Freytags-Frage
Die Verwaltung in Deutschland ist in vielen Bereichen von Akten und Ordnern geprägt und wenig digitalisiert. Quelle: dpa

Wie wird Deutschlands öffentliche Verwaltung wieder funktionsfähig?

Insgesamt hat sich eine enorme Bräsigkeit in der öffentlichen Verwaltung breitgemacht. Die kommende Bundesregierung muss hier eine Herkulesaufgabe bewältigen. Drei Aufgaben scheinen besonders wichtig.

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Spätestens seit Beginn der Coronakrise muss auch dem letzten Bürger hierzulande klar geworden sein, dass dieses Land schlechter regiert wird, als es die Menschen verdienen. Auf allen Ebenen knirscht es. Auf Bundesebene verspielt die Regierung wirksamen Kilmaschutz, verschläft die Digitalisierung und lässt zu, dass in Europa Kräfte der Desintegration an Fahrt gewinnen. Die Verwaltung auf Landes- und kommunaler Ebene funktioniert nur schleppend, die Abläufe sind veraltet, und moderne Technologien finden in Deutschland kaum Anwendung. Der Datenschutz scheint digitale Verwaltungsabläufe nahezu unmöglich zu machen.

So waren anfangs der Coronakrise die Gesundheitsämter regelmäßig überfordert. Die Inbetriebnahme der Impfzentren dauerte quälend lange, und beispielsweise die Nutzung von Corona-Apps scheitert offenbar am Datenschutz. In der jüngsten Hochwasserkatastrophe zeigte sich, dass die Warnsysteme veraltet und nicht auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort abgestimmt sind.

Aber auch wer nicht von Corona oder Hochwasser betroffen ist, hat in Deutschland oftmals wenig Freude, wenn er mit einer Behörde zu tun hat. Das betrifft zunächst die öffentliche Auftragsvergabe; diese ist höchst intransparent und erfordert einen hohen bürokratischen Aufwand. Das ist für beide Seiten sehr anstrengend, denn auch die öffentlichen Beschaffer leiden unter dem Mehraufwand.

Wer ein Unternehmen gründen will, muss sich auf lange Verfahren einstellen. Genehmigungen für Infrastrukturprojekte und deren anschließende Umsetzung dauern gefühlt endlos. Dies liegt sowohl an den umfassenden Verwaltungsvorschriften und dem mangelnden Interesse öffentlicher Akteure an schneller und preiswerter Realisierung der Projekte – man denke nur an den Berliner Flughafen – als auch an der Klagefreude vieler Bürger, die oft mit dem Argument des Umweltschutzes eigene Interessen verfolgen. Niemand möchte eine Straße, ein Windrad oder eine Stromtrasse in der Nähe haben; aber natürlich wollen alle mobil sein und ausreichend mit Strom, Wärme und Wasser versorgt werden.

Insgesamt hat sich eine enorme Bräsigkeit in Deutschland breitgemacht; die öffentliche Verwaltung ist insofern ein Spiegel der Gesellschaft. Der Verwaltung ist die Einhaltung der Form regelmäßig wichtiger als die Lösung eines Problems; im Zweifel wird das Handeln bestraft und das Unterlassen belohnt. Die Politik nimmt diese Probleme in der Verwaltung regungslos zur Kenntnis, bei den Bürgern beobachtet man zynisch kommentierte Fassungslosigkeit in Verbindung mit Resignation. Noch geht es den meisten Menschen so gut, dass sie sich eher ins Private zurückziehen und sich nicht mehr darum kümmern.

Wenigstens war das bis Mitte Juli so. Nach der Flutkatastrophe im Südwesten der Republik konnte man sehen, wie hoch die Bereitschaft Einzelner ist, sich für das Gemeinwesen einzusetzen – aus allen Bundesländern sind Helfer in die Hochwassergebiete gereist, um den Betroffenen zu helfen. Unter den Bürgern der beschädigten Städte und Dörfer herrscht ein hohes Maß an Solidarität. Es gibt Spenden aus ganz Deutschland in Millionenhöhe. Das macht Mut.

Es sollte aber auch wachrütteln. Denn nun müssten die staatlichen Akteure wieder besser zu funktionieren lernen. Die kommende Bundesregierung muss hier eine Herkulesaufgabe vollbringen. Sie ist aber nicht unmöglich. Drei Aufgaben scheinen besonders wichtig.

