WirtschaftsWoche: Herr Minister, Norddeutschland hat den Wind, Ost- und Süddeutschland die Solarenergie. NRW ist Kohle-Land. Wird es deshalb zum Verlierer der Energiewende?
Duin: Fakt ist, dass die Energiewende die Stromkunden aus NRW überproportional belastet. Sie zahlen über das EEG-Umlagesystem eine Milliarde Euro mehr ein, als sie herausbekommen. Das Geld fließt vor allem nach Bayern. Das kann so nicht bleiben.
Glauben Sie, dass die neue Bundesregierung hier gegensteuern kann – und will?
Welche Koalition künftig in Berlin regiert, ist für die Energiewende sekundär. Entscheidend ist, dass die Bundesländer endlich einen Konsens finden. Selbst dem bayrischen Ministerpräsidenten Seehofer ist mittlerweile klar, dass der unkoordinierte Ausbau bei regenerativen Energien ein Ende haben muss.
Trotzdem verhindern die unterschiedlichen Interessen der Länder eine Reform.
Die Länder bewegen sich aufeinander zu, das merkt man bei allen Gesprächen. Es gibt in der Energiepolitik ein Zieldreieck: Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, Klimaschutz. Aus Sicht des Industriestandorts NRW sage ich: Das entscheidende Kriterium muss die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sein. Wir dürfen nicht alles dem Klimaschutz unterordnen. Wir fordern von Südeuropa eine höhere Wettbewerbsfähigkeit, die EU entwirft eine Strategie zur Re-Industrialisierung – und Deutschland macht eine Energiepolitik, die das Gegenteil bewirkt.
Sie hätten das ändern können. Die Strompreisbremse ist aber mit Ihrer Hilfe im Bundesrat gescheitert...
...weil sie handwerklich extrem schlecht vorbereitet war und für viele energieintensive Industriebetriebe in NRW eine gefährliche Mehrbelastung bedeutet hätte. Eine echte EEG-Reform muss das Ausbautempo bei regenerativen Energien senken. Derzeit liegen wir beim Ausbau über Plan, während der Netzausbau zurückhängt. Der zweite wichtige Punkt: Wir brauchen einen Kapazitätsmarkt für konventionelle Kraftwerke. Energieversorger müssen dafür entlohnt werden, wenn sie Reserven für Zeiten vorhalten, in denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst.
Zur Person
Duin, 45, ist seit 2012 Wirtschaftsminister in NRW. Zuvor war er SPD-Chef in Niedersachsen und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Das könnte teuer werden.
Wir haben dafür einen Zielkorridor definiert. Dabei landen wir am Ende maximal bei sechs Milliarden Euro im Jahr. Das ist viel Geld. Man muss das aber im Verhältnis zu den 20 Milliarden Euro sehen, die momentan in erneuerbare Energien fließen.
In Hürth bei Köln wurde für Hunderte Millionen Euro ein Gaskraftwerk gebaut. Das ist fertig, geht aber nicht ans Netz, weil es sich nicht lohnt. Wie wollen Sie solche Investitionsruinen verhindern?
Das Entscheidende ist, dass wir anfangen müssen, über Kapitalkosten zu