Führungsjob und Familie Dax-Chefs und Spitzenpolitiker schweigen zur Kinderfrage

Karriere und Kanzleramt: Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock muss sich rechtfertigen, dass sie als Mutter Regierungschefin werden will – während die aktuelle Amtsinhaberin Angela Merkel ihre Kinderlosigkeit erläutern musste. Quelle: REUTERS

Annalena Baerbock muss sich rechtfertigen, dass sie trotz Kindern ins Kanzleramt will. Anderen Spitzenpolitikern und -managern wird dagegen selten bis nie die Vereinbarkeitsfrage gestellt. Deshalb hat die WiWo nachgehakt – mit überraschendem Ergebnis.    

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Kaum ist Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin der Grünen ernannt worden, kommt auch schon die nächste K-Frage: Wie sie das denn miteinander vereinbaren wolle, Kanzleramt und Kinder?, will eine Journalistin in der Pressekonferenz am Tag der Nominierung wissen. 

Wohl noch kein männlicher Spitzenkandidat einer Partei, gar ein Kanzler, musste eine solche Frage beantworten – aber Baerbock, 40 und Mutter von zwei Töchtern im Kita- und Grundschulalter, soll sich nun rechtfertigen dafür, dass sie beides will: Kinder und Karriere.

Nur zwei der 30 DAX-Vorstände antworten

Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft wird männlichen Spitzenkräften selten bis nie diese besondere K-Frage gestellt. Deshalb hat die WirtschaftsWoche nun nachgehakt – allerdings mit magerem Ergebnis: Denn während im Jahr 2021 nahezu alle Konzerne mit Diversität und Familienfreundlichkeit werben, will sich die Mehrheit der Vorstände nicht dazu äußern, wie sie Familie und Führungsposition miteinander vereinbaren. Oder ob sie Bedenken haben, dass beides zusammen überhaupt möglich ist.   

Lediglich zwei der 30 angefragten DAX-Vorstandschefs haben geantwortet. Dazu gehört SAP-Chef Christian Klein, der wie Baerbock ebenfalls 40 Jahre alt ist und zwei kleine Kinder hat. Jeden Tag versuche er, ein wenig Zeit für sie freizuschaufeln, erklärt Klein. Die Frage, ob Führungskräfte ihren Job mit der Familie vereinbaren können, hält er für berechtigt.

von Sonja Álvarez, Max Haerder, Christian Ramthun, Cordula Tutt, Silke Wettach

SAP-Chef Klein zur Herausforderung im Homeoffice 

„Wie eine Führungskraft Berufs- und Privatleben miteinander vereinbart, ist auch ein Spiegelbild der Unternehmenskultur“, erklärt Klein, der von aktuellen Herausforderungen aus dem Homeoffice berichtet: „Insbesondere momentan, wo viele ausschließlich von zu Hause aus arbeiten, verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben leicht“, sagt Klein. Er kritisiert, dass Kindererziehung in Deutschland immer noch hauptsächlich als Aufgabe der Frauen wahrgenommen werde. Um das zu ändern, brauche es eine bessere ganztägige Kinderbetreuung. „Andere Länder sind da schon weiter“, sagt der SAP-Chef.  

Ein ähnliches Problem sieht auch MTU-Chef Reiner Winkler (60): „Außerberufliche Belastungen werden noch immer im Wesentlichen von Frauen getragen“, kritisiert er. Familiäre Aufgaben sollten zwischen den Partnern gleichmäßiger verteilt werden, dies sei die Grundvoraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – wobei er diese Forderung selbst nicht erfüllt habe. Bei ihm habe mit Blick auf die Kindererziehung noch das „traditionelle familiäre Rollenmodell“ geherrscht, sagt Winkler.

Die Frage, ob Chefs Job und Familie in Einklang bringen können, findet Winkler zwar als gesellschaftliche Diskussion wichtig, als persönlich gestellte Frage, sei es aber auch legitim, darauf nicht zu antworten: „Soweit kein direkter Bezug zur beruflichen Tätigkeit besteht, sollte jede oder jeder selbst entscheiden dürfen, dies als rein privates Thema zu erachten“, sagt er.

