Frühjahrsprognose Führende Institute warnen: „Die Pandemie bleibt ein Risiko“

Mitten in der dritten Corona-Welle legten führende Wirtschaftsforschungsinstitute am Donnerstag ihre Frühjahrsprognose vor. Quelle: dpa

Die dritte Viruswelle trifft die Wirtschaft noch härter, als angenommen, sagen die führenden Wirtschaftsinstitute. In absehbarer Zeit könnte auch die Zahl der Insolvenzen steigen. Sie fordern nun ein höheres Rentenalter.

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Die führenden Institute senken ihre Prognose für das Wachstum der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr wegen der dritten Corona-Welle deutlich. Sie rechnen nur noch mit einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 3,7 Prozent, wie aus der am Donnerstag veröffentlichten Gemeinschaftsdiagnose für die Bundesregierung hervorgeht. Im Herbst waren sie noch von 4,7 Prozent ausgegangen, doch ist Europas größte Volkswirtschaft wegen der Corona-Beschränkungen wohl schwächer als erwartet ins Jahr gestartet. Die Schätzungen dienen der Regierung als Basis für ihre eigenen Projektionen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. Der Bund geht bislang von drei Prozent Wachstum im laufenden Jahr aus.

Sobald die Infektionsgefahren in erster Linie durch das Impfen gebannt seien, werde eine kräftige Erholung einsetzen, erklären die Ökonomen in ihrem Frühjahrsgutachten. Für 2022 erhöhten sie deshalb ihre Wachstumsprognose, und zwar von 2,7 auf 3,9 Prozent. Dann solle vor allem der private Konsum zur Erholung beitragen, während im laufenden Jahr besonders die Exporte die Konjunktur stützen dürften - vor allem wegen der höheren Nachfrage aus den USA und China. 2020 war das Bruttoinlandsprodukt wegen der Coronakrise um 4,9 Prozent eingebrochen. Etwa Anfang kommenden Jahres dürfte die Wirtschaft zur Normalauslastung zurückkehren, erwarten die Institute.

„Die Entwicklung der Pandemie ist weiterhin das bedeutendste Abwärtsrisiko für die Prognose“, warnen die Forscherinnen und Forscher. „Nach wie vor kann es bei der Lieferung von Impfstoffen und Tests zu Engpässen und Verzögerungen kommen.“ Auch könnten neue Virus-Mutation die Öffnung der Wirtschaft stoppen, was die Erholung abermals zurückwerfen würde.

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Mit den erwarteten Lockerungen dürfte die Erholung der Beschäftigung an Fahrt gewinnen. Die Zahl der Erwerbstätigen soll in diesem Jahr um 26.000 zulegen, 2022 um mehr als eine halbe Million. Dabei soll das Vorkrisenniveau im ersten Halbjahr 2022 erreicht werden. Bereits ab diesem Mai soll die Zahl der Arbeitslosen verstärkt sinken. Die öffentlichen Haushalte dürften in diesem Jahr ein Defizit aufweisen, das mit 159 Milliarden Euro etwas größer wäre als 2020. Zwar sollten konjunkturellbedingt die Steuereinnahmen zunehmen. Dem stünden jedoch Ausgaben für Impfungen und Tests gegenüber.

Wirtschaftsinstitute wegen Coronakrise für höheres Rentenalter

Die Wirtschaftsforschungsinstitute sprachen sich jedoch angesichts der in der Coronakrise steigenden Staatsschulden für ein höheres Rentenalter in Deutschland aus. Es werde eine Herausforderung, die Staatsfinanzen nach der Pandemie wieder auf eine solide Basis zu stellen, heißt es in der am Donnerstag vorgelegten Frühjahrsprognose. Angesichts der älter werdenden Bevölkerung spiele dabei vor allem die Rentenversicherung eine Rolle. Ein höheres Rentenalter könne die Staatsfinanzen stützen.

Außerdem sehen die Institute trotz aufgehellter Konjunkturperspektiven Risiken für die Banken und die internationale Finanzstabilität. Die Geldhäuser seien bisher zwar glimpflich durch die Krise gekommen, heißt es in dem am Donnerstag vorgelegten Gutachten. Die Forscher warnen zugleich: „Ein beträchtliches Risiko geht aber vor allem davon aus, dass mit dem Zurückfahren staatlicher Stützungsmaßnahmen die Zahl der Unternehmensinsolvenzen spürbar steigt und dann immer mehr Kredite uneinbringlich werden.“

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Eine weitere Gefahr bestehe darin, dass in vielen Ländern die Regulierungsbehörden die Anforderungen hinsichtlich der Hinterlegung der Darlehen mit Eigenkapital gesenkt haben, damit die Banken die Kreditgewährung aufrechterhalten. Teils seien die Mindestanforderungen unter die Standards gemäß dem Basler Abkommen zur Regulierung der Geldhäuser gesenkt worden. Dies sehen die Forscher um das Essener Institut RWI kritisch: „Es besteht das Risiko, dass dadurch die Glaubwürdigkeit der international vereinbarten Standards beeinträchtigt wird, was die Finanzstabilität gefährden kann.“

Sobald die staatlichen Hilfsmaßnahmen auslaufen, könnte auch die Zahl der Insolvenzen stark steigen. Die bisher niedrigen Zahlen an Unternehmenspleiten seien wohl vor allem auf die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen und das Aussetzen der Anmeldepflicht für Insolvenzen zurückzuführen, heißt es. Die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, ist noch bis Ende April ausgesetzt.

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Die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose der Institute wird zweimal im Jahr im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt, im Frühjahr sowie im Herbst. Beteiligt sind das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, das Ifo-Institut in München, das Institut für Weltwirtschaft Kiel, das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle sowie das Essener RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.

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