G20-Demonstranten Sie wollen, was alle wollen – nur lauter

Die Demonstrationen in Hamburg sind nichts als eitles Spektakel: Attac und Konsorten handeln selbst wie Konzerne in einer globalisierten Aufmerksamkeitsökonomie.

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Aktivisten halten in Hamburg ein Banner mit der Aufschrift

Wie bei so manchem G20- oder G7-Gipfel zuvor, stehlen die Protestierer in Hamburg den Regierungschefs schon die Show, bevor diese sich überhaupt treffen. Beschrieben werden die Demonstranten und Aktivisten meist als „Globalisierungskritiker“ oder „-gegner“. Aber das ist ein großes Missverständnis. Letztlich stehen sich Demonstranten (vom gewalttätigen „schwarzen Block“ einmal abgesehen) und die meisten G20-Regierungen (von Trump, Erdogan und Putin abgesehen) sehr nahe. 

Am Mittwoch schon begann ein alternativer „Gipfel der globalen Solidarität“ unter Federführung der Organisation Attac. Zu dem veranstaltenden Bündnis gehören unter anderem auch die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung, die Naturschutzorganisation Robin Wood und die „Interventionistische Linke“.

Ihre selbstgenannten „zentralen Fragestellungen“ sind von den Zielen der Regierenden der G20-Nationen, vor allem Deutschlands, überhaupt nicht zu unterscheiden: „Wie überwinden wir Armut, Ausbeutung, Unterdrückung, Krieg und Naturzerstörung? Wie können wir soziale und demokratische Rechte global durchsetzen? Wie bekämpfen wir effektiv Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie? Wie erreichen wir ein Gemeinwesen, das auf Kooperation und Selbstbestimmung basiert? Wie sieht eine Wirtschaft aus, die dem Menschen dient?“

22 Zahlen rund um den G20-Gipfel

„Aber genau diese Ziele verfolgen wir doch auch!“, könnten Angela Merkel, Emmanuel Macron oder Justin Trudeau ihnen zurufen. Wirklich zu befürchten haben die Regierenden von diesen Bewegungen daher nichts. Lenin würde wohl urteilen: Es fehlt das „revolutionäre Bewusstsein“. Die Frage nach der Macht ist kein Thema für den Alternativgipfel.

Unter diesen Umständen ist es also kein Wunder, dass Merkel schon im Vorhinein in ihrer jüngsten Regierungserklärung die zu erwartenden Proteste für „mehr als legitim in einer Demokratie“ erklärte, während sie mit Blick auf Trump (zwar ohne ihn beim Namen zu nennen) sehr viel schärfer urteilte: "Wer glaubt, die Probleme dieser Welt mit Isolationismus und Protektionismus lösen zu können, der unterliegt einem gewaltigen Irrtum". Ihre Botschaft ist klar: Attac und Co sind schlimmstenfalls etwas ungezogen, aber letztlich in Ordnung - Trump nicht.

Auf diese Sechs kommt es beim Treffen an
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die dienstälteste Regierungschefin in Europa. Für sie wird der G20-Gipfel ein Treffen mit schwierigen Gesprächspartnern. Quelle: dpa
Donald Trump ist in viel schlechterer Verfassung als sein Land. Er tut sich fünf Monate nach der Amtsübernahme innenpolitisch schwer - G20 wird für ihn ebenfalls ein schwieriges Parkett. Quelle: AP
Donald Trump wird beim Gipfel versuchen, „Make-America-Great“-Themen zu spielen. Quelle: dpa
Der russische Präsident Wladimir Putin reist vor allem nach Hamburg, um erstmals Donald Trump zu treffen. Quelle: dpa
Russlands starke Stellung im Syrien-Konflikt ist trotzdem ein Pfund, mit dem Wladimir Putin bei der G20 wuchern kann. Quelle: dpa
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat mehr Macht an sich gerissen als seine Vorgänger und damit auch eine stärkere Position bei den G20. Quelle: REUTERS
Chinas Staatschef Xi Jinping ist ein Vorkämpfer gegen den Protektionismus. Er will eine größere Rolle auf der Weltbühne spielen. Quelle: REUTERS

Die Grenzen zwischen den politischen Akteuren und deren vorgeblichen Gegnern werden ohnehin immer unkenntlicher. Vor allem die Grünen, die mit ihrer Jugendorganisation und der Heinrich-Böll-Stiftung zu den Mitinitiatoren des Hamburger Gegengipfels gehören, versinnbildlichen die Auflösung des Gegensatzes zwischen politischer Klasse und Protest-Szene. 

