Freytags-Frage
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Wird Korruption nach der Wahl salonfähig?

Wir brauchen weniger Bürokratie – vordergründig besteht darüber in Deutschland Konsens. Sieht man sich aber die Wahlprogramme der Parteien an, beschleicht einen das dumpfe Gefühl, dass Besserung nicht in Sicht ist.

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Mehrfach wurde an dieser Stelle schon auf die Schwäche der deutschen Verwaltung und deren Konsequenzen bis hin zur Dysfunktionalität hingewiesen. Bereits jetzt behindern zahlreiche unnötige Vorschriften die Gründung junger Unternehmen, das Gesundheitswesen oder die Arbeit der Universitäten und Hochschulen, um nur einige Beispiele aufzulisten. Dieses Problem ist inzwischen vielen in Deutschland bewusst. Ob Politiker, Beamte, Angestellte des öffentlichen Dienstes, Vertreter der Wirtschaft, Berater oder die am meisten Betroffenen, die Bürger – es besteht Einigkeit, dass sich etwas ändern muss. Der Tenor ist immer ähnlich: Wir brauchen weniger Vorschriften und mehr Freiheit.

Dies gilt zumindest, wenn man die Äußerungen und Stellungnahmen in der Öffentlichkeit verfolgt. Sieht man sich aber die Wahlprogramme der Parteien an, die sich um den Einzug in den Bundestag beziehungsweise das Kanzleramt bewerben, beschleicht einen das dumpfe Gefühl, dass Besserung nicht in Sicht ist. Ganz im Gegenteil, manche Wahlprogramme drohen die Lage zu verschlimmern.

Die Bedrohung kommt aus mehreren Richtungen. Erstens gibt es doch tatsächlich Vorschläge, noch mehr Kontrollen einzuführen und neben geplanten Verboten (Inlandsflüge etc.) ein Klimaministerium mit Vetorecht allen anderen Ministerien gegenüber, einzurichten. Dieses soll dann ein Veto einlegen können, wenn eine Politikmaßnahme nicht mit dem Pariser Abkommen kompatibel wirkt. Nebenbei bemerkt: Wenn es eine feste Höchstgrenze für Treibhausgase bei uns gäbe, die auch noch durchgesetzt werden würde, wäre jede Politik mit dem Pariser Abkommen kompatibel.



Zweitens sollen viele wirtschaftliche Aktivitäten stärker staatlich kontrolliert oder gar verstaatlicht werden – zumeist geht es um die Daseinsvorsorge. Das prominenteste Beispiel ist der Wohnungsmarkt, der von allen Parteien viel stärker reguliert werden soll, einige Parteien wollen das Angebot zumindest teilverstaatlichen. Hier tut sich die Linke hervor, Grüne und Sozialdemokraten (SPD) sind jedoch nicht weit davon entfernt. Am 26. September findet in Berlin auf Initiative dieser Parteien zeitgleich mit der Bundestagswahl eine Volksbefragung zur Enteignung großer Wohnungsbauunternehmen statt. Aber auch die Christdemokraten (CDU) knicken hier ein und trauen dem Wohnungswesen keinen Markt zu.

Welche Konsequenzen hätte es, wenn wir als Gesellschaft – bleiben wir bei den Beispielen – die öffentliche Hand beauftragen, die Versorgung mit Wohnraum breiter Teile der Bevölkerung sicherzustellen und ein Klimaministerium mit Vetorecht einrichten würden? Zwei wesentliche Konsequenzen drohen.

Deren erste spiegelt das Standardargument von Liberalen wider: Weniger Wettbewerb im Wohnungsmarkt sorgt für eine schlechtere Versorgung. Dies betrifft die Anzahl der Wohnungen, deren Qualität und die Qualität des Services um die Wohnungen herum. Die Erfahrungen mit öffentlicher Wohnungsverwaltung ist hier recht klar: Die Mieter werden wieder zu Bittstellern, in der Verwaltung werden vermutlich die Zuständigkeiten hin- und hergeschoben, und nach 16:30 Uhr sollte in Mietwohnungen besser kein Wasserrohr brechen!

In gleicher Weise würde eine Kontrollinstanz mit der Aufgabe die Klimakompatibilität politischer Entscheidungen – zum Beispiel zur Standardsetzung im Wohnungsbau oder im Verbraucherschutz – zu kontrollieren, solche Entscheidungen verlangsamen oder verhindern. Gleiches gilt für Innovationen, wenn diese erst aufwendig auf ihre Kompatibilität mit dem Klimaschutz, die vermutlich durchaus interpretationsfähig ist, überprüft werden müssten. Insgesamt ginge es dem Land schlechter, ohne dass es den Wohnungssuchenden oder dem Klima besser gehen würde. Sehr wahrscheinlich wird Klimaschutz durch ein solches Ministerium auch noch moralisch überhöht werden, was sowohl klima- als auch wohlstandsfeindlich ist.

Das ist aber nicht alles (und bereits hinreichend bekannt), denn eine zweite Folge von unsinnigen Regulierungen und staatlichen Allmachtphantasien könnte sich unmittelbar aus den negativen wirtschaftlichen Folgen ergeben. Wenn Wohnungen noch schlechter und knapper werden, und wenn der Preis keinen Ausschlag über die Allokation geben darf, wird es vermutlich Warteschlangen geben. Die Wohnungsnot nimmt insgesamt zu. Dann wird es auch immer wichtiger sein, gut vernetzt zu sein oder mit Seitenzahlungen die eigene Position in der Warteschlange zu verbessern.

Das heißt konkret, dass das Ausmaß an Korruption in Deutschland steigen wird. Das betrifft sowohl die staatlichen Wohnungsanbieter als auch private Vermieter, die ebenfalls zunehmend unmoralische Angebote erhalten werden – aus reiner Not. Denn man kann wohl behaupten, dass niemand einen Vermieter bestechen will, um eine Wohnung zu bekommen. Es wird für viele eine Notwendigkeit werden.

Auch eine Behörde, die moralische Kriterien an technische und administrative Prozesse legen muss, wird sich großem Druck von allen Seiten ausgesetzt sehen. Im Zuge des Prozederes um die Genehmigung von Politiken wird es unmöglich sein, ohne irgendeine Form von Kuhhandel (ein beschönigender Ausdruck korrupter Deals) zügige politische oder Verwaltungsentscheidungen zu treffen. Das kann das Ministerium direkt betreffen oder auf vorgelagerten Stufen – zum Beispiel bei den für die Genehmigung von Politiken oder Investitionen notwendigen Gutachten – der Fall sein.

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Die Steigerung der gemessenen Korruption wird langsam vonstatten gehen, und wir werden nicht mit dem Kongo, Sudan oder Venezuela, das für viele Linke offenbar immer noch das Paradies zu sein scheint, vergleichbar sein. Aber Korruption wird zunehmen, wenn eine der wichtigsten Dienstleistungen staatlich rationiert wird oder jede Entscheidung vom Wohlwollen einer mächtigen Behörde abhängt.

Korruption ist schädlich, verteuert das menschliche Miteinander, sie macht das Land ärmer, sie ist ungerecht, und sie sät Misstrauen in der Gesellschaft. Wir sollten sie eher bekämpfen als sie durch schlechte und irrationale Politik noch zu befeuern. Letztlich liegt es in der Hand der Wählerinnen und Wähler, diese Gefahr zu bannen. Drücken wir ihnen die Daumen.

Mehr zum Thema: Für Abgeordnete im Bundestag gelten künftig unter anderem strengere Regeln für Bestechung und Nebeneinkünfte. Anlass war die Maskenaffäre im Bundestag.

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