Minus sieben Prozent für die SPD, minus sechs für die CDU. Die Berliner Bürger sagen Nein zur großen Koalition und Ja zu Rot-Rot-Grün. Linke und Grüne buhlen um die Gunst der SPD. Die CDU müsste sich neu erfinden – und dürfte daran scheitern. FDP und AfD atmen auf. Fünf Lehren aus der Abgeordnetenhaus-Wahl in Berlin.
1. Die SPD: Abgestraft, aber nicht abgewählt
Es ist die letzte Chance für den Regierenden Bürgermeister, der seit knapp zwei Jahren Berlin regiert. Als Michael Müller im Dezember 2014 die Nachfolge des (einst) schillernden Klaus Wowereit (SPD) antrat, inszenierte er sich als Macher. Anders als sein Vorgänger wollte er drängende Probleme in der Stadt lösen. Doch die Verwaltung ist immer noch heillos überfordert. Das für Flüchtlingsangelegenheiten zuständige Landesamt gilt bundesweit als das Negativ-Beispiel schlechthin in Sachen Krisenmanagement. Und der der Flughafen BER? Der soll 2017 noch eröffnen, versichert Müller. Reines Wahlkampf-Gerede halten ihm seine Kritiker entgegen und dürften wohl Recht behalten.
Kurzum: Der Regierende Bürgermeister hat seine zwei Jahre im Amt nicht genutzt. Gerade Mal 53 Prozent der Berliner hätten sich bei einer Direktwahl für ihn entschieden, für einen Amtsinhaber ein schlechter Wert. Müller ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben und wurde vom Wähler abgestraft: Aber: Seine SPD ist mit 21,6 Prozent stärkste Kraft geworden und hat damit den Auftrag, die nächste Landesregierung anzuführen – aller Voraussicht nach ein rot-rot-grünes Bündnis. Für die SPD im Bund ist die Botschaft klar: Regieren ohne Plan kommt beim Wähler nicht an.
2. Die (Berliner) CDU wird keine Groß- oder Hauptstadt-Partei mehr
Die Berliner haben keine Lust auf einen Möchtegern-Sheriff. Das ist Botschaft der Wähler an die CDU und ihren Spitzenkandidaten Frank Henkel. Der Noch-Innensenator muss in die Opposition. Ob er die auch anführen wird, ist unsicher. Die Berliner CDU hat das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten in der Hauptstadt geholt. Zurücktreten will Henkel zwar nicht, die Konservativen dürften dennoch darüber nachdenken, ob er noch der Richtige an der Spitze ist.
Denn ähnlich wie Müller hat auch der CDU-Mann nicht geliefert. Im vergangenen Jahr wurden etwa 570.000 Straftaten in der Hauptstadt begangen, knapp fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Im Wahlkampf hatte Henkel auf den Slogan „Für ein starkes Berlin“ gesetzt. Aber welches? Jenes starke Berlin, an dem Henkel seit fünf Jahren erfolglos arbeitet? Oder ein Berlin, das sich für ein Burka-Verbot stark macht, so wie von Henkel gefordert?
Die Abgeordnetenhauswahl zeigt einmal mehr: Die Union hat ein Problem in Großstädten. Wer Rot-Rot-Grün nicht wollte, hatte mit der FDP und der AfD – je nach politischer Ausrichtung – Alternativen zur CDU. Eine moderne Großstadtpartei ist die Berliner CDU in den vergangenen fünf Regierungsjahren nicht geworden. Bleibt Henkel an der Spitze oder wählen die Konservativen einen ähnlichen Typus Politiker als seinen Nachfolger, dürfte sich daran auch nichts ändern.
3. Linke und Grüne im Duell
Die Linke ist mit 15,6 Prozent hauchdünn vor den Grünen gelandet. Beide Parteien dürften sich künftig in einer gemeinsamen Regierung wiederfinden. Die Linke wird die Rolle der Nummer zwei für sich beanspruchen. Denn während die Grünen leicht verloren haben, konnte die Linke vier Prozentpunkte zulegen im Vergleich zur Wahl 2011. Sie haben das Momentum auf ihrer Seite.
Die künftige Berliner Landesregierung darf durchaus als Testlabor für den Bund gesehen werden. Werden die drei Parteien auf Augenhöhe miteinander arbeiten oder wird die SPD einen der beiden Partner bevorzugen beziehungsweise vernachlässigen? Rücken die Grünen nun eher nach links und die Linken eher in die Mitte? Diese Fragen stehen im Raum – in der Stadt Berlin, aber auch im Bund.
4. Die FDP: Die Methode Lindner funktioniert
Sebastian Czaja ist nicht mit Christian Lindner verwandt. Und doch könnte der Berliner Spitzenkandidat der Liberalen als politischer Klon des Bundesvorsitzenden durchgehen. Czaja sagt Sätze wie: „Wir sind eine Partei des Mutes, nicht der Angst“ – ein Satz, den Lindner ebenfalls sagt. Der 33-jährige Czaja hat das Modell Lindner erfolgreich kopiert, die FDP schafft mit ihm an der Spitze klar den Wiedereinzug ins Parlament.
Lindners Ansatz für die FDP ist simpel. Der Partei soll sich für den Fortschritt einsetzen, für ein „Update“ für Deutschland (oder Berlin), für etablierte Unternehmen gleichermaßen wie für Startups. Und gelegentlich rügt der Bundesvorsitzende die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin scharf. All das zusammen sind die Zutaten der FDP für den Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr. Die Chancen, dass die Mission Wiedereinzug gelingt, stehen gut.
5. Die AfD schafft es auch in der Großstadt
Eine Partei, die nur ein Thema hat – nämlich eine alternative Flüchtlingspolitik – kann in einer Stadt wie Berlin kaum erfolgreich sein. Das hatten manche in den etablierten Parteien gehofft. Die Hoffnung war trügerisch. Eine solche Partei kann auch in einer Multi-Kulti-Hochburg Erfolge feiern. Und: Im Osten der Stadt ist die Partei deutlich stärker als im Westen, also dort, wo die Probleme wie Arbeitslosigkeit besonders akut sind.
Die AfD ist jetzt in allen ostdeutschen Landtagen vertreten, insgesamt in neun von 16 in ganz Deutschland. Die Partei hat sich in den Ländern eine solide Basis aufgebaut, mit dem sie in den Bundestagswahlkampf starten kann. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich am Wochenende exklusiv im Gespräch mit der WirtschaftsWoche von ihrem Satz „Wir schaffen das“ distanziert. Eine grundsätzlich andere Flüchtlingspolitik hat Merkel aber nicht im Sinn. Die AfD muss sich als keine Sorgen machen. Sie wird weiterhin das Ventil für all jene sein, die Merkels Politik ablehnen – ob auf dem Land oder in der Großstadt.