In der Theorie hat die Ministererlaubnis einiges für sich. Die Sicherung des Wettbewerbs ist ein wichtiges, aber nicht das alleinige legitime Ziel in einer sozialen Marktwirtschaft. Deshalb gibt es durchaus Fälle, wo diese Ziele kollidieren können. So kann eine Fusion zwar den Wettbewerb innerhalb Deutschlands beschränken und trotzdem sinnvoll sein, wenn sie der einzige Weg für die beteiligten Unternehmen ist, in einem weltweiten Wettbewerb zu bestehen.
Auch Achim Wambach, Chef der Monopolkommission, ist bei aller Kritik an der geplanten Fusion nicht dafür, die Ministererlaubnis abzuschaffen. „Sie trägt dazu bei, das Bundeskartellamt bei der Fusionskontrolle von politischem Druck freizuhalten“, sagt der Ökonom der WirtschaftsWoche. In seltenen Fällen gebe es Gemeinwohlgründe, „die in der rein wettbewerblichen Abwägung nicht berücksichtigt werden können“. Dann sei eine Entscheidung „durch eine politisch legitimierte Institution nötig“.
Ausnahmen der Ministererlaubnis sind schwer durchzusetzen
Doch die hehren Ausnahmeprinzipien der Ministererlaubnis sind praktisch schwer durchzusetzen, wie auch Monopolkommissionschef Wambach eingesteht, der „offenbar bestehende Unklarheiten“ rügt, wann bei Wettbewerbsfragen tatsächlich das Gemeinwohl berührt ist. Wie unklar vieles ist, zeigte sich früh nach der Einführung der Erlaubnis im Jahr 1973. Schon bald kam das Wirtschaftsministerium zum Ergebnis, das Instrument sei „wenig geeignet“ und „sehr problematisch“. Dieses Urteil bezog sich auf den Kauf des Maschinenbaukonzerns Wibau durch die IBH-Gruppe im Jahr 1981. Auch damals erlaubte der Minister die Fusion. Wenig später war der Konzern pleite.
Kein Wunder, dass das Instrument erst 22-mal angewendet und die Erlaubnis nur neunmal erteilt wurde. 2002 stoppte das OLG Düsseldorf die Entscheidung des damaligen Wirtschaftsministers Werner Müller, den Kauf von Ruhrgas durch E.On mit Ausnahmen zu genehmigen. Als „gravierenden Verfahrensfehler“ wertete das Gericht damals, dass Müllers Staatssekretär Alfred Tacke an der mündlichen Anhörung zur Ministererlaubnis nicht persönlich teilgenommen hatte.
Entscheidung zur Fusion schien schon getroffen zu sein
Gabriel wollte genau diesen Fehler vermeiden, so schien es zumindest. Als erster Bundeswirtschaftsminister überhaupt war er bei einer öffentlichen Fusionsanhörung zugegen. Im November 2015 bahnte sich Gabriel seinen Weg durch eine Phalanx von rund 150 Juristen, Beamten, Journalisten und Unternehmenschefs im stuckverzierten Eichensaal des Berliner Wirtschaftsministeriums. 14 geladene Parteien sollten ihre Argumente vortragen. „Lassen Sie sich nicht stören“, sagte Gabriel, als er seinen Platz erreichte, ganz so, als wäre er nur ein Zuschauer in dem Verfahren und nicht derjenige mit dem allerletzten Wort.
Ministererlaubnis
Formell muss nach dem Gesetz für Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) mindestens einer der Beteiligten eines Fusionsprojekts nach dessen Untersagung durch das Bundeskartellamt die Ministererlaubnis beantragen. Er kann dies innerhalb von einem Monat nach der Zustellung des Verbots der Wettbewerbswächter tun. Innerhalb von vier Monaten nach Eingang des Antrags soll der Minister entscheiden. Wird eine Erlaubnis erteilt, kann sie mit Bedingungen und Auflagen verbunden sein. Die Entscheidung ist aber gerichtlich anfechtbar.
Voraussetzung für einen solchen Antrag ist ein öffentliches Interesse an dem Zusammenschluss. Nach dem GWB muss die Fusion gesamtwirtschaftliche Vorteile bieten und/oder durch ein "überragendes Interesse" der Allgemeinheit gekennzeichnet sein. Diese übergeordneten Vorteile müssen die Nachteile für den Wettbewerb aufwiegen, wegen derer das Bundeskartellamt sein Veto einlegte. Auch die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Auslandsmärkten soll berücksichtigt werden.
An dem Verfahren für eine Ministererlaubnis werden auch Personen und Gruppen beteiligt, deren Interessen durch die Fusion erheblich berührt werden. Dazu gehören etwa Arbeitnehmer, Verbände, aber auch Konkurrenten. Vor einer Entscheidung über eine Ministererlaubnis muss die Monopolkommission - ein Expertengremium, das die Bundesregierung bei Wettbewerbsfragen berät - eine Stellungnahme abgeben. Deren Einschätzung ist allerdings nicht bindend. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Zudem muss es eine öffentliche mündliche Anhörung geben.
Seit Schaffung des Instruments und damit seit 1974 wurde in 21 Fällen eine Ministererlaubnis beantragt. Die Erfolgsbilanz ist gemischt. Wiederholt wurde eine Erlaubnisantrag im Verlauf des Verfahrens wieder zurückgezogen. Zuletzt war ein Zusammenschluss im Krankenhausbereich - Uniklinikum Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast - im Jahr 2008 vom Minister genehmigt worden. Der bislang letzte spektakuläre Fusionsfall, bei dem eine Ministererlaubnis den Weg - wenn auch mit Auflagen - freimachte, war der der Energiefirmen E.ON und Ruhrgas im Jahr 2002. Dagegen wurde 2003 ein Antrag für ein Zusammengehen der Verlage Holzbrinck/Berliner Verlag zurückgezogen, nachdem die Monopolkommission im Zuge des Verfahrens empfohlen hatte, die Ministererlaubnis zu versagen.
Zunächst hörte der Minister geduldig zu, als Tengelmann-Patron Karl-Erivan Haub und Edeka-Chef Markus Mosa für einen Zusammenschluss warben. Dann hielt Rewe-Chef Alain Caparros dagegen, sprach von „Erpressungsversuchen“ und machte Haub ein eigenes Kaufangebot. Da konnte sich Gabriel nicht mehr beherrschen. „Das Problem scheint mir zu sein, dass wir hier keine Verkaufsverhandlungen führen“, mischte er sich ein. Vertreter der Gewerkschaft Verdi, die gegen eine Fusion argumentierten, fragte er spitz: „Ist Ihre Ablehnung Selbstmord aus Angst vor dem Tod?"
Nach dem Termin waren sich Beobachter einig: Der Minister hatte seine Entscheidung für eine Fusion längst getroffen, der Deal schien durch zu sein. Doch Gabriel wollte offenbar ganz sichergehen und führte „Geheimgespräche“, rügt das OLG Düsseldorf. Die Richter monieren vor allem, dass sich Gabriel, ohne Wissen der anderen Verfahrensbeteiligten, gleich zweimal mit Edeka-Chef Mosa und dem Kaiser’s-Tengelmann-Eigentümer Karl-Erivan Haub zu „Sechs-Augen-Gesprächen“ getroffen habe. Dabei soll der Minister das je gültige Angebot von Konkurrent Rewe offen diskutiert haben.