Freytags-Frage

Wie kann Sigmar Gabriel die Deutschen vom Freihandel überzeugen?

Die Deutschen sind gegen die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA, die SPD trotz aller Widerstände dafür. Der SPD-Chef und Wirtschaftsminister sollte nun eine Rede halten. Ein Vorschlag, was Gabriel sagen müsste.

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Gabriel Quelle: REUTERS

Der Wirtschaftsminister hat sich bei seinen Parteigenossen am Montag durchgesetzt. Sie haben mit einer deutlichen Mehrheit der Annahme des Freihandelsvertrags mit Kanada (CETA) zugestimmt. Das sind gute Nachrichten, nicht nur für Herrn Gabriel und die SPD, sondern auch für die Bürger und mittelständischen Unternehmen.

Insofern hilft diese Entscheidung sowohl den Bürgern als auch der Politik selber - eine ideale Konstellation. Wenn es gelänge, diese Konstellation nachhaltig zu gestalten, das heißt das Wohl der Bürger stünde permanent die im Interesse der Parteien, wäre dies ein großer Erfolg. Dann würde die Unzufriedenheit in der Bevölkerung dauerhaft abnehmen, und extreme und menschenverachtende Parteien hätten weniger Chancen, von Null auf zweistellige Prozentzahlen bei Wahlen zu kommen.

Viele Bürger glauben, CETA und TTIP schaden ihnen

Das Problem ist in der Tat, dass diese Interessenkongruenz nicht immer ersichtlich ist. Im Falle von CETA und der transatlantischen Freihandelszone (TTIP) sind viele Bürger gegen die Logik und die empirische Evidenz davon überzeugt, sie schadeten ihnen. Dem kann man kurzfristig nur sachlich und mit guten Argumenten begegnen, in der langen Frist werden die positiven Effekte sichtbar; allerdings werden diese immer von anderen Effekten überlagert. Dies ist das Problem sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen und ihrer Bewertung. Deshalb arbeiten Sozialwissenschaftler in empirischen Arbeiten regelmäßig damit, nur eine Veränderung (z.B. Freihandel mit Kanada) zu betrachten und alles andere als konstant zu simulieren. Dies ist zwar unbefriedigend, aber sorgfältig.

Hier kann der Wirtschaftsminister kraft seines Amtes (und eventuell seiner Persönlichkeit) aktiv werden, und zwar sowohl mit Worten als auch mit Taten. Um ersteres geht es hier: Konkret heißt dies, dass er zunächst eine Rede halten beziehungsweise Statements abgeben müsste, die seine Kompetenz unterstreicht und zugleich die Bürger mitnimmt und ihnen die Angst nimmt. Auch kann eine Reihe guter Statements die Vereinfacher von links wie rechts (und von Grün) bremsen und das Vertrauen in die Volksparteien stärken. Also hier der Vorschlag zur Wirtschaftspolitischen Grundsatzerklärung:

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

in dieser Woche haben die Sozialdemokraten eine Entscheidung gefällt, die der deutschen Wirtschaft Schwung verleihen wird und damit auch ihre Arbeitsplätze ein wenig sicherer macht. Wir haben beschlossen, dem Freihandelsvertag mit Kanada im Bundestag zuzustimmen. Es ist uns nicht leichtgefallen, denn wir sind uns sehr bewusst, dass in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung ist kein Arbeitsplatz mehr sicher ist und mehr Wettbewerb durch den Abbau von Protektion aller Art diesen Trend verstärken kann – wir verstehen, dass Sie das beunruhigt.

SPD-Chef Gabriel zufrieden über Unterstützung seiner Partei für Ceta-Abkommen mit Kanada

Aber bitte bedenken sie, dass gerade die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem vermutlich einmaligen Ausmaß durch die Globalisierung gewinnen, und dies schon seit Jahrzehnten. Die deutschen Unternehmen exportieren in der Summe mehr Güter, als jedes andere Land ins Ausland verkauft. Der Export ist unsere Jobmaschine. Unsere Unternehmen stellen hochtechnologische Güter und Lösungen her, die gute Gewinne und hohe Löhne garantieren.

Aber dies ist es nicht allein. Auch Importe sind wichtig. Schauen Sie sich um: Zahlreiche Vorprodukte in deutschen Exportgütern, Investitionsgüter, aber auch Haushaltsgegenstände und Freizeitutensilien sind im Ausland gefertigt worden. Dadurch haben wir erstens die Chance, die besten und günstigsten Produkte zu erwerben; zweitens sorgt die ausländische Konkurrenz dafür, dass auch unsere Unternehmen sich ständig verbessern. Sie tun es permanent; zahlreiche mittelständische deutsche Unternehmen sind sog. ‘Hidden Champion‘, also Weltmarktführer in ihrer Nische. Drittens schaffen wir mit unseren Importen Jobs im Ausland, seit einigen Jahren besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern.

