Freytags-Frage

Wie reagiert man auf die primitive Polemik der Populisten?

Tabus brechen, zurückrudern, sich in Aufmerksamkeit suhlen: Nach diesem Muster arbeiten Populisten wie Alexander Gauland. Statt sich auf das Spiel einzulassen, sollte die Öffentlichkeit eine andere Strategie verfolgen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Alexander Gauland, Spitzenkandidat der AfD für die Bundestagswahl Quelle: dpa

Am Wochenende fiel mal wieder ein führendes Mitglied der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD), Herr Gauland, aus der Rolle, indem er mit Frau Aydan Özoğuz (SPD), der Integrationsbeauftragten des Bundes, ein Mitglied der Bundesregierung beleidigte. Er wurde daraufhin von vielen Beobachtern, darunter dem Moderator der Sendung „hart aber fair“, zur Rede gestellt. Entschuldigen wollte er sich nicht. Herr Plasberg und seine weiteren Gäste drückten ihren Abscheu aus.

Dem kann man grundsätzlich nur zustimmen. Dennoch stellt sich die Frage, ob man dem trotz seines elitären Gehabes samt Tweed-Sakko etwas simpel daherkommenden Herrn Gauland so viel Aufmerksamkeit und Aufgeregtheit gönnen sollte. Es ist ja keineswegs das erste Mal, dass die AfD mit Tabubrüchen auf unterstem moralischem und intellektuellem Niveau versucht, mediale Aufmerksamkeit zu erzielen.

Ganz im Gegenteil: Es ist eine gängige Strategie von Populisten, durch gezielte Tabubrüche, die möglichst nicht justiziabel sein sollen, Aufregung zu erzeugen. Wenn die Reaktion zu stark wird, nimmt man eben halbherzig einen Teil der Aussage zurück. Was bleibt ist eine erhöhte Wahrnehmung der Partei in der Öffentlichkeit. Herr Plasberg selber machte diesen Punkt, hörte danach aber nicht auf, Herrn Gauland genau diese Plattform zu bieten.

Die zehn wichtigsten wirtschaftspolitischen Forderungen der AfD

Man sollte mit Populisten anders verfahren, egal ob sie von rechts oder von links des Spektrums mit schlichten aber einprägsamen Parolen argumentieren. Empörung in der Dauerschleife hilft nicht. Mindestens drei wichtige Elemente sollte eine Strategie enthalten, mit der man auf der politischen Ebene gegen Populismus vorgeht.

Erstens sollte man die Populisten nicht ausgrenzen, da haben die Medien tatsächlich schon etwas gelernt. Insofern war es auch richtig, einen AfD-Vertreter zum Bürgercheck einzuladen. Denn die Existenz des populistischen Angebots ist einer realen Angst in Teilen der Bevölkerung vor Abstieg oder dem Verlust der eigenen Kultur geschuldet. Das kann man nicht wegdiskutieren, indem man so tut, als hätten die Populisten nichts gesagt. Sie sind hier, und sie haben Zulauf, also muss man sich mit ihnen so auseinandersetzen. Und zwar am besten so, dass man ihren heutigen Anhängern klarmacht, wie dünn und fadenscheinig ihr politisches Programm, das zumeist am besten mit „wir hier drinnen gegen die da draußen“ beschreiben werden kann, tatsächlich ist.

Die Auseinandersetzung muss, zweitens, inhaltlich erfolgen. Dazu sollte man die Inhalte des politischen Angebots hinterfragen und dort angreifen. Wie will Herr Gauland deutsche Interessen, von denen er immer spricht, durchsetzen? Wie soll verhindert werden, dass Menschen ihre Heimat verlassen? Wie soll es tatsächlich mit Europa weitergehen? Mit Blick auf Lösungen ist dann zumeist wenig Brauchbares bei der AfD (und leider auch nicht bei der Linkspartei) zu finden. Sobald es ins Detail geht, kann man keine Phrasen mehr dreschen. Genauso wenig überzeugend sind in der Regel statistische Aussagen der Populisten (von links übertreibt man es mit der Armut, von rechts mit der Ausländerkriminalität).

Probleme sind konkret und real

Rationale und ernsthafte Politik muss hier ganz konkret und genau argumentieren. Mit Sprechblasen kann man keine Sprechblasen entzaubern. Vor diesem Hintergrund machen die Wahlplakate im gegenwärtigen Wahlkampf Sorgen: gegen Armut, für die Umwelt, für ein schönes Deutschland; da stimmen alle zu. Man würde sich mehr Substanz wünschen.

Das Wichtigste allerdings sind entsprechende Politikangebote; dies ist der dritte und anstrengendste Teil der Strategie gegen Populismus. Denn die Probleme, die den Aufstieg der Populisten ermöglicht haben, sind konkret und oft real. Manchmal sind sie zwar eher gefühlt als real, aber auch dann braucht es gute Politik, um die Wahrnehmung zu verändern. Hier fehlt es an vielen Stellen. Drei Beispiele.

• In der Europapolitik gelten die Regeln offenbar nicht für alle. Zur Erinnerung: Die unzureichende, wenn nicht komplett verfehlte Reaktion auf die Eurokrise im Jahre 2010 war die Initialzündung zur Gründung der AfD, die ja von einigen liberalen Ökonomen gegründet wurde. Das geschah auch deshalb, weil in der Europapolitik immer gleich argumentiert wurde. Wer Kritik äußerte, galt damals schlicht als Anti-Europäer. Die Gründer hatten aber unterschätzt, dass sie nicht nur gemäßigte Verantwortungsethiker anziehen würden, sondern auch extreme und irrationale Kräfte, die sie schließlich verdrängten. Bislang fehlt ein überzeugendes Konzept zur endgültigen Lösung der Eurokrise, die nur hintangestellt ist, aber jeden Tag wiederaufleben könnte.

• Ein zweites Beispiel sind die enormen Wanderungsbewegungen der Flüchtenden des Jahres 2015. Diese haben Ängste bei einigen Bürgern erzeugt, die nicht beruhigt wurden. Sieht man sich die Realität genauer an, sind die Probleme wesentlich kleiner als befürchtet. Dennoch ist es notwendig, die Behandlung von Asylsuchenden zu professionalisieren und zugleich eine vernünftige Zuwanderungspolitik zu betreiben. Hier sieht man Ansätze, die hoffentlich langfristig den rechten Vereinfachern den Wind aus den Segeln nehmen.

• Was die Armut angeht, so ist diese nicht mit höheren Sozialleistungen nachhaltig bekämpft, sondern mit besserer Bildungspolitik. Diese beginnt im Kleinkindalter und erschöpft sich nicht darin, immer mehr Institutionen den Hochschulstatus einzuräumen. Auch hier gibt es Tendenzen, die Mut machen.
Es wird dauern, bis man diese Probleme gelöst hat – und inzwischen werden immer neue hinzukommen, die wiederum Futter für die Populisten sind. Die Antwort darauf kann nur darin bestehen, inhaltlich zu arbeiten. Empörung reicht keineswegs, so widerlich manche Einlassungen auch sein mögen. Am besten hat in dieser Hinsicht die Angegriffene selbst auf Gaulands Äußerung reagiert. Frau Özoğuz hat den Redner schlicht ignoriert.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%