Freytags-Frage
Wie wird Deutschland innovativer? Quelle: Getty Images

Wie wird Deutschland innovativer?

In der Coronakrise treten technologische und organisatorische Defizite in Deutschland zutage. Ein Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation zeigt fünf Prioritäten für die nächste Regierung auf.

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Je länger die Coronakrise andauert, desto deutlicher treten die enormen technologischen und organisatorischen Defizite in Deutschland zutage. Diese Defizite sind nicht nur für die unmittelbare Krisenbekämpfung, sondern auch für die Gestaltung der Zukunft von Belang.

Es wird zweierlei deutlich: Erstens sind wir technologisch nur noch in wenigen Feldern führend; gerade in der Digitalisierung scheint Deutschland weit zurück zu sein. Zweitens scheinen Verwaltungsvorschriften inzwischen einen Wert an sich darzustellen. Ihnen zu folgen, scheint den Mitgliedern der Verwaltung weit wichtiger zu sein, als ein Problem zu lösen. Das kann man an der zögerlichen Verabreichung des liegengebliebenen Impfstoffes oder an der offenkundigen Weigerung der Bürokratie ablesen, sich mit zumindest interessanten Strategien der Pandemie, wie zum Beispiel der Nutzung von UV-Licht in sogenannten UV-C-Lampen, überhaupt zu beschäftigen.

Gleichzeitig zeigen die genannten Beispiele der Impfstoffe und der UV-C-Lampen auch, dass der Erfindergeist und das Innovationspotenzial in Deutschland ungebrochen hoch sind. Dies sollte Hoffnung geben und zum Anlass genommen werden, für mehr Dynamik und Risikofreude in Deutschland zu werben. Denn es muss doch jedem klar sein, dass die Zeit nach der Pandemie anders sein wird als die Zeit vor der Pandemie: Überall auf der Welt werden die Anstrengungen, schnell aus der Krise herauszuwachsen, steigen. Es wird einen harten Wettbewerb geben, um Märkte, um Technologien, um Köpfe. Wer da schläft oder auf der Beachtung veralteter Vorschriften besteht, fällt zurück.

von Dominik Reintjes, Thomas Stölzel

In dieser Gemengelage erschien vor etwa 14 Tagen das neue jährliche Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). Wie regelmäßig blieb es leider unter dem Radar der Öffentlichkeit, obwohl es einige bemerkenswerte und politisch relevante Aussagen enthält. Da es unmöglich ist, das gesamte Gutachten zu diskutieren, werden hier die mit dem Gutachten veröffentlichten Erwartungen der EFI an die nächste Bundesregierung analysiert. Es ist zunächst völlig richtig, von der jetzigen Bundesregierung nichts mehr zu erwarten. Sie wirkt jetzt schon ermattet. Der anstehende Wahlkampf wird nicht zu einer dynamischen und sachgerechten Regierungsarbeit beitragen. Es geht bis September nur noch darum, die Coronakrise endlich zu bewältigen.

Umso wichtiger ist es, die Probleme zu benennen, die eine zukünftige Bundesregierung, welcher Provenienz auch immer, zu bewältigen hat. Die technologische Lücke gilt es zu schließen. Dazu kommen die globalen und nationalen Herausforderungen durch beispielsweise den Klimawandel beziehungsweise die demographische Entwicklung. Hier kann Technologiepolitik eine wesentliche Rolle spielen. Aufbauend auf einer nachhaltigen Haushaltspolitik und verstärkten Innovationsanstrengungen vor der Coronakrise (also bis 2019) sieht die EFI gute Chancen, zur Bewältigung dieser Herausforderung. Fünf Prioritäten werden dazu von der nächsten Regierung erwartet.

1. Zunächst wird gefordert, dass „Große gesellschaftliche Herausforderungen...“, gemeint ist vor allem der Klimawandel und das Anstreben von Nachhaltigkeit, angegangen werden. Dabei stünde man erst am Anfang eines Transformationsprozesses. Dieses Bild ist insofern verwirrend, als dass Transformationsprozesse weder einen definierten Anfang noch ein klar zu bestimmendes Ende aufweisen.

Strukturwandel ist ein permanenter und fließender Prozess, der nicht ab jetzt bewältigt und möglichst zielgenau gestaltet werden muss. Hier wird der Eindruck vermittelt, der Staat müsse es nur ernst meinen, dann funktioniere die Transformation schon. Wenn es so wäre, stellt sich die Frage, warum so lange gewartet wurde. Es ist allerdings zu begrüßen, dass die Kommission „Technologieneutralität“ fordert, denn es ist sehr wohl eine staatliche Aufgabe, Vorgaben für die Umweltqualität, zum Beispiel in Form von Emissionshöchstgrenzen zu formulieren. Die Technologien auf dem Weg dahin sollte der Staat aber nicht vorgeben.

