G20-Demonstranten Sie wollen, was alle wollen – nur lauter

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Demo-Woche als bunter Spaß

Die Demo, zu der Attac für Samstag aufruft, soll „laut, bunt und vielfältig“ werden. Das Bündnis BlockG20 wirbt unter dem Motto "colour the red zone – die rote Zone bunt machen" für „Aktionen des kreativen zivilen Ungehorsams und des bunten Widerstands gegen den G20-Gipfel“ auf.

Bunt und kreativ soll es also zugehen. Mit anderen Worten: Man verspricht Spaß. Und ein gutes Gewissen gibt es als Bonus noch dazu. Ist so eine Demo-Woche in Hamburg nicht unterhaltsamer als jede Urlaubsreise?

Außerdem sind natürlich auch die üblichen „engagierten“ Musiker zu genießen: Der unvermeidliche Herbert Grönemeyer vorneweg, dazu Coldplay, Pharell Williams, Rihanna und andere werden am Donnerstag zum „Global-Citizen-Festival“ aufspielen. Sie tun das gratis. Was ist schon ein schnödes Honorar gegen die Gewissheit, „ein Zeichen für eine gerechtere Welt“ (so die Veranstalter) zu setzen.

Diese Staatschefs kommen zu G20 nach Hamburg
DeutschlandKanzlerin Angela Merkel (62) richtet ihren ersten G20-Gipfel im eigenen Land innen- wie außenpolitisch in starker Verfassung aus. Sie hat gute Chancen auf eine vierte Kanzlerschaft im Herbst und wird wegen der schwierigen Entwicklung in den USA inzwischen als „Führerin der freien Welt“ betitelt - gegen ihren Willen. Quelle: AP
FrankreichNoch vor einem halben Jahr galt Emmanuel Macron (39) als chancenloser Außenseiter, nun ist er jüngster französischer Präsident aller Zeiten mit weitreichenden Kompetenzen. In Europa arbeitet er Hand in Hand mit Kanzlerin Merkel, auf internationaler Ebene will er das bürgerkriegserschütterte Syrien befrieden. Quelle: REUTERS
USAPräsident Donald Trump (71) steckt zu Hause in einem Sumpf aus Problemen, von einer noch fehlenden Steuerreform bis zur Russland-Affäre. In Hamburg wird er wegen seiner nationalistischen Handels- und Wirtschaftspolitik sowie der kontroversen US-Klimapolitik für Gesprächsstoff, vielleicht auch Streit sorgen. Quelle: AP
RusslandFür Kremlchef Wladimir Putin (64) ist die erste Begegnung mit US-Präsident Trump das wichtigste Gipfel-Ereignis. Die Beziehungen zwischen Moskau und Washington sind so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht. Bei den Krisenherden Syrien, Ukraine und Nordkorea hat Putin, dienstältester Staatenlenker der G20, ein wichtiges Wort mitzureden. Quelle: dpa
ChinaDer chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping (64) bündelt mehr Macht als seine Vorgänger in seinen Händen und sucht eine größere Rolle für China auf der Weltbühne. Der Isolationismus der USA unter Trump hilft ihm, sich als Vorreiter im Freihandel und Klimaschutz zu präsentieren, obwohl die Realität in China ganz anders aussieht. Quelle: dpa
TürkeiDer türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (63) ist seit seinem Sieg beim Verfassungsreferendum mächtig wie nie. Die Opposition wirft ihm vor, eine Diktatur zu errichten. Sein erster Deutschland-Besuch seit zwei Jahren ist wegen der Krise in den deutsch-türkischen Beziehungen heikel. Einen Auftritt vor Anhängern hat die Bundesregierung ihm verboten. Möglich, dass er deswegen noch absagt. Quelle: AP
Saudi-ArabienAn der Spitze des schwerreichen Saudi-Arabien steht König Salman (81), dessen Sohn Mohammed bin Salman (31) in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum starken Mann wurde. Wegen der Katar-Krise sagte Salman seine Teilnahme am G20-Gipfel aber am Montag ab. Nach Angaben der saudi-arabischen Botschaft in Berlin wird Staatsminister Ibrahim al-Assaf die Delegation des Königreiches anführen. Quelle: dpa

Die Protestbewegung gegen die G7- und G20-Gipfel ist längst zu einem unterhaltsamen Spektakel geworden, zu einer Karikatur einstiger politische Kämpfe. Man spielt noch einmal nach, was Mama und Papa 1968 vormachten.

Schon damals aber war das Karikaturenhafte einer Bewegung erkennbar, die mit theatralischer Heldenpose Tore einrannte, die kaum noch verteidigt wurden. Man fabulierte von der Revolution und hüpfte zum Sound von „Street Fighting Man“ durch die Universitätsstädte. Aber schon bald wurde aus den Rolling Stones ein bis heute Milliarden umsetzendes Unterhaltungsunternehmen. Der Kapitalismus war stärker – und die Teilhabe an ihm so viel angenehmer als die Revolution.

Die Demonstranten von Hamburg mögen sich „links“ nennen, aber als ernstzunehmende politische Kraft ist die einstige westliche Linke längst aufgesogen und mitgerissen worden von einer Dynamik der Entgrenzung, die von ganz anderen Kräften angetrieben wird: nämlich von denen des Kommerzes. Von der Kampfansage der früheren Linken sind nur Etiketten übrig geblieben. Und diese haben sich die Regierenden und Wirtschaftenden längst selbst angeklebt. Alles ließe sich auf den Nenner bringen: Eine bessere Welt schaffen.

Wem die ernste Sorge um die Opfer und Verlierer der ökonomischen Globalisierung wichtiger ist als der Demo-Spaß, der muss sich andere als die oben genannten Fragen stellen. Nämlich ernsthafte, wirklich politische Fragen:

Wer kann eher „den Kapitalismus zähmen“ und die Interessen der Marktverlierer gegen die Interessen des Kapitals vertreten – eine Welt-Demokratie, deren Machbarkeit fraglich ist, oder funktionierende Demokratien? Auf welcher Organisationsebene ist jenseits der Phrasen und bunten Demo-Plakate tatsächliche Solidarität für diejenigen zu erwarten, die auf künftigen Arbeitsmärkten geringe Chancen haben - in einer amorphen Weltgemeinschaft oder in den funktionierenden Solidargemeinschaften der Nationalstaaten?

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