Aber auch die deutsche Regierungspartei SPD ist im Lager der Demonstranten vertreten. Beim Gegengipfel „für globale Solidarität“ ist zum Beispiel die NGO „Demokratie ohne Grenzen“ von Andreas Bummel beteiligt, die die Einführung eines UNO-Parlaments fordert, „um die globale Zusammenarbeit zu stärken und zu demokratisieren“. Unterstützer der NGO und Mitautor von Bummels Buchs „Das demokratische Weltparlament“ ist der SPD-Europaabgeordnete und ehemalige saarländische Umweltminister Jo Leinen.

Zehn Dinge, die man über G20 wissen sollte

 

Auch die zur Schau getragene Kritik an den großen, weltweit agierenden Konzernen wirkt eher theatralisch als unversöhnlich. Schließlich haben sich – bald 50 Jahre nach „68“ – auch die Demonstranten in der westlichen Welt längst an die ungeschriebenen Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie angepasst und professionalisiert.

Attac, Greenpeace und Konsorten agieren längst selbst wie multinationale Konzerne. Zwar fehlen die Aktien, doch attraktive Renditen schütten sie ihren Stakeholdern reichlich aus. Im Angebot haben sie unter anderem: ein gutes Gewissen, gemeinschaftliches Ausleben von Empörung und Zurschaustellung von moralischer Überlegenheit und Rechtschaffenheit. Und nicht zuletzt einfach Spaß und Unterhaltung.

Demo-Woche als bunter Spaß

Die Demo, zu der Attac für Samstag aufruft, soll „laut, bunt und vielfältig“ werden. Das Bündnis BlockG20 wirbt unter dem Motto "colour the red zone – die rote Zone bunt machen" für „Aktionen des kreativen zivilen Ungehorsams und des bunten Widerstands gegen den G20-Gipfel“ auf.

Bunt und kreativ soll es also zugehen. Mit anderen Worten: Man verspricht Spaß. Und ein gutes Gewissen gibt es als Bonus noch dazu. Ist so eine Demo-Woche in Hamburg nicht unterhaltsamer als jede Urlaubsreise?

Außerdem sind natürlich auch die üblichen „engagierten“ Musiker zu genießen: Der unvermeidliche Herbert Grönemeyer vorneweg, dazu Coldplay, Pharell Williams, Rihanna und andere werden am Donnerstag zum „Global-Citizen-Festival“ aufspielen. Sie tun das gratis. Was ist schon ein schnödes Honorar gegen die Gewissheit, „ein Zeichen für eine gerechtere Welt“ (so die Veranstalter) zu setzen.