2. Zweitens wird verlangt, dass technologische Rückstände aufgeholt und in „potenziellen Schlüsseltechnologien“ gar nicht erst entstehen sollten. Hier schimmert eine übertriebene Staatsgläubigkeit durch. Denn es ist sehr schwer, Schlüsseltechnologien der Zukunft korrekt vorherzusagen. Aber es ist natürlich leicht, sie zu definieren, wenn man mit dem Geld anderer Leute (Steueraufkommen) agiert. Die Kommission findet insofern eine salomonische Lösung, als dass sie von Megatrends wie der Digitalisierung spricht – diese steht im Vordergrund der Aussagen zu dieser Priorität. Die Kommission fordert ein Digitalministerium auch zur Förderung von E-Government. Der Fokus ist in diesem Punkt verrutscht – es liegt wohl nicht an den mangelnden technologischen Anstrengungen der Forscherinnen und Forscher in Wissenschaft und Wirtschaft, sondern in der Schwerfälligkeit deutscher Behörden, von denen etliche nach wie vor nicht ohne Stempelkissen und Kohlepapier auszukommen scheinen.

3. Der dritten Priorität „Fachkräftebasis sichern“ ist vollumfänglich zuzustimmen. Wichtig sind Aus- und Weiterbildung auch in der Nutzung moderner Technologien, Anreize zur Vollzeitbeschäftigung von Frauen und deren Gleichstellung im Beruf und die Anwerbung von ausländischen Fachkräften. Daneben ist positiv zu vermerken, dass die Kommission die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen erhöhen möchte; das wäre vermutlich ohnehin notwendig, wenn die Altersrenten nicht dauerhaft sehr niedrig sein sollen.

4. Unter dem Stichwort „Innovationsbeteiligung erhöhen“ diskutiert die Kommission den schon seit langem sichtbaren Rückgang des Produktivitätswachstums in Deutschland, der mit einer sinkenden Gründungsaktivität gerade in forschungs- und wissensintensiven Sektoren einhergeht. Gefordert werden bessere Bedingungen für Forschung, technologiegetriebene Beschaffung und eine „Zukunftsquote“, also feste Quoten für Bildung, Forschung und die schon diskutierten Schüsselinvestitionen, in der Haushalten der Bundesministerien. Auch hier ist kritisch anzumerken, dass dem Staat vermutlich zu viel zugetraut wird; Forschungspolitik ist hier überfordert und nicht der richtige Ansprechpartner.

Es wäre auf jeden Fall zielführend, erstens wiederum auf bürokratische Hemmnisse für Gründer einzugehen. Dies kann keine Aufgabe der Forschungspolitik sein. Zweitens sollte die Bundesregierung ihre Subventionspolitik überdenken. Von den rund 200 Milliarden Euro, die 2019 an Subventionen auf allen Regierungsebenen ausgegeben wurden, galten die meisten eher den Verlierern des Strukturwandels und nicht den potenziellen Schlüsseltechnologien. Der richtige Weg ist der ersatzlose Abbau dieser Subventionen bei gleichzeitiger Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer in Verbindung mit großzügigen Abschreibungsmöglichkeiten für mit Forschung und Entwicklung verbundenen Ausgaben (in allen Sektoren). Drittens darf man Verantwortlichkeiten anderer Politikfelder wie der Geldpolitik für die drohende Zombifizierung (auch eine Ursache für geringes Produktivitätswachstum und sinkende Gründungsaktivität) nicht unterschlagen.

5. Richtigerweise wird abschließend eine Erhöhung der „Agilität der F&I-Politik“ verlangt. Auch hier gilt, dass die Forschungs- und Innovationspolitik nur ein Akteur unter vielen in diesem Spiel ist, was die Kommission berücksichtigt, wenn sie fordert, Politiken zu koordinieren und Synergien zu erzielen. Wer die interministeriellen Streitigkeiten in Berlin beobachtet, kann Zweifel bekommen, wie realistisch diese Forderung ist.

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Insgesamt ist dieser Forderungskatalog angemessen und abgewogen. Aus Institutionenökonomischer Perspektive steckt dennoch zu viel Staatsgläubigkeit in den Vorschlägen. Der Staat kann nicht wissen, welche Technologien als nächstes wichtig werden, dieses Wissen besteht dezentral und muss dezentral verarbeitet werden. Hinzu kommt, dass auch eine neue Regierung wissenschaftlich begründete Forderungen zu mehr Aktivität gerne aufgreifen wird; die Regierung ist eben kein „wohlmeinender Diktator“. Etwas mehr Beachtung der politökonomischen Zusammenhänge würde die Forderungen wie auch das ganze Gutachten noch lesenswerter machen.

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