Gabriel und die SPD Behutsamer Linksruck

Selbstfindung hinter verschlossenen Türen: Die angeschlagene SPD will von der sozialdemokratisierten Union wieder unterscheidbar sein. Was bedeutet der Abgrenzungskurs für die Suche nach einem neuen Bundespräsidenten?

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Sigmar Gabriel will mit der SPD „radikaler“ auftreten. Quelle: dpa

Berlin Die Frage muss kommen. Und sie prallt am Vorsitzenden einfach ab. Ob die angereisten Funktionäre seine Amtsführung kritisiert hätten, will ein Reporter von Sigmar Gabriel wissen. Der grinst breit und erwidert: „Vielleicht jetzt, wo ich nicht da bin.“ Während der SPD-Chef unten im Foyer des Willy-Brandt-Hauses die Journalisten über die Ergebnisse des Parteikonvents informiert, geht die Diskussion über den Zustand der SPD nämlich oben in einem Saal hinter verschlossenen Türen weiter.

Gesprächsbedarf für die angereisten gut 200 Funktionäre gibt es genug. Umfragen teils unter 20 Prozent. Wahlklatschen in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg, dafür der Malu-Dreyer-Triumph in Mainz. Ein Vorsitzender, dem Teile von Partei und Fraktion nicht über den Weg trauen; die damit verbundene ungeklärte Kanzlerkandidatenfrage. Und eine AfD, die der SPD bei den „kleinen Leuten“ den Rang abläuft.

Gabriels humorvolle Reaktion beweist schon, dass ein als „worst case“ befürchtetes Scherbengericht beim Konvent ausbleibt. Es werden zwar kritische Nachfragen zu Gabriels „Solidarprojekt“ notiert. Etwa wie die Wohltaten, die Neid zwischen Einheimischen und Flüchtlingen verhindern sollen, dauerhaft bezahlt werden. Doch mit einer Rede, die selbst Gabriel-Kritiker und Parteilinke später als solide und weitgehend frei von Widersprüchen bewerten, dürfte der Vizekanzler in den eigenen Reihen wieder ein bisschen Boden gut gemacht haben.

Viel Neues bekommen die Genossen nicht zu hören. Die Partei steckt mitten in der Vorbereitung des Wahlprogramms, da kommt der Konvent eher ungelegen. Klar ist, dass die SPD sich stärker von der Union distanzieren muss, wenn sie 2017 überhaupt eine Chance haben will. So kündigte Gabriel bereits unter der Woche an, dass die SPD „radikaler“ auftreten wolle - garniert mit der schräg anmutenden Idee, bald einen Kongress unter anderem mit der linksradikalen griechischen Syriza-Partei zu veranstalten.

Spannend zu sehen sein wird, ob die SPD ihren Abgrenzungskurs gegenüber der Union nun auch bei der anstehenden Suche nach einem neuen Bundespräsidenten durchzieht - oder ob sie diese staatstragende Personalfrage davon ausklammert. Fraktionsvize Axel Schäfer liebäugelt offen mit einem gemeinsamen rot-rot-grünen Kandidaten, was Gabriel sicher nicht mitmachen dürfte. Die SPD könnte zunächst einen eigenen Vorschlag gegen die Union machen, später aber einen hoch angesehenen Konsenskandidaten mittragen, der parteiübergreifend vermittelbar wäre.


Behutsamer Linksruck

So weit wie die FDP 2012 zu gehen, als sie die Kanzlerin düpierte und den rot-grünen Kandidaten Joachim Gauck durchsetzte, dürfte die SPD jedenfalls nicht bereit sein. Immerhin könnte die Bellevue-Frage dafür sorgen, dass die überaus zähe K-Frage in der SPD ein paar Wochen lang nicht breitgetreten wird.

Grundsätzlich will Gabriel versuchen, mit einem schärferen sozialen Profil den eigenen Laden zusammenzuhalten, Frauen, Alleinerziehende und Familien sollen wieder SPD wählen. Es ist ein behutsamer Linksruck, wobei nach Gabriels Definition einfach die politische Mitte mit nach links wandern soll. Für eine 20-Prozent-Partei ein ehrgeiziges Vorhaben, nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen. Wenn Teile des Bürgertums und Wirtschaftsbosse vom Label „linke Volkspartei“ hören, sind Abwehrreaktionen programmiert.

Wohlweißlich wurde beim Konvent die Wahlkampf-Steuerpolitik weitgehend ausgespart. Wie heftig die Wähler mit unausgegorenen Steuerkonzepten verschreckt werden, erlebten 2013 die Grünen. Die SPD-Linke will Reiche mit einer Vermögensteuer stärker zur Kasse bitten, was Gabriel mehrfach ausgeschlossen hat: „Nur höhere Steuern bringen noch nicht mehr Gerechtigkeit“, lautet am Sonntag seine vorsichtige Bewertung. Gabriel weiß, dass er unter verschärfter Beobachtung steht.

Eine versöhnliche Szene beim Konvent spielt sich dann mit Gabriels Lieblingsgegnerin Johanna Uekermann ab. Die Juso-Chefin schlägt in der Runde eine allgemeine Kennzeichnungspflicht für Polizisten vor. Gabriel nimmt den Ball auf, lobt die Idee als vernünftigen Vorschlag. Da müsse er der Johanna mal Recht geben. Vor einem halben Jahr hatten sich Gabriel und die Jungsozialistin beim Parteitag heftig gefetzt - seine unbeherrschte Reaktion führte nach Ansicht vieler Genossen dann mit zu Gabriels miesem Wiederwahlergebnis von 74 Prozent.

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