Wenn der Wohlstand gefährdet wird, dann durch uns selber

Damit werden wir unserer entwicklungspolitischen Verantwortung gerecht. Nebenbei schaffen wir die Kaufkraft, die es braucht, damit die Menschen aus diesen Ländern sich unsere guten und umweltfreundlichen Produkte leisten zu können. Das ist vorteilhaft für alle.

Nun können Sie zu Recht einwenden, dass durch internationalen Wettbewerb auch viele Arbeitsplätze verloren gehen. Dies ist tatsächlich ein Bestandteil jeder Marktwirtschaft, auch der Sozialen Marktwirtschaft: Jeden Tag scheiden Unternehmen aus dem Markt aus, neue treten hinzu. Wussten Sie, dass es im Jahre 2015 allein etwa 23.000 Unternehmensinsolvenzen gab? Darauf können wir nicht stolz sein, aber immerhin nimmt die Zahl beständig ab, und auch in 2016 ist ein Abwärtstrend sichtbar. Stolz aber können wir darauf sein, wie wir in der Sozialen Marktwirtschaft diesen Strukturwandel bewältigen.

Seit Jahren steigt die Beschäftigung in unserem Land; das bedeutet auch, dass viele Menschen schnell wieder einen Arbeitsplatz finden und neue Unternehmen entstehen. Diejenigen, die erst einmal keinen Arbeitsplatz finden, werden von der Sozialpolitik unterstützt. Auch hier können wir mehr tun; wir Sozialdemokraten arbeiten daran.

Aber lassen Sie sich bitte nicht ins Bockshorn jagen durch diejenigen politischen Kräfte, die trotz unserer guten Lage Ängste schüren und ihnen einreden wollen, dass gerade von außen – sei es durch Handel, sei es durch Flüchtlinge – eine große Gefahr droht. Das ist zu billig! Es sind nicht ausländische Unternehmen und schon gar nicht die Schwächsten, nämlich die Flüchtlinge, die unseren Wohlstand gefährden. Wenn der Wohlstand gefährdet wird, dann durch uns selber: durch nachlassenden Ehrgeiz, durch Bequemlichkeit und durch zu viele Bemühungen, ohne Anstrengungen auf Märkten, aber durch Lobbying zum Erfolg zu kommen. Das können nur wir verhindern. Es ist unsere Verantwortung, durch gute Bildungspolitik, unternehmerischen Mut und erfolgreiche Forschungsanstrengungen die Herausforderungen durch internationalen Handel zu meistern. Wirtschaftspolitisch heißt dies, den Wettbewerb immer im Blick zu behalten. Dass wir das schaffen können, belegen wir alle gemeinsam, die Menschen, die Unternehmen und die Politik, Tag für Tag.

Stellen Sie sich einmal vor, wir folgen den Sirenengesängen an den extremen Rändern bei uns, in Großbritannien, den Niederlanden oder in Frankreich und schließen unsere Grenzen für Arbeitskräfte aus der EU (oder in Maßen aus anderen Ländern) und für Güter aus der ganzen Welt. Wie ich eben sagte, werden dann vielen Produkte nicht mehr verfügbar sein. Wie soll das Telefon ohne seltene Erden aus China oder den USA als Input funktionieren? Was wollen Sie anziehen, wenn Textilanbieter aus Entwicklungsländern nicht mehr bei uns verkaufen dürfen? Wie langweilig wäre der Speiszettel ohne Lebensmittel aus dem Ausland, wenigstens auf Dauer? Wo wollen wir unsere Produkte verkaufen, wenn die Menschen im Ausland bei uns nichts mehr verdienen?

Der Widerstand wächst: Sind TTIP und CETA noch zu halten?

Und denken Sie einmal historisch: Als vor knapp einhundert einhundert Jahren der Protektionismus sich weltweit Bahn brach, ging es den Menschen überall schlecht. Eine Konsequenz war der Aufstieg des Totalitarismus in Europa.

Vielleicht ist das ja das Ziel der Angstmacher: Uns geht es schlecht, und sie bieten einfache Lösungen an; Schuld sind die Amerikaner, die Muslime und Juden, die afrikanischen Flüchtlinge. Wollen wir das etwa? Natürlich nicht! Deshalb sollten wir den Mut nicht verlieren und auch weiterhin auf offene Märkte und Soziale Marktwirtschaft setzen. Gerade deutsche Produkte sind im Ausland begehrt, und zwar nicht, weil wir ängstlich und defensiv sind, sondern weil unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie unsere Unternehmen sich aktiv im Welthandel bewegen.

Vertrauen Sie uns; wir öffnen unsere Märkte mit Augenmaß. Handels- und Investitionsabkommen werden unsere bewährten Regelungsprinzipien und unsere Sozialpolitik nicht aushebeln – die Deutschen sind seit siebzig Jahren friedlich und erfolgreich auf den Weltmärkten unterwegs. Das wird auch so bleiben.

Vielen Dank.

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