Jacinda Ardern bekam als Regierungschefin ein Kind

Auch Baerbock hätte die Antwort verweigern können. Oder darauf verweisen, dass sie nicht die Erste wäre, die beides schafft: Regierungschefin zu sein und Mutter. Wie etwa Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern, 40, die ihr Baby während ihrer Amtszeit bekam. Und sogar das mächtige Amt des US-Präsidenten lässt sich offensichtlich mit Familie vereinbaren. Schließlich waren Barack Obamas Töchter erst sieben und zehn Jahre alt, als er 2008 das Weiße Haus übernahm.

Baerbock aber antwortete ohne Umwege auf die Frage: „Ich werde weiterhin Mutter bleiben, auch als Spitzenpolitikerin. Meine Kinder wissen, wo mein Zuhause und mein Herz ist“, sagte sie.   

So offen wie die Kanzlerkandidatin gehen jedoch nicht alle Spitzenpolitiker mit dem Thema um. Wie bei den Dax-Vorständen antworteten nur wenige Politikerinnen und Politiker auf die Anfrage der WirtschaftsWoche.  

Kabinettsmitglieder schweigen zur K-Frage

Unter den männlichen Kabinettsmitgliedern in der Bundesregierung äußerte sich allein Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD): „Ich kenne die Herausforderung zahlreicher Menschen, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen. Das erfordert viel Planung, Absprachen und Organisation“, sagte Heil, der zusammen mit seiner berufstätigen Frau zwei kleine Kinder hat. Beim Können als Politiker spiele das aber keine Rolle: „Entscheidend sind doch Kompetenz, Zuverlässigkeit und eine gewisse Erdung. Woher all das kommt, ist letztlich unerheblich.“

Damit es mit der Gleichberechtigung und der Karriere für Frauen und Männer vorangehe, brauche es noch mehr verlässliche Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten, und Teilzeitmodelle in Führungsjobs, erklärte Heil. Noch fehle es an Akzeptanz, dass es auch in Spitzenjobs „mal Feierabend, Wochenende oder Privatleben geben muss. Entscheidungen werden nicht besser, wenn sie übermüdet getroffen werden.“

Kein Wickeltisch im Bundestag

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) erinnert sich noch gut daran, als sie vor über zwanzig Jahren Mutter eines kleinen Sohnes war, und es „im ganzen Bundestag keinen einzigen Wickeltisch“ gegeben habe. Also musste der Schreibtisch herhalten. Es habe sich viel gebessert, etwa, dass Kindern mit in den Plenarsaal des Bundestags dürften. „Aber die Bedingungen sind auch heute noch lange nicht so, dass man sie mit anderen Berufen vergleichen kann. Zum Beispiel gibt es weiter Plenarsitzungen bis in den späten Abend“, sagt Lambrecht.  

Politikerinnen und Politiker sollten die Gesellschaft abbilden, betont Lambrecht, also „gehören dazu auch Frauen und Männer, die einen herausfordernden Job und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen“. Es sei ein Vorteil, wenn Politikprofis zunehmend „die Lebensrealität vieler Menschen in diesem Land aus ihrem eigenen Leben ganz praktisch kennen“, sprach sich Lambrecht für mehr Eltern in der Politik aus. „Die Frage ,Wie schaffst du das mit der Familie?‘ sollte nicht nur Frauen, sondern auch Männern gestellt werden.“

„Reine Männerclubs in Vorständen werden Geschichte“ 

Das Zweite Führungspositionen-Gesetz der Bundesregierung helfe bei einem Kulturwandel in Führungspositionen der Wirtschaft. „Durch das Gesetz werden reine Männerclubs in Vorständen der größten deutschen Unternehmen bald Geschichte“, so Lambrecht. Das werde „weit über die Vorstände hinaus ausstrahlen“.

Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) setzt sich dafür ein, Eltern und Kinderlose in der Politik nicht unterschiedlich zu bewerten. Öffentliche Debatten sollten nicht in die Frage zurückfallen, „ob es für das Amt des Politikers vorteilhaft oder nachteilig ist, Kinder zu haben“, erklärte Klöckner. „Es wäre doch schlimm, wenn es für Politikerinnen und Politiker einen Standardlebensentwurf geben würde. Familienmodelle sind unterschiedlich, das sind individuelle und persönliche Entscheidungen.“ Dennoch müsse mehr getan werden, um Karriere und Kinder vereinbaren zu können.

„Immer wieder eine echte Herausforderung“

Unter den Regierenden in den Ländern sind die Antworten zur Frage nach Kindern und Karriere ebenfalls dürftig – und kommen beide von SPD-Seite.   

Für ihn sei es „immer wieder eine echte Herausforderung“, seinen Spitzenjob als Ministerpräsident mit seiner Familie zu vereinbaren, erklärt Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen: „Die Familie muss schon eine Menge Geduld haben“, sagt er. Allerdings kann er es nicht nachvollziehen, dass sich Baerbock für eine mögliche Vereinbarkeit von Kanzleramt und Kindern rechtfertigen muss. Für die Wahlentscheidung der allermeisten Menschen spiele „die Familiensituation von Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitikern im Jahr 2021 keine Rolle mehr. Ich wünsche mir jedenfalls, dass dies so ist“, erklärt Weil.  



Dennoch sieht er grundsätzlich Verbesserungsbedarf, damit Führungsjobs und Familie besser miteinander vereinbart werden können: „Führungsjobs werden viel zu oft noch mit ständiger Präsenz und Vollzeit plus Überstunden gleichgesetzt. Solange sich an diesem Grundverständnis nichts ändert, wird auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine große Herausforderung bleiben“, kritisiert Weil. „Ich bin mir allerdings sicher, dass der immer intensivere Wettbewerb um die besten Fachkräfte seinen Teil zum notwendigen Kulturwandel beitragen wird, denn auch sie achten zunehmend auf die Rahmenbedingungen im Job. Und die Corona-Pandemie hat uns ja aufgezeigt, wie schnell wir Arbeitsbedingungen durch Homeoffice, Videokonferenzen und vieles mehr flexibilisieren können.“  

Keine Antwort von Söder und Laschet 

Die Mainzer Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) hält Verbesserungen für ihren persönlichen Auftrag: „Ich bin überzeugte Feministin. In meinen Kabinetten gab es immer überdurchschnittlich viele Ministerinnen mit unterschiedlichen Lebensmodellen, selbstverständlich auch mit Kindern.“ Beim neu zu vereinbarenden Koalitionsvertrag für Rheinland-Pfalz verhandle sie mit zwei anderen Parteispitzen, die weiblich angeführt würden.

Keine Antwort gibt es hingegen von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Nordrhein-Westfalens Landeschef und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet – obwohl beide „Karrieremänner“ sind.

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Kanzlerin wird nach Kinderlosigkeit gefragt

Und was ist mit der Kanzlerin? Während Baerbock sich nun dafür rechtfertigen muss, dass sie mit Kindern ins Kanzleramt will, musste Angela Merkel erklären, weshalb sie eine Frau ist – und trotzdem keine Kinder hat: „Das hat sich nicht ergeben“, antwortete sie 2005 in einem Interview mit der „Brigitte“: „Ich hadere mit diesem Schicksal nicht, aber es war auch keine prinzipielle Entscheidung“.

Eine Frage, die ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD), der keine leiblichen Kinder hat, in seiner Amtszeit nie beantworten musste. 

Mehr zum Thema: Zum Selbstverständnis moderner Führungskräfte gehört, bei persönlichen Problemen für ihre Mitarbeiter da zu sein. Doch nicht selten stehen sich Empathie und Produktivität im Weg. Aber es gibt einen Ausweg.

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