Freytags-Frage
Quelle: imago images

Wie steht es um den Zeitgeist in Deutschland?

Zeitgeist – gibt es so etwas Pauschales noch? Zwar leben wir in einer Meinungsgesellschaft, jedoch fällt eine Vereinheitlichung zunehmend schwer. Am Beispiel der sozialen Marktwirtschaft ist ein Trend zu erkennen.

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Ältere Menschen neigen dazu, ihren Nachfolgergenerationen Schwächen zu unterstellen und die Vergangenheit zu glorifizieren. So kann man zum Beispiel regelmäßig hören, dass die Leistungsbereitschaft der Jungen deutlich geringer sei als die eigene. Es ginge ihnen vor allem darum, Ansprüche zu formulieren und durchzusetzen. Eigentlich kann sich niemand davon freisprechen, schon einmal so oder ähnlich argumentiert zu haben. Das gleiche haben sich übrigens die Babyboomer von der Generation ihrer Eltern anhören müssen.

Hinzu kommt, dass der Zeitgeist dem Anschein nach weitgehend gegen Leistungsbereitschaft und unternehmerisches Denken gerichtet ist. Die veröffentlichte Meinung – leider gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – sieht die Ungleichheit steigen und Unternehmer in einem üblen Licht. Dieser Lesart zufolge müssten Unternehmen vor allem daran gehindert werden, Menschen und Umwelt weltweit auszubeuten. Dass dies ein Zerrbild ist, kümmert die Vertreter dieser These nicht.

Allerdings scheint die veröffentlichte nicht die öffentliche Meinung widerzugeben. Das zeigt eine Umfrage, die jüngst vom Bundesverband junger Unternehmer in Auftrag gegeben wurde. Dort wurden einige Fragen zur Haltung der Bevölkerung gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft gestellt. Generell fällt auf, dass die Haltung zur Sozialen Marktwirtschaft wieder positiver ist.

2018 hatten 43 Prozent der Bevölkerung eine gute Meinung und 18 Prozent eine schlechte Meinung. Drei Jahre später waren es 56 Prozent bzw. 15 Prozent. Die Mehrheit der Deutschen ist heute von der Sozialen Marktwirtschaft überzeugt. Das gab es zuletzt 1999 (zumindest in den in der Studie zitierten Befragungen).

Auch stimmen 51 Prozent der Befragten der Aussage „Jeder ist seines Glückes Schmied. …“ zu, 31 Prozent glauben dies nicht. Drei Viertel aller Befragten sehen die Notwendigkeit für die Übernahme unternehmerischen Verantwortung (10 Prozent sehen das nicht so). Zur staatlichen Absicherung ist das Land eher gespalten. Mit 34 Prozent stimmen rund ein Drittel der Befragten für geringe Steuern und Abgaben, 37 Prozent sind eher für eine umfassende staatliche Absicherung und hohe Steuern und Abgaben.

Die Autoren der Studie unterschieden vier Altersgruppen, nämlich die 16- bis 29-jährigen, die 30- bis 44-jährigen, die 45- bis 59-jährigen Menschen und die Älteren. Die Antworten zu diesen Fragen fallen zum Teil in den vier Altersgruppen sehr unterschiedlich aus; nicht so ist es bei der Einschätzung der Bedeutung unternehmerischer Verantwortung.

Die 16- bis 29-jährigen Menschen glauben eher an die These, dass jeder seines Glückes Schmied sei (Zustimmungsrate 64 Prozent), als die Alten (um den oder etwas unter dem Durchschnitt von 51 Prozent). Genauso stimmen etwas mehr Befragte der beiden jüngeren Altersgruppen für geringe Steuern als für höhere. Bei den 45- bis 59-Jährigen hält es sich die Waage, unter den Befragten ab 60 stimmen 42 Prozent für hohe und nur 16 Prozent für geringe Steuern.

Interessant ist noch das Ergebnis das junge Anhänger der Grünen (16 bis 29 Jahre alt) beim Begriff Soziale Marktwirtschaft mehr als ihre Altersgenossen mit anderen politischen Präferenzen an die Stichworte Leistung, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Menschlichkeit, aber weniger an Sicherheit und Wohlstand denken. Nach der Lektüre wundert es niemanden mehr, dass die Erstwähler bei der Bundestagswahl im September 2021 zu jeweils über 20 Prozent für die Grünen und die Liberalen gestimmt haben.

Nun stellt sich die Frage, ob mancher nun sein Vorurteil über diejenigen revidieren muss, die freitags für den Klimaschutz demonstrieren. Zumindest hat sich eine Mehrheit der jungen Menschen nicht in eine Komfortzone zurückgezogen, um auf den benevolenten Staat zu warten, sie zu beglücken. Allerdings fällt auch auf, dass diese Mehrheit weitgehend schweigt. Diejenigen, die für Leistungsbereitschaft und Marktwirtschaft plädieren, tun dies sehr leise und zurückhaltend. Das ist nichts Ungewöhnlich, denn wer arbeitet, hat wenig Zeit für Agitation.

Wer hingegen den Staat als Versorger ansieht, muss lautstark dafür werben. Gleiches gilt für die Anbieter des Sozialstaates, also die Politiker und Verwaltungsbeamte, die davon leben, dass viele andere Hilfe brauchen. Insofern ist es nachvollziehbar, dass die Stimmen in der Öffentlichkeit etwas zu Ungunsten der Sozialen Marktwirtschaft verzerrt sind. Vor dem Hintergrund enormen Herausforderungen ist es deshalb nötig, umso lauter für Marktwirtschaft, Freiheit und Verantwortung zu plädieren.

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Aber es gibt Hoffnung. Denn offenbar ist der Zeitgeist nicht so anti-marktwirtschaftlich und staatsgläubig, wie uns etliche Politiker und Journalisten weismachen wollen. Gerade die junge Generation in ihrer Mehrheit will etwas leisten und sich nicht alimentieren lassen. Das ist erfreulich und sollte uns Mut machen.

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