Zunächst muss die Regelungswut auf Bundesebene zurückgedrängt werden. Die Leistungsfähigkeit einer Regierung bemisst sich weder an der Anzahl noch an den Namen neuer Gesetze; niemand braucht ein „Gute-Verwaltungen-Gesetz“, alle brauchen jedoch gute Verwaltungen! Es muss auch nicht alles im Kleinsten geregelt werden; Zum Beispiel sollte die neue Bundesregierung endlich den Versuch starten, europäische Richtlinien nicht als Klassenbester, sondern mit Augenmaß umzusetzen.

Zweitens sollte ein Prozess gestartet werden, mit dessen Hilfe man das herrschende Recht auf innere Widersprüche sowie auf die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der vielen Rechtsnormen hin untersucht. Hier bietet es sich an, den automatischen Verfall jedes Gesetzes vorzusehen (sogenannte Sunset Legislation). Nach zum Beispiel zehn Jahren läuft ein Gesetz automatisch ab, es sei denn, eine dafür eingesetzte Agentur, die aus unabhängigen Juristen und Fachleuten aus allen gesellschaftlichen Bereichen besteht, empfiehlt das Gegenteil. Bei vielen Gesetzen ist die Verlängerung Routine, aber viele andere, die auch technologisch überholt sind, kann man so aus dem Kanon streichen. Auf diese Weise müsste erst einmal geprüft werden, ob einzelne Gesetze überhaupt noch nötig sind, und das für jedes Gesetz. Allein um Arbeit zu sparen, würden dann mit Sicherheit viele eigentlich schon längst überholte Gesetze gestrichen.

Für neue Gesetze müsste es nicht nur ein juristische, sondern auch eine inhaltliche Überprüfung auf Notwendigkeit, Stimmigkeit und Kompatibilität mit anderen Gesetzen geben. Der Nationale Normenkontrollrat hat dafür ein zu enges Mandat, denn er „... soll unnötige Bürokratie- und Folgekosten verhindern“. Das wird nicht reichen, denn es geht nicht um diese Art von Kosten, sondern vor allem um die Frage, ob das Gesetz inhaltlich Sinn ergibt.

Neben dieser auf Bundes- und Landesebene anzusetzenden Aufgabe muss drittens noch die Verwaltung auf allen Ebenen modernisiert werden. Das bedeutet zuerst der verstärkte Einsatz digitaler Technologien – denn dort, wo sie eingesetzt sind, funktioniert die Verwaltung recht gut. Man sollte die Vorbilder positiv herausstellen. Eventuell helfen auch monetäre Anreize von Bund und Land für die Kommunen, damit die Digitalisierung voranschreitet.

Daneben sollte über weitere Anreizmechanismen nachgedacht werden – zum Beispiel über zeitweise parallele Verwaltungsangebote für Bürger mit langfristigen Vorteilen für diejenigen Beamten und Stellen, die mehr Zulauf erfahren. Wichtig ist auch lokale Autonomie, damit die Verwaltung schneller auf neue Technologie und Wünsche der Unternehmen und Bürger reagieren kann.

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Die Verschlankung und Effizienzsteigerung in der Verwaltung dürfte die schwierigste Aufgabe in diesem Zusammenhang sein, denn die Beharrungskräfte im öffentlichen Dienst haben schon manche gut gemeinte und durchaus angemessene Maßnahme zur Veränderung abgeblockt. Dennoch sollte die nächste Bundesregierung einige Arbeit in diese Aufgabe stecken. Zu lange haben wir es uns mit unseren ineffizienten und rückständigen Strukturen gemütlich gemacht. Wer den Anschluss nicht verpassen will, sollte eine funktionierende moderne Verwaltung vorhalten, die sich als Ermöglicher und nicht als Bremser versteht. Übrigens können auch die Bürger mitmachen, durch laute Kritik, deutliches Lob und viel Eigeninitiative. Das ganze Land muss dynamischer werden!

Mehr zum Thema: Weniger Formulare und Wartezeit: Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet wirbt mit dem Versprechen eines bürokratiefreien Jahres um Gründer. Das Konzept stammt vom NRW-Koalitionspartner FDP. Die Bilanz? Durchwachsen.

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