Friedhelm Wachs "Ich kann mir mein Seelenheil nicht durch Ablass erkaufen"

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"Freiheit und Verantwortung hängen zusammen"

Aber hat nicht ausgerechnet der streng bibeltreue Luther darauf beharrt, dass die Liebesbotschaft des Evangeliums sich prinzipiell nicht mit dem Kapitalismus verträgt?
Nein, hat er nicht. Luther hat in einer mittelalterlichen Gesellschaft mit ständischer Struktur gelebt und den Begriff Kapitalismus noch gar nicht gekannt. Er hat gegen die Ausnutzung von Zwangslagen, den Wucher, gewettert, der in den meisten Rechtsordnungen bis heute verboten ist. Luther hat dagegen gewettert, unser Herz an das Geld zu hängen, weil "das, woran Du Dein Herz hängst, Dein Gott ist". Er hat mit seiner Erkenntnis, dass Freiheit und Verantwortung unmittelbar zusammenhängen, weil wir zur Freiheit befreit sind und gleichzeitig uns vor Gott direkt verantworten müssen, eine Grundregel geschaffen, die Kern einer funktionierenden Marktwirtschaft ist: Haftung. Ohne Frage gibt es in unserer Welt Gier, Neid, Freiheitsberaubung und die Versuchung, immer wieder Grenzen und Gesetze zu umgehen, um einen persönlichen Vorteil zu erzielen. Das ist kriminell und weder kapitalistisch noch christlich.

Dennoch: "Höchst geschäftig" soll ein Christ nicht im Wirtschaftsleben, sondern allein in seiner "Liebe zu den Nächsten" sein, so Luther…
Weshalb Luther Arbeit per se zu Gottesdienst erklärt hat. Jedwedes Wirken des Menschen an seinem Platz, auch an seinem Arbeitsplatz ist Gottesdienst. Er brachte das Beispiel von der Magd und dem Fürsten, deren Arbeit gleichwertig ist; heute passt das Beispiel der Supermarktkassiererin und der Führungskraft im Unternehmen. Luthers Frau Katharina war eine sehr begabte Unternehmerin und Jesu Jünger waren allesamt Unternehmer, nämlich Handwerker und Fischer. Luther geht es - wie Christen heute auch - um den Menschen. Der steht im Mittelpunkt.

Gibt es so etwas wie einen "protestantischen Geist" des Kapitalismus, eine verinnerlichte Arbeitsmoral, die mit Luther – und Calvin – in die Welt kam?
Verschiedene Studien belegen diesen protestantischen Geist und seine Auswirkungen. In protestantisch geprägten Gebieten wird statistisch mehr und länger gearbeitet, gibt es mehr Unternehmer und mehr individuellen Reichtum. Der Grund ist: Freiheit und Verantwortung hängen zusammen. Ich kann mir mein Seelenheil nicht durch Ablass erkaufen. Luther wettert beispielsweise gegen den nutzlosen Prunk und Protz des Klerus. Da auch die Arbeit Gottesdienst ist, arbeitet der Protestant, um ein gottgefälliges Leben zu führen und nicht um Prunk und Protz anzusammeln. Er reinvestiert den Gewinn, statt ihn zu verprassen. Im Unterschied zu Calvin sieht der Lutheraner in seinem nominellen Reichtum jedoch keinen Weg, einen besseren Platz im Himmel zu ergattern, kein Zeichen für Gottes Segen.

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