So einfach wie einprägsam sind die Botschaften, die den G7-Gipfel am Samstag einläuten: "An jedem Krieg in jedem Land verdient zum Schluss die Deutsche Bank", skandieren die Demonstranten in Garmisch-Partenkirchen, kaum dass sie die Hypo-Vereinsbank am Rathausplatz passiert haben. Die gewagte These amüsiert manch einen Einheimischen, der sich das Demo-Spektakel vom Gehsteig aus anschaut – gut geschützt hinter den Rücken von Bereitschaftspolizisten aus der ganzen Republik.
Rund 4000 Protestler kommen zum inoffiziellen Auftakt dieses pompösen Gipfeltreffens – und jeder von ihnen definiert die Demo-Ziele auf seine Weise: Ein paar Altkommunisten schwenken Sowjetfahnen und sehnen sich offenbar nach dem totalitären Sozialismus. Andere bekennen sich per schwarzer Fahne zur "Allgemeinen Systemkritik"; ihre Halstücher vor Mund und Nase sollen wohl vor Pfefferspray schützen. Wieder andere verteufeln TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Alle zusammen freilich sind sie gegen den G7-Gipfel an sich, auf welchen sich wunderbar beliebig die individuelle Anti-Haltung projizieren lässt.
Die linken Aktivisten in ihren Zelten eint mit den sieben Staats- und Regierungschefs in den Luxussuiten im nahe gelegenen Schloss Elmau eines: Sie alle laden diesen zunehmend absurd wirkenden Gipfel am Fuße der Zugspitze à la carte mit ihren Themen auf – ohne dass hernach ein konkretes Ergebnis, eine griffige Botschaft zu erwarten wäre. Wie so viele Gipfel zuvor gerät auch dieses mehr als 300 Millionen Euro teure Treffen in Oberbayern zur inhaltlich unverbindlichen Selbstinszenierung, für die untereinander tief zerstrittenen Protestgruppen ebenso wie für die sieben mehr oder weniger mächtigen Staats- und Regierungschefs des Westens. It’s Showtime!
Das Ausmaß des Aufwands wird einem am Samstagmittag bei der Anreise offenbar: Bereits gut 50 Kilometer vor Garmisch-Partenkirchen sind alle Rastplätze gesperrt, damit dort die unzählbaren Polizeiautos parken können. Wohl dem, der seinen Toilettengang schon in München erledigt hat. Wenig später stoppt einen die Polizei zur ersten Kontrolle, dreimal noch wird man bis zum Fuß der Zugspitze angehalten.
In Garmisch-Partenkirchen sieht man weit mehr Polizei- als Zivilwagen, mit 17.000 Beamten herangekarrt aus dem ganzen Land. Touristen und Einwohner lassen ihre Wagen vor den Unterkünften stehen, es herrscht sowieso überall Parkverbot. An einigen Häusern kann man auf Plakaten lesen, was die Leute hier davon halten: "Stoppt G7!". Zu spät.
Als Journalist muss man den Organisatoren gleichwohl zugutehalten: Die Veranstaltung ist perfekt organisiert. In der Eissporthalle, wo einst Eislaufstar Anni Friesinger ihre Runden drehte, finden sich Steckdosen für knapp 2000 Journalisten. Ihnen zu Ehren lässt die bayrische Staatskanzlei am Samstagabend einen ganzen Ochsen braten; es gibt Sekt und Weißbier zum Finale der Champions League. Nebenbei verteilt die Tourismuszentrale der Stadt als Schlüsselanhänger getarnte USB-Sticks mit Werbung für die Urlaubsregion. Wenn Garmisch schon so viele Touristen wegen G7 verloren hat, sollen die Medien wenigstens über die Schönheit der Gegend berichten.
Was ist der Gipfel überhaupt wert?
Überhaupt spielt die Weltpresse eine entscheidende Rolle beim Gelingen dieses Gipfels: 140 auserwählte Journalisten sollen am Sonntagvormittag mit dem Bus ins Dorf Krün kutschiert werden, wo sie die Gully-Deckel schon vor Wochen versiegelt haben. Scharfschützen wachen auf den Dächern am Sonntagvormittag, wenn sich US-Präsident Barack Obama im Dorf eine ordentliche Dosis Lokalkolorit gönnen wird: Alphornbläser und Weißwurstessen, so hört man, sind inklusive.