Diese Staatschefs kommen zu G20 nach Hamburg
DeutschlandKanzlerin Angela Merkel (62) richtet ihren ersten G20-Gipfel im eigenen Land innen- wie außenpolitisch in starker Verfassung aus. Sie hat gute Chancen auf eine vierte Kanzlerschaft im Herbst und wird wegen der schwierigen Entwicklung in den USA inzwischen als „Führerin der freien Welt“ betitelt - gegen ihren Willen. Quelle: AP
FrankreichNoch vor einem halben Jahr galt Emmanuel Macron (39) als chancenloser Außenseiter, nun ist er jüngster französischer Präsident aller Zeiten mit weitreichenden Kompetenzen. In Europa arbeitet er Hand in Hand mit Kanzlerin Merkel, auf internationaler Ebene will er das bürgerkriegserschütterte Syrien befrieden. Quelle: REUTERS
USAPräsident Donald Trump (71) steckt zu Hause in einem Sumpf aus Problemen, von einer noch fehlenden Steuerreform bis zur Russland-Affäre. In Hamburg wird er wegen seiner nationalistischen Handels- und Wirtschaftspolitik sowie der kontroversen US-Klimapolitik für Gesprächsstoff, vielleicht auch Streit sorgen. Quelle: AP
RusslandFür Kremlchef Wladimir Putin (64) ist die erste Begegnung mit US-Präsident Trump das wichtigste Gipfel-Ereignis. Die Beziehungen zwischen Moskau und Washington sind so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht. Bei den Krisenherden Syrien, Ukraine und Nordkorea hat Putin, dienstältester Staatenlenker der G20, ein wichtiges Wort mitzureden. Quelle: dpa
ChinaDer chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping (64) bündelt mehr Macht als seine Vorgänger in seinen Händen und sucht eine größere Rolle für China auf der Weltbühne. Der Isolationismus der USA unter Trump hilft ihm, sich als Vorreiter im Freihandel und Klimaschutz zu präsentieren, obwohl die Realität in China ganz anders aussieht. Quelle: dpa
TürkeiDer türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (63) ist seit seinem Sieg beim Verfassungsreferendum mächtig wie nie. Die Opposition wirft ihm vor, eine Diktatur zu errichten. Sein erster Deutschland-Besuch seit zwei Jahren ist wegen der Krise in den deutsch-türkischen Beziehungen heikel. Einen Auftritt vor Anhängern hat die Bundesregierung ihm verboten. Möglich, dass er deswegen noch absagt. Quelle: AP
Saudi-ArabienAn der Spitze des schwerreichen Saudi-Arabien steht König Salman (81), dessen Sohn Mohammed bin Salman (31) in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum starken Mann wurde. Wegen der Katar-Krise sagte Salman seine Teilnahme am G20-Gipfel aber am Montag ab. Nach Angaben der saudi-arabischen Botschaft in Berlin wird Staatsminister Ibrahim al-Assaf die Delegation des Königreiches anführen. Quelle: dpa

Die Protestbewegung gegen die G7- und G20-Gipfel ist längst zu einem unterhaltsamen Spektakel geworden, zu einer Karikatur einstiger politische Kämpfe. Man spielt noch einmal nach, was Mama und Papa 1968 vormachten.

Schon damals aber war das Karikaturenhafte einer Bewegung erkennbar, die mit theatralischer Heldenpose Tore einrannte, die kaum noch verteidigt wurden. Man fabulierte von der Revolution und hüpfte zum Sound von „Street Fighting Man“ durch die Universitätsstädte. Aber schon bald wurde aus den Rolling Stones ein bis heute Milliarden umsetzendes Unterhaltungsunternehmen. Der Kapitalismus war stärker – und die Teilhabe an ihm so viel angenehmer als die Revolution.

Die Demonstranten von Hamburg mögen sich „links“ nennen, aber als ernstzunehmende politische Kraft ist die einstige westliche Linke längst aufgesogen und mitgerissen worden von einer Dynamik der Entgrenzung, die von ganz anderen Kräften angetrieben wird: nämlich von denen des Kommerzes. Von der Kampfansage der früheren Linken sind nur Etiketten übrig geblieben. Und diese haben sich die Regierenden und Wirtschaftenden längst selbst angeklebt. Alles ließe sich auf den Nenner bringen: Eine bessere Welt schaffen.

Wem die ernste Sorge um die Opfer und Verlierer der ökonomischen Globalisierung wichtiger ist als der Demo-Spaß, der muss sich andere als die oben genannten Fragen stellen. Nämlich ernsthafte, wirklich politische Fragen:

Wer kann eher „den Kapitalismus zähmen“ und die Interessen der Marktverlierer gegen die Interessen des Kapitals vertreten – eine Welt-Demokratie, deren Machbarkeit fraglich ist, oder funktionierende Demokratien? Auf welcher Organisationsebene ist jenseits der Phrasen und bunten Demo-Plakate tatsächliche Solidarität für diejenigen zu erwarten, die auf künftigen Arbeitsmärkten geringe Chancen haben - in einer amorphen Weltgemeinschaft oder in den funktionierenden Solidargemeinschaften der Nationalstaaten?

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