Früherer Chef-Statistiker Griechenlands Wenn wegen der Wahrheit Gefängnis droht

Die griechische Flagge weht zwischen zwei Europafahnen. Andreas Georgiou war zwischen 2010 bis 2015 Chef von Griechenlands Statistikbehörde Quelle: dpa

Andreas Georgiou deckte 2010 das ganze Ausmaß des griechischen Haushaltsdefizits auf. Die Politik reagierte mit einer Kampagne, die mit seiner Verurteilung endete. Der Fall zeigt, wie gefährlich Statistiker leben.

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Andreas Georgiou hat immer noch diese Bilder im Kopf von aufgebrachten Menschen. Wenn er abends nach der Arbeit den Fernseher anstellte, dann forderten sie vor laufender Kamera seinen Tod. Er legte sich damals eine Waffe zu. Personenschutz vom Staat bekam er nicht.

Jahre ist das nun her, aber für Georgiou ist die Amtszeit als Chef von Griechenlands Statistikbehörde zwischen 2010 bis 2015 alles andere als ein abgeschlossenes Kapitel. Weil er das wahre Ausmaß der griechischen Schuldenkrise offen legte, erklärte die Politik ihn zum Staatsfeind, machte ihn persönlich für die Schuldenkrise verantwortlich. 2017 wurde er zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Die Begründung: Er habe seine Amtspflicht verletzt, weil er die Zahlen seiner Behörde intern nicht zur Abstimmung stellte.

Er selbst sagt: „Ich habe europäisches und griechisches Recht eingehalten.“ Und die EU-Verordnung 223/2009 sieht tatsächlich nicht vor, dass Statistiken Verhandlungsmasse sind, über die mit der EU-Statistikbehörde Eurostat diskutiert wird, wie das manche seiner griechischen Kollegen wünschten.

von Malte Fischer, Silke Wettach, Bert Losse, Christian Ramthun, Dieter Schnaas, Cornelius Welp

Georgiou hatte eigens einen Posten beim Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgegeben, um Ordnung in die griechischen Statistiken zu bringen. Über Jahre hatte die europäische Statistikbehörde Eurostat Bedenken an den griechischen Zahlen geäußert. Nach dem Regierungswechsel im Herbst 2009 war offensichtlich geworden, dass die nach Brüssel gemeldeten Zahlen nicht der Realität entsprachen. „Das Spiel ist vorbei“, sagte der damalige Euro-Gruppenpräsident Jean-Claude Juncker öffentlich, „wir brauchen ernsthafte Statistiken.“

In Brüssel kamen unangenehme Erinnerungen an die Jahrtausendwende hoch. Damals hatte es Griechenland überhaupt nur in die Währungsunion geschafft, weil die Haushaltsdaten aufgehübscht wurden.

Nach seiner Ankunft in Athen korrigierte Georgiou das offizielle Haushaltsdefizit für 2009 auf 15,4 Prozent im Gegensatz den zuvor gemeldeten 13,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. Eurostat hält die Zahl bis heute für korrekt, aber der Wert behagte vielen in Griechenland nicht. Ein Vorstandsmitglied der Statistikbehörde, Zoe Georganta, beschuldigte Georgiou, er würde das Defizit künstlich aufblähen, damit dem Land von der Troika drakonische Maßnahmen auferlegt würden: „Wir haben eine neue deutsche Besatzung.“

Andreas Georgiou Quelle: AP

Dieses Narrativ fand Eingang in die Politik.

Antonis Samaras von der abgewählten konservativen Nea Demokratia, die für die Datenmanipulation verantwortlich war, kam die Erzählung schon in seiner Zeit als Oppositionsführer gerade recht, um von den Taten seiner Parteifreunde abzulenken. Als Premier blieb er bei der Version.

Als Alexis Tsipras von der linken Syriza-Partei 2015 Samaras als Ministerpräsident folgte, übernahm er die Kritik an Georgiou, weil sie gut in seinen Anti-EU-Kurs passte.

Die Attacken gegen den Statistikchef gipfelten schließlich in zwei Gerichtsverfahren. Zwei Mal hatten Untersuchungsrichter keinen Grund zur Anklage gesehen, und doch wurde der Überbringer der schlechten Nachrichten vor Gericht gezerrt. Dort kam es zu bizarren Szenen. Zeugen, die für den Angeklagten ausgesagt haben, mussten zu ihrer eigenen Sicherheit den Hinterausgang nehmen. „Ich habe kein faires Verfahren bekommen“, sagt Georgiou.

Genau aus diesem Grund ist er vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. Er hofft, dass dieser urteilt, dass seine Menschenrechte verletzt wurden. Dann könnte sein Fall neu aufgerollt werden. In einem ersten Schritt hat die griechische Regierung, die erneut von Nea Demokratia gestellt wird, zu verstehen gegeben, dass sie an einer einvernehmlichen Lösung nicht interessiert ist.

Im Januar 2023 wird der oberste griechische Gerichtshof über ein zweites Verfahren entscheiden. Ein Direktor des griechischen Statistikamts, der für die Zahlenmanipulation verantwortlich war, hatte Georgiou wegen Rufschädigung verklagt. Die Argumentation war kurios: Dass Georgiou die korrigierten Statistiken verteidigt habe, sei ehrabschneidend. Das Gericht folgte der Logik und will eine öffentliche Entschuldigung erzwingen.

So lange Georgiou sein Vorgehen in der angesehen griechischen Tageszeitung „Kathimerini“ nicht öffentlich bereut, muss er einen Tagessatz von 200 Euro begleichen. Georgiou will sich für die Wahrheit allerdings nicht entschuldigen und riskiert nun die Pfändung seines Besitzes. Er hofft, dass das oberste griechische Gericht den Fall neu verhandeln lässt. Das politische Klima sei weniger aufgeheizt in diesen Tagen, sagt er. Mit Hilfe von Anwälten, die pro bono arbeiten, kämpft er für seine Rehabilitierung.

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Als Georgiou in diesen Tagen erfuhr, dass der Chef des spanischen Statistikamts zurücktrat, nachdem die Regierung über Monate dessen Zahlen kritisierte, beunruhigte ihn das. Gemeinsam mit seinen Kollegen vom Aufsichtsgremium der europäischen Statistikbehörden, äußerte er „schwere Bedenken“ an den Vorgängen in Spanien.

Alleine die Kampagne, die gegen ihn geführt wurde, habe sich in das kollektive Gedächtnis seines Berufsstands eingebrannt, sagt der Statistiker Georgiou: „Warum soll jemand noch in den Staatsdienst gehen, wenn er anderswo ein ruhigeres Leben führen kann?“

Lesen Sie mehr: „Statistik à la carte“: Spanien offenbart das Statistikproblem der EU

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