In Krün trifft er auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – bilateral, hinter verschlossenen Türen. Erst um 13 Uhr beginnen dann die offiziellen Gespräche auf dem teuer restaurierten Luxus-Schloss Elmau und den Alpen im Hintergrund, wo die Mächtigen des Westens später für die Fotografen der Welt posen werden.
Wohlfeile politische Formulierungen
Inhalte spielen bei all dem nur eine Nebenrolle. Bundeskanzlerin Angela Merkel will zwar ein klares Bekenntnis der Teilnehmer zum Zwei-Grad-Ziel durchsetzen – aber dass die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzt werden soll, war bereits beim UN-Klimagipfel in Kopenhagen 2009 besprochen worden. Es fehlt seither bloß an konkreten Fristen, aber die werden wohl auch in Elmau wieder wohlfeilen politischen Formulierungen zum Opfer fallen.
Die größten Baustellen der G7
Nach der Geldschwemme der Notenbanken ist den Staaten daran gelegen, die Weltwirtschaft unabhängig vom billigen Zentralbankgeld dauerhaft anzuschieben. Ein Patentrezept haben sie nicht, doch Konjunkturspritzen auf Pump erteilten die G7 einhellig eine Absage: Schuldenfinanziertes Wachstum sei keine Alternative zu Strukturreformen. Dieses Votum kann Gastgeber Wolfgang Schäuble (CDU) als Erfolg verbuchen, denn der Bundesfinanzminister hatte vor dem Minister-Treffen vor einer weiteren Schuldenspirale gewarnt.
Bis Ende dieses Jahres wollen die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) ihr Maßnahmenpaket gegen Steuertricks und Gewinnverlagerungen internationaler Konzerne (BEPS) endgültig schnüren. Diese Frist stellen die G7-Länder USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Kanada und Italien nicht in Frage - im Gegenteil: Sie mahnen, schon jetzt über weitere Schritte nachzudenken: Wie soll ein Schlichtungsverfahren aussehen, wenn mehrere Länder sich über die Besteuerung der Gewinn von Konzernen streiten, die grenzübergreifend aktiv sind? Wären bei solchen Konzernen gemeinsame Steuerprüfungen mehrerer Länder möglich?
Die G7 loteten neue Verhaltensregeln für Banker („Banker's Code of Conduct“) aus, um den Kulturwandel in der Branche nach den Verwerfungen der Finanzkrise 2008 voranzutreiben. Bei Großbanken sollen zusätzliche Kapitalpuffer („GLAC“, „TLAC“) sicherstellen, dass im Krisenfall ausreichend Mittel zu deren Sanierung beziehungsweise notfalls Abwicklung zur Verfügung stehen. Der genaue Umfang dieser Puffer ist noch nicht festgelegt. Beim Thema Staatsanleihen machte sich vor allem Deutschland dafür stark, dass Banken solche Papiere künftig mit Eigenkapital in der Bilanz absichern müssen - schließlich habe die Krise gezeigt, dass das Risiko nicht gleich Null ist. Nach den Dresdner Beratungen bilanzierte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, es sei festzustellen, dass es „einen wachsenden Konsens gibt, die bisherige regulatorische Behandlung von Staatsanleihen zu überprüfen“.
Die kritische Lage in dem kleinen Euroland stand zwar nicht ausdrücklich auf der Tagesordnung der Dresdner Beratungen. Doch das Hellas-Drama war ebenfalls Thema - schon allein deshalb, weil in Dresden auch die Spitzen der Geldgeber Athens vertreten waren: Christine Lagarde (Internationaler Währungsfonds/IWF), Mario Draghi (Europäische Zentralbank/EZB), Jeroen Dijsselbloem (Eurogruppe) und Pierre Moscovici (EU-Kommission). Die Athener Lesart, dass eine Einigung mit den Geldgebern greifbar sei, teilte in Dresden niemand.
iesen, sie beschaffen sich Geld zunehmend auch auf anderen Wegen. Die G7 berieten über Lücken im Kampf gegen solche Finanzströme sowie über neue Wege, um Vermögenswerte von Terroristen schnell einfrieren zu können und Finanzströme generell transparenter zu machen.
Über ein internationales Hilfspaket sollen gut 40 Milliarden Dollar für die Ukraine bereitgestellt werden. Der IWF steuert rund 17,5 Milliarden Dollar bei. Hinzu kommen Hilfen einzelner westlicher Staaten. Weil das nicht reicht, verhandelt die ukrainische Regierung mit weiteren Geldgebern - darunter auch Russland -, um Kiews Staatsschulden auf ein tragfähiges Niveau zu senken. 15 Milliarden Dollar sollen durch Restrukturierungen zusammenkommen. Dabei geht es um den Verzicht auf Forderungen, niedrigere Zinsen sowie Laufzeitverlängerungen. Die G7 sagten der Regierung in Kiew ihre Unterstützung bei den laufenden Reformen zu.
Die G7 befassten sich auch mit dem möglichen Aufstieg des chinesischen Yuan (Renminbi) zu einer Weltwährung. Dabei geht es um eine Ausweitung des Währungskorbs des IWF. Bisher sind neben dem US-Dollar und dem Euro das britische Pfund und der japanische Yen in dem Korb enthalten. Daraus setzen sich die sogenannten Sonderziehungsrechte (SZR) zusammen - eine künstliche, vom IWF geschaffene Währungseinheit. Im Herbst könnte eine Entscheidung in Sachen Yuan fallen. Die Eingliederung in den Währungskorb soll nicht nur Chinas Gewicht in der Weltwirtschaft widerspiegeln. Die anderen Top-Wirtschaftsmächte hoffen auch, dass Peking seine Währung weniger kontrolliert. Der IWF hatte China aufgerufen, für einen freien Wechselkurs zu sorgen. Der Yuan ist eng an den Dollar gekoppelt.
Die westlichen Industrieländer loten eine gemeinsame Linie bei der von China initiierten Entwicklungsbank für Asien (AIIB) aus, die mehr Geld für die Infrastruktur in Asien mobilisieren soll. Zu den Gründungsmitgliedern gehören auch G7-Länder wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Die US-Regierung sieht die AIIB dagegen skeptisch. Auch Japan und Kanada als weitere G7-Staaten gehören bisher nicht zu den AIIB-Gründungsmitgliedern. Die USA dominieren im Internationalen Währungsfonds und in der Weltbank.
Zumal die G7 für Klimafragen der falsche Rahmen sind: Fünf Länder sind allein für die Hälfte der Treibhausgase verantwortlich – darunter mit China, Russland und Indien drei Staaten, denen die Teilnahme im erlauchten Foto-Fanklub der G7 verwehrt bleibt.
Was also ist der Wert dieser Gipfel? Das fragen sich schon im Vorfeld des Brimboriums immer mehr Kommentatoren in den Leitmedien. Wesentliche Fragen zur Wirtschaftspolitik spielen auf der Agenda keine Rolle, bei Diskussionen über Gesundheit, Armutsbekämpfung und Klimawandel droht belangloses Palaver. Vielleicht hätte man sich den mehr als 300 Millionen Euro teuren Aufwand rund um Garmisch-Partenkirchen einfach sparen, das Treffen kurzerhand ins ohnehin gut bewachte Bundeskanzleramt verlegen sollen, wenn sich der Westen schon treffen muss, obwohl doch Weltpolitik ohne China kaum mehr möglich ist.
Immerhin bleibt an jenem Samstag alles recht friedlich. Bei der Demonstration quer durch die Innenstadt von Garmisch kommt es zwar zu einer Rangelei, bei der ein Polizist und eine Demonstrantin offenbar Pfefferspray in die Augen bekommen. Pflastersteine aber reißt selbst der schwarze Block nicht aus den Straßen. Verhältnisse wie in Frankfurt, wo Proteste gegen die Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank vor wenigen Wochen etliche hundert Verletzte gefordert hatten, wollte sich die stolze bayrische Polizei offenbar nicht bieten lassen.
Zudem macht das Wetter am Abend auch den bunten Protest der G7-Gegner zunichte: Ein Gewitter mit Starkregen wütet über Stunden so sehr, dass die Polizei das Zeltlager evakuieren lässt – mit Zustimmung der Organisatoren. Die meisten Camper sind schlichtweg baden gegangen. Irgendwie läuft alles nicht so rund, weder für die Demonstranten, noch für die Polizei, aber sicher auch nicht für die Politiker, die später ihre erwartbare Floskel- und Bilderschlacht starten werden.
Und abschließend fragt sich jeder: War es das wirklich wert? In Garmisch-Partenkirchen, so viel steht jedenfalls fest, sind sie froh, wenn der Spuk wieder vorbei ist. Vielleicht kommen dann auch die Touristen wieder.