Freytags-Frage

Wie kann eine Jamaika-Koalition funktionieren?

Union, FDP und Grüne müssen viele Kompromisse schließen – allen voran bei den Themen Rente, Steuern, Europa und Verteidigung. Wie Lösungen aussehen könnten und was für wen nicht verhandelbar ist.

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Wie könnten die Lösungen der Jamaika-Koalition aussehen und was wird unverhandelbar sein. Quelle: dpa

Nach der Landtagswahl in Niedersachsen kann endlich mit Sondierungsgesprächen auf Bundesebene begonnen werden. Union, FDP und Grüne stehen vor der komplizierten Aufgabe, eine Regierung zu bilden, die den vielfältigen Herausforderungen der unmittelbaren Zukunft angemessen begegnen kann. Diese Aufgabe wird nicht leicht, weil es neben vielen Gemeinsamkeiten, beispielsweise der Einsicht in die Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes, das klare Bekenntnis zur europäischen Integration sowie einer ernsthaften Digitalisierung, auch viele Differenzen gibt.

Dies zeigt sich bereits auf der grundsätzlichen Ebene, nämlich im Umgang der Politik mit den Bürgern. So scheinen sämtliche beteiligten Parteien außer der FDP eine grundsätzlich paternalistische Haltung den Bürgern gegenüber zu haben. Aus der Erfahrung der letzten Wahl heraus kann es sich die FDP vermutlich nicht erlauben, in eine Koalition einzutreten, in der die Menschen nicht als selbstbestimmte Individuen gesehen werden, sondern vom Nanny-Staat verwöhnt beziehungsweise bevormundet werden sollen.

Diese grundsätzlichen Unterschiede führen dann auch zu großen Differenzen bei Sachthemen. Ein Beispiel ist die Energiewende, die von allen Parteien befürwortet wird. Unterschiede bestehen bei der Frage, mit welcher Strategie das Ziel am besten erreicht werden kann. Die heute betriebene Politik setzt darauf, Technologien vorzuschreiben. Die Alternative wäre, mithilfe von Quoten es den Stromerzeugern selber zu überlassen, welche Technologien sie einsetzen. Das Innovationspotential der zweiten Strategie ist deutlich höher und sie dürfte auch kostensenkend sein. Auch die Bedeutung konventioneller Energien wird bei den Verhandlungspartnern unterschiedliche eingeschätzt.

Darüber hinaus gibt es Dissens bei der Rente, in der Steuerpolitik, der Verteidigungsausgaben und der Datenspeicherung. Ein zentrales Feld ist die Europapolitik, bei der wie oben erwähnt das Ziel bei allen vier Partien identisch zu sein scheint: Die europäische Einigung ist allen ein hoher Wert. Nur bei der Strategie gibt es Unterschiede. Eine Einigung hängt für die Grünen offenbar vom Ausmaß der Solidarität, also der Zahlungsbereitschaft des deutschen Steuerzahlers ab, während die FDP eher auf die Einhaltung des umfangreichen Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion setzt. Die Erfahrungen des Krisenmanagement nach 2009 und der Konsequenzen für die FDP (vor allem aber für die Menschen in Europa, deren Beschäftigungsmöglichkeiten und Alterssicherung) legen nahe, dass dieses Feld für die FDP nicht verhandelbar sein sollte.

All diese Meinungsunterschiede sind dennoch lösbar. Entscheidend dürfte sein, dass die Ressortzuteilung vernünftig gestaltet wird. In der Europapolitik wird dies sehr deutlich, vor allem vor dem Hintergrund der Vergemeinschaftungspläne des französischen Präsidenten Emanuel Macron. Dessen Ideen sind nicht geeignet, die notwendigen Strukturreformen des europäischen Südens weiter zu unterstützen, sondern dürften das Elend der Eurozone eher verlängern. Solange es die Möglichkeit gibt, Verantwortung losgelöst von Haftung zu übernehmen, wird dies geschehen, und zwar in allen Mitgliedsländern der Währungsunion.

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