Gabriel im Ruhrgebiet „Es ist fünf vor zwölf für die SPD“

Das Ruhrgebiet könnte die nächste Wählerhochburg der AfD werden. Der Pott gilt als Deutschlands „Problemregion Nummer 1“. SPD-Chef Gabriel reist heute in das einstige Kernland der Sozialdemokraten.

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Der Wirtschaftsminister stellt sich am Abend in Gelsenkirchen den Fragen der Bürger. Quelle: Reuters

Gelsenkirchen/Düsseldorf Sigmar Gabriel auf Ruhr-Tour: Bei seinem zweitägigen Besuch im Ruhrgebiet will der SPD-Chef in dieser Woche Leuchttürme des Strukturwandels besuchen. Im Revier der „kleinen Leute“, stellt sich Gabriel – selbst Sohn einer alleinerziehenden Krankenschwester – am Montag in Gelsenkirchen aber auch Fragen der Bürger. Zu neudeutsch: „Townhall-Meeting“. Gelsenkirchen hat laut Arbeitsagentur mit 14,9 Prozent die höchste Arbeitslosenquote in Deutschland.

In keinem anderen deutschen Ballungsraum leben mehr Menschen als im Ruhrgebiet mit seinen über fünf Millionen Einwohnern. Wer in NRW Landtags- oder Bundestagswahlen gewinnen will, kommt am „Revier“ nicht vorbei. In knapp neun Monaten wählt das einwohnerstärkste Land und ist damit letzter Gradmesser vor der Bundestagswahl.

Wie gefährlich kann die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) den bürgerlichen Parteien in NRW werden? Einige Sozialwissenschaftler befürchten nach den Erfahrungen der drei Landtagswahlen vom vergangenen März, dass das Ruhrgebiet die nächste Wählerhochburg der AfD werden könnte.

Laut Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ist das Ruhrgebiet Deutschlands „Problemregion Nummer 1“. Jeder fünfte muss hier zu den Armen gezählt werden.

Das Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen hatte nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt festgestellt, dass die AfD vor allem bei den Abgehängten der Gesellschaft punkten konnte. In Brennpunkten mit hoher Arbeitslosigkeit und beträchtlichem Migrantenanteil räumten die Rechtspopulisten ab – holten teilweise jede dritte Stimme.


AfD kommt in NRW in den Umfragen auf 31 Prozent

Dass es in NRW genauso kommen muss, ist für den Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler aber keineswegs ausgemacht. „Nordrhein-Westfalen war bislang im Vergleich zu anderen ein schlechtes Pflaster für Parteien aus dem rechten Spektrum“, sagt der Sozialwissenschaftler der Fachhochschule Düsseldorf. Das gelte in besonderem Maße für das Ruhrgebiet, das bereits seit über 200 Jahren ein Ort der Zuwanderung und ein Schmelztiegel vieler Nationalitäten sei.

Allerdings könne sich das mit der AfD ändern, die sich mit ihrem kürzlich bereits beschlossenen Landtagswahlprogramm „nicht so ganz rechts außen“ gebe. „Für die SPD ist es fünf vor zwölf, wenn sie in ihrem Kernland nicht – wie schon in den bundesweiten Umfragen – einbrechen will“, warnt Häusler. „Nordrhein-Westfalen wird entscheidend sein, ob die AfD ihren Durchmarsch fortsetzen kann.“

In jüngsten Umfragen lag die AfD in Land und Bund um 12 Prozent, die SPD im Bund bei 21 und in NRW bei 31 Prozent. Im Ruhrgebiet hat die SPD 45.000 ihrer 110.000 Mitglieder. „Die müssen in den Quartieren derer, die sich allein gelassen fühlen, viel präsenter sein und sich stärker als Kümmerer beweisen“, rät Häusler.

Für den Gelsenkirchener Oberbürgermeister und Sprecher der Ruhr-SPD, Frank Baranowski, ist das klar. „Für das Ruhrgebiet stehen zwei sozialdemokratische Grundwerte im Mittelpunkt: Solidarität und Gerechtigkeit“, sagt er der dpa. Dabei gehe es um Bildung, eine ordentliche Finanzausstattung der Städte und eine gute Infrastruktur. „Und wir brauchen endlich einen sozialen Arbeitsmarkt, denn wir dürfen langzeitarbeitslose Menschen nicht einfach ohne Perspektive und Wertschätzung lassen.“ Dazu sei Unterstützung aus Berlin nötig.

Der Chef der Landtagsfraktion und der SPD-Region Westliches Westfalen, Norbert Römer, setzt auf Gabriel – auch als Kanzlerkandidat. Dass der 56-Jährige sich öfter raubeinig gibt, schadet ihm aus Römers Sicht in NRW nicht. „Gabriel spricht die Sprache der Menschen, und er duckt sich nicht weg.“ Die Bürger des Ruhrgebiets hätten dafür eine Antenne und gingen Populisten nicht so schnell auf den Leim, meint das 69-jährige SPD-Urgestein aus Herne. „Die Menschen hier haben ein gutes Gespür, wer es ehrlich meint.“

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