




Frankreich hat gewählt, und Europa atmet auf. Das gilt vor allem für diejenigen Politiker und Berater, die das europäische Integrationsprojekt als eine Einbahnstraße betrachten und es für selbstverständlich halten, dass es zu weiteren Vertiefungen der Einigung kommt. So erstrebenswert eine weitere Integration aus vielerlei Gründen auch sein mag, sollte sie doch mit Augenmaß angestrebt – und eventuell sogar mit Rückschritten verbunden werden. Das lehrt die Geschichte der europäischen Staatsschuldenkrise seit 2009 sehr eindrucksvoll.
Wirtschaftspolitische Pläne von Emmanuel Macron
Die Unternehmenssteuer soll von derzeit 33 auf 25 Prozent gesenkt werden. Die Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE) soll umgewandelt werden in eine dauerhafte Entlastung für Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen.
An der 35-Stunden-Woche soll festgehalten werden. Allerdings könnte sie flexibler geregelt werden, indem Betriebe über die tatsächliche Arbeitszeit mit ihren Beschäftigten verhandeln.
Sie sollen von bestimmten Sozialabgaben befreit werden. Dadurch könnten Niedriglohnempfänger einen zusätzlichen Monatslohn pro Jahr in ihren Taschen haben.
Binnen fünf Jahren sollen 50 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern investiert werden. 15 Milliarden Euro davon sollen in bessere Aus- und Weiterbildung gesteckt werden, um die Einstellungschancen von Jobsuchenden zu verbessern. Ebenfalls 15 Milliarden Euro sind geplant, um erneuerbare Energien zu fördern. Weitere Milliarden sind für die Landwirtschaft, die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, für Infrastruktur und Gesundheitswesen geplant.
60 Milliarden Euro an Einsparungen sind bei den Staatsausgaben vorgesehen, die in Frankreich traditionell hoch sind. Zehn Milliarden Euro soll der erwartete Rückgang der Arbeitslosenquote von derzeit etwa zehn auf sieben Prozent bringen, indem die Ausgaben für Arbeitslosengeld sinken. Durch eine verbesserte Effizienz soll das Gesundheitswesen zehn Milliarden einsparen, weitere 25 Milliarden Euro die Modernisierung des Staatsapparates.
In Gegenden mit niedrigem Einkommen soll die Schülerzahl auf zwölf pro Klasse begrenzt werden. Lehrer sollen als Anreiz für eine Arbeit in solchen Regionen einen Bonus von 3000 Euro pro Jahr bekommen. Mobiltelefone in Schulen sollen für Kinder bis 15 Jahren verboten werden. Alle 18-Jährigen sollen einen Kulturpass im Wert von 500 Euro erhalten, den sie beispielsweise für Kino-, Theater- und Konzertbesuche ausgeben können.
Nicht alle ziehen diese Schlussfolgerungen: Kaum ist das Gespenst Le Pen (vorerst) vertrieben, fordern die deutschen Sozialdemokraten (SPD), dem neuen französischen Präsidenten Macron Spielräume für höhere Neuverschuldung einzuräumen; auch ein gemeinsamer europäischer Haushalt wird ins Spiel gebracht. Damit werden genau die Themen wieder öffentlich diskutiert, die zur Gründung der AfD geführt haben. Das verheißt nichts Gutes für die Bundestagswahl im September – weder für die SPD selber noch für die Zusammensetzung des Bundestages. Der AfD ohne Not neue Munition zu liefern, kann nur als dumm bezeichnet werden.
Außerdem – und das ist für den Erfolg Europas am Ende noch wichtiger – gefährdet die SPD damit den Reformerfolg des neuen Präsidenten. Es ist zwar richtig, dass Herr Macron selber ähnliche Vorschläge ins Spiel gebracht hat und die Deutschen zur Unterstützung aufgefordert hat. Es ist auch richtig, dass die Deutschen ihm selbstverständlich Unterstützung gewähren müssen. Es ist jedoch keineswegs klar, dass man mit vorauseilender Bereitschaft zu einer neuen europaweiten Verschuldungsrunde den Franzosen hilft.
Frankreich scheint statt mehr öffentlicher Ausgaben – mit denen kein nachhaltiges Wachstum erzeugt werden kann – Strukturreformen zu brauchen, die gerade der öffentlichen Hand in der Wirtschaft eine etwas kleiner Rolle zuweisen. Flexiblere Arbeitsmärkte mit besseren Chancen für Jugendliche, bessere Integration der Zuwanderer, späterer Renteneintritt und Öffnung von Karrierechancen für alle Franzosen im öffentlichen Dienst (Stichwort ENA) sind wirtschaftspolitische Themen, die der Präsident angehen muss und offenbar auch will. In Frankreich ist der Widerstand gegen derartige Reformen traditionell hoch, weil sie tradierte Privilegien angreifen.
Niemand erwartet, dass Emmanuel Macron der Ludwig Erhard des 21. Jahrhunderts wird. Dennoch hat er im Wahlkampf angedeutet, dass er bereit ist, einige heilige Kühe der Franzosen zu opfern, um mehr wirtschaftliche Dynamik zu erzielen. Überdies scheint der neue Präsident ein gewisses Momentum auf seiner Seite zu haben und die Menschen mitreißen zu können. Selten schien in Frankreich eine günstigere Konstellation für wirtschaftspolitische Reformen vorgelegen zu haben als heute. Wenn es gut läuft, bekommt er im Juni in den Parlamentswahlen die nötige Mehrheit zugestanden. Wenn es dann aber mit den Reformen – wie stark sie auch immer die Politik verändern – konkret wird, wächst auch der Widerstand. Die jetzt herrschende Euphorie wird nicht lange anhalten.