Freytags-Frage
Quelle: dpa

Wohin entwickelt sich die Geldpolitik?

Geldpolitik rückt ins Rampenlicht – das liegt auch an den massiv ausgeweiteten Befugnissen der EZB. Sie wird zur wirtschaftspolitischen Allzweckwaffe; das ist nicht ungefährlich. Droht die Zombifizierung der Wirtschaft?

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Geldpolitik hat in den vergangenen zwölf Jahren, das heißt nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, in allen Industrieländern eine tragende Rolle im wirtschaftspolitischen Assignment übernommen. Damit wurden auch die Geldpolitiker in der öffentlichen Wahrnehmung prominenter und bedeutender. Früher hat kaum jemand den vierzehntägigen Sitzungen des Zentralbankrates der Bundesbank oder später der Europäischen Zentralbank (EZB) größere Aufmerksamkeit gewidmet. Heute kennt nahezu jeder die Präsidenten der wesentlichen Zentralbanken; bisweilen haben sie den Status politischer Superstars. Die Website der EZB zum Beispiel ist voller Hochglanzbilder ihrer Präsidiumsmitglieder. Geldpolitik ist ins Rampenlicht gerückt.

Das hat seine Gründe. Nach dem Zusammenbruch der Immobilienmärkte rund um die Welt waren etliche Banken in Schwierigkeiten. Mit Hilfe der Zentralbanken wurden vielen von ihnen durch die Regierungen gerettet. Dann kamen die Regierungen selbst ins Schlingern – vor allem in Europa. Die Staatsschulden stiegen (und steigen nach der Coronakrise wieder) rasant an. Die Zentralbanken schritten wieder ein. Es wurden die Zinsen gesenkt und Staatsanleihen in großem Stil erworben. Die EZB wollte damit den Regierungen Zeit kaufen, die nötigen angebotspolitischen Reformen durchzuführen. Mit wenigen Ausnahmen – Irland, Spanien, Portugal, zum Teil Griechenland – haben die Mitglieder der Eurozone allerdings nichts in diese Richtung unternommen und damit die EZB gezwungen, die Zins- und Geldmengenpolitik auch nach der Erholung fortzusetzen.

Im Laufe der Jahre haben die Zentralbanken somit neben den Aufgaben, Preisniveaustabilität sicherzustellen und die Regierungen bei deren wirtschaftspolitischen Anliegen zu unterstützen, weitere Aufgaben übernommen: Regulierung und Überwachung der Finanzmärkte, Unterstützung von Investoren durch den Kauf von Unternehmensanleihen, Aufrechterhaltung hoher Beschäftigung und die Finanzierung von Staatshaushalten. Gerade letzteres ist umstritten, ist es doch in den meisten Zentralbankgesetzen nicht gestattet. Die EZB ist ein Musterbeispiel dafür; ebenso die japanische Zentralbank. Sämtliche Zentralbankbilanzen sind in den Jahren nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise erheblich ausgedehnt worden; in der EZB-Bilanz stehen der Geldmengenausdehnung nahezu ausschließlich Staatsanleihen gegenüber. Zuletzt wurde noch über eine nachhaltige Geldpolitik nachgedacht: Zentralbanken sollen verstärkt grüne Anleihe kaufen; das ist echte Strukturpolitik.

Interessanterweise regt sich in der Wissenschaft kaum Widerstand gegen eine solchermaßen veränderte Geldpolitik – weg vom Ziel der Preisniveaustabilität hin zur wirtschaftspolitischen Allzweckwaffe, obwohl sowohl theoretische Konzepte, zum Beispiel institutionenökonomische Überlegungen oder Modelle der Zeitinkonsistenz, als auch empirische Erfahrungen nahelegen, dass diese Geldpolitik am Ende zu erhöhter Inflation und Zombifizierung der Wirtschaft führen kann, wenn nicht muss.

Ganz im Gegenteil, in geradezu willfähriger Weise wurden und werden immer noch theoretische Begründungen für immer expansivere Geldpolitik geliefert. Ein Beispiel ist die Hypothese der säkularen Stagnation, die die These vertritt, dass die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern nicht mehr ausreiche und es deswegen zu massiven Zinssenkungen auf den Kapitalmärkten kommt. Als Konsequenz wird gefordert, die Geldmenge stärker auszudehnen und Zinsen niedrig zu halten, um mit Hilfe von massiver Staatsverschuldung die Nachfrage zu steigern. Das ist aus zwei Gründen fragwürdig: Zum einen kann man sich eine schier unendliche Menge an Investitionsprojekten auf der ganzen Welt vorstellen, die getätigt werden müssten, aber nicht werden. Offenbar sind die Angebotsbedingungen nicht gut genug dafür. In Europa wird selbst zu Nullzinsen nicht genug investiert – der Staat bildet keine Ausnahme in diesem Muster. Anstelle einer weiteren Zinssenkung wären angebotspolitische Maßnahmen angemessen. Zweitens wäre ja gerade die mit der angeblichen säkularen Stagnation einhergehende Sparschwemme kein Anlass, die Zinsen noch weiter zu senken. Die Zentralbanken sollten sich dann aus der Allokation von Kapital heraushalten.

Die sogenannte Modern Money Theory, auf deutsch moderne Geldtheorie, ist ein zweites Beispiel für eine theoretische Unterstützung der expansiven Geldpolitik. Unter der Annahme der Unterbeschäftigung aller Faktoren wird gefordert, die Geldmenge immer weiter auszudehnen; auch sogenanntes Helikopter-Geld, also pauschale zahlen frischgeschöpften Basisgeldes an die Bevölkerung, wird angedacht. Sollte es zu Preissteigerungen kommen, was die Anhänger dieser Theorie nicht erwarten, könne man doch mit Preistopps dagegen wirken. Die extremsten theoretischen Vorschläge fordern die Absenkung der Zinsen auf hohe negative Sätze, verbunden mit der Abschaffung des Bargeldes, um die Flucht ins Bargeld zur Wertsicherung der Ersparnisse und Altersvorsorge unmöglich zu machen.



Mit Marktwirtschaft und einer damit konformen Zuweisung von Verantwortlichkeiten für Wirtschaftspolitik (Policy Assignment) hat das alles nichts mehr zu tun. Offenbar fühlen sich Regierungen außerstande, für die nötigen Rahmenbedingungen zu sorgen, die Investitionen fördern und Arbeitsplätze schaffen helfen können. Die Geldpolitik muss es richten. Inflation wird dabei in Kauf genommen, unabhängig von den vielfach erlebten negativen Konsequenzen in sozialer und allokationstheoretischer Hinsicht.

Das zeigt sich auch in der Ankündigung der amerikanischen Notenbank der Fed vom 27. August, die in Zukunft maximale – nicht optimale – Beschäftigung fördern will und dazu ein neues Inflationsziel anstrebt, nämlich den Durchschnitt über einen längeren Zeitraum. Das hat zur Folge, dass Inflationsraten vergangener Jahre nun für die zukünftige Inflation eine Rolle spielen sollen; war die Inflation also in den vergangenen zwei Jahren zu niedrig, kann sie in den Folgejahren höher ausfallen. Damit erhöht die Fed den Spielraum für aggressive und expansive Geldpolitik und macht sich angreifbarer gegenüber der Politik.

Insgesamt erleben wir einen Rückschritt dergestalt, dass Zentralbanken ihre Unabhängigkeit gegen scheinbare Allmacht eintauschen. Sie übernehmen zahlreiche Aufgaben, die eigentlich den Regierungen obliegen, darunter Investitionsförderung, Einnahmenpolitik, Beschäftigungssicherung sowie neuerdings auch Klimaschutz. Für diesen Machtzuwachs verlieren sie ihre operative Unabhängigkeit gegenüber dem Finanzministerium und dem Parlament und werden zugleich angreifbarer als Sündenbock für die Politik, wenn der neue Politikmix nicht erfolgreich ist. Und damit muss man leider rechnen. Das sind keine guten Nachrichten für Sparer, Steuerzahler und Arbeitnehmer – also für uns alle!

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