Freytags-Frage
Es ist nichts Neues, dass auch Regierungen Katastrophen, Terrorangriffe oder Bedrohungen von außen dazu nutzen, mit Notverordnungen die Freiheit einzuengen. Quelle: dpa

Wie steht es um die individuelle Freiheit in Deutschland?

Die Pandemie-Bekämpfung erfordert eine Beschränkung der Freiheitsrechte. Obwohl das sinnvoll sei, würden aber einige Politiker übertreiben und die Freiheit auf geradezu groteske Art einschränken, meint unser Kolumnist.

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Es ist nichts Neues, dass auch Regierungen in Demokratien Katastrophen, Terrorangriffe oder Bedrohungen von außen dazu nutzen, mit Notverordnungen oder ähnlichen Maßnahmen individuelle Freiheitsspielräume der Bürger zu begrenzen. Im vorliegenden Fall einer Pandemie wird von der Bevölkerung relativ klaglos hingenommen, dass individuelle Mobilität und Versammlungsfreiheit temporär eingeschränkt werden – das ist durchaus sinnvoll, um die Pandemie einzudämmen.

Allerdings sollte man sich Sorgen machen, wenn die politischen Entscheidungsträger oder solche, die es gerne werden wollen, übertreiben. Wir werden gerade Zeugen und Betroffene solcher Übertreibungen zugleich. Anstatt mit dem gesteigerten Einfluss vorsichtig und bescheiden umzugehen und die Bürger als mündige Individuen mit Verantwortungsbewusstsein zu betrachten und in die Pandemiebekämpfung vernünftig und verantwortungsvoll einzubeziehen, verachten etliche Politikerinnen und Politiker die individuelle Freiheit geradezu. Das zeigt sich gerade in den letzten Tagen an zahlreichen Beispielen, zum Teil sehr subtil, zum Teil recht direkt.

• Beginnen wir mit Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident hat sich als ein überzeugter Befürworter des Lockdowns um nahezu jeden Preis erwiesen, ohne dass er für sich reklamieren könnte, besonders erfolgreich in der Infektionsvermeidung gewesen zu sein. Er hat sich dabei stets großzügig über Freiheitsrechte hinweggesetzt. Zuletzt hat er noch für sich reklamiert, bestimmen zu können, welche Berufe systemrelevant sind. Damit erklärt er sich für allwissend und meint offenbar, in nahezu feudaler Manier über Glück oder Unglück, Erfolg oder Misserfolg entscheiden zu können.

• Im Saarland plant die Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger ein Werbeverbot für Güter, „die nicht zum täglichen Bedarf oder zur Grundversorgung gehören“. Sie möchte damit verhindern, dass die Menschen wegen eines Sonderangebots das Haus verlassen und einkaufen gehen. Zuwiderhandlungen sollen ab dem kommenden Montag drastisch bestraft werden. Man kann den Impuls verstehen, die Kontakte zwischen den Menschen niedrig zu halten. Es ist aber arrogant, zu behaupten, dass die Menschen nicht in der Lage wären, für ihre Gesundheit Sorge zu tragen. Sie nun zu diesem Zweck vor Werbung schützen zu wollen, ist grotesk. Es schränkt zudem die unternehmerische Freiheit der Werbebranche ein.

• Auch die Urlaubsdebatte – sollen wir über Ostern reisen dürfen oder nicht – treibt seltsame Blüten, abgesehen davon, dass die Frage zur Unzeit aufgerufen wurde; man kann heute wohl noch nicht sagen, was in sechs Wochen möglich sein wird. Im Gespräch mit der ARD sagte der sozialdemokratische Spitzenpolitiker Kevin Kühnert dennoch sinngemäß, eine Woche Urlaub im Hotel sollte es auch in absehbarer Zukunft noch nicht geben – in den Zoo oder ins Museum dürften die Menschen dann vielleicht schon gehen. Da liegen sofort Vorstellungen nahe, die ihn als Manager staatseigener Ferienheime sehen: Verdiente Genossen dürfen an die Ostsee (oder, wenn es richtig gut läuft, nach Kuba oder Venezuela) reisen; liberale Dissidenten müssen in die Lüneburger Heide zum Zelten (wenn sie ihren Bezirk überhaupt verlassen dürfen).
Ganz im Ernst, es mutet etwas seltsam an, dass ein junger Mann ohne Amt, aber mit Ambitionen, glaubt verfügen zu können, wie die Bürger ihre Zeit verbringen sollen.

Diese Ausfälle könnte man noch der Coronakrise zuschreiben, obwohl man von politischen Entscheidungsträgern oder solchen, die es unbedingt werden wollen, auch in Krisen eine klare Einschätzung der Verantwortlichkeiten zwischen Staat und Bürgern erwarten sollte. Vorsicht ist also angebracht. Dies gilt umso mehr, als dass solche Angriffe auf die Freiheit schon seit längerem anhalten. Die Angreifer kommen sowohl aus der Politik als auch aus der Zivilgesellschaft. Sie führen regelmäßig gute Gründe an: Umweltschutz, Gesundheit, Schutz vor Diskriminierung.

• Über die Grünen braucht man in diesem Zusammenhang kaum Worte zu verlieren. Immer wieder versuchen grüne Spitzenpolitiker mit Hilfe von Verboten und Vorschriften, die Menschen zu beglücken. Sachlich mag es sogar richtig sein, dass in Norderstedt kaum noch Raum für neue Einfamilienhäuser ist oder dass viele Menschen sich falsch ernähren. Auch die Stromerzeugung unter Verwendung der Braunkohle ist nicht mehr zeitgemäß. In einer freiheitlichen Demokratie regelt man das aber nicht mit Verboten, sondern über steuerliche Anreize, andere Formen des Preismechanismus oder im Fall der Lebensmittelindustrie mit Vorschriften zur Steigerung der Transparenz – damit beseitigt man das technische Marktversagen der asymmetrischen Informationen. Dies sind Maßnahmen, die sämtlich auf die individuelle Verantwortung abzielen. Denn Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Wer die Menschen vor der Verantwortung bewahren will, nimmt ihnen die Freiheit.

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