den Kundenbedürfnissen Rechnung wie Portionierbarkeit und Verschließbarkeit. Quelle: DAPD
Reicht es, auf freiwillige Initiativen zu setzen?Die Umweltministerin sieht „ermutigende Signale“, dass Menschen und Unternehmen umdenken. Bei den Plastiktüten laufe es auch gut, es seien schon rund 350 Unternehmen dabei, darunter auch große Handelsketten. Hendricks verweist darauf, dass viele Dinge sich rechtlich nur auf EU-Ebene regeln ließen: „Alleingänge“ würden als Wettbewerbshemmnis betrachtet. Das Umweltbundesamt dagegen wünscht sich in manchen Bereichen schärfere rechtliche Vorgaben. Quelle: DPA
Was will das Umweltbundesamt konkret?Erstens sollen Geschäfte im Getränke-Sortiment immer auch Mehrwegflaschen anbieten – Discounter wie Lidl oder Aldi haben oft nur Einweg. Zweitens kritisiert das Bundesamt, dass die Gebühren, die Hersteller von Verpackungen für deren Entsorgung schon im Voraus bezahlen müssen, nicht mehr richtig wirken. „Verpackungen sind einfach zu billig.“ Die Behörde schlägt vor, das Lizenzentgelt von der Recycling-Fähigkeit der Verpackungen abhängig zu machen. Quelle: AP
Was hält der Handel von der Mehrweg-Pflicht?Wenig. Es bedürfe keiner gesetzlichen Regelung, sagt Kai Falk, Geschäftsführer des Handelsverbands HDE. „Für beide Packungsarten gibt es ein gut etabliertes Pfand- und ein flächendeckendes Rücknahmesystem, die für eine hohe Rücklauf- und Recyclingquote sorgen.“ Eine gesetzliche Regelung würde Importeuren den Zugang zum deutschen Markt verstellen und die Vielfalt im deutschen Lebensmitteleinzelhandel einschränken, argumentiert der Verband. Quelle: DPA

Dies ist genauso unlogisch wie grundfalsch. Immer dann, wenn eine Diskussion nur noch mit Glaubenssätzen anstatt mit Argumenten und Fakten (in diesem Falle auch mit den vorliegenden Daten) geführt wird, kann sich Rationalität nicht durchsetzen. Es stellt sich dann die Frage, ob die Beteiligten wirklich so dumm sind, die Folgen eines Glaubenskrieges zu übersehen, oder ob andere Motive dahinterstecken. Vermutlich beides! Denn viele Vertreter der religiösen Position haben nachweislich keinerlei wirtschaftlichen Interessen an der Umweltpolitik – im Gegenteil: Sie sind bereit, höhere Energiekosten zu tragen, als sie zum Beispiel im Quotenmodell zu tragen hätten, und verteidigen diese Selbstschädigung noch vehement.

Andererseits gibt es zahlreiche wirtschaftliche Interessen zum Beispiel an Windrädern oder Solarpanels, die einer alternativen – preiswerteren – Unterstützung von erneuerbaren Energien entgegenstehen. Hinzu kommt, dass Nichtregierungsorganisationen oft gar nicht so selbstlos sind, wie sie vorgeben. Ihr Überleben oder gar ihr Wachstum hängt davon ab, dass viele Menschen ihnen glauben. Da nimmt man es dann mit den Fakten oder Transparenz nicht ganz so genau.

Man sollte von einer modernen Gesellschaft mit immer mehr Hochschulabsolventen wohl fordern, dass sie auch beziehungsweise gerade bei schwerwiegenden und als bedrohlich empfundenen Problemen einen rationalen Diskurs pflegt und sich sowohl bei der Vorgabe von Zielen als auch bei den dazu gewählten Instrumenten von Fakten und Logik leiten lässt. Der Verzicht auf Fakten in der Umweltdebatte hilft der Umwelt auf keinen Fall. Es fördert vermutlich vor allem jene politischen Kräfte, für die Hysterie und Angst der wichtigste Erfolgsfaktor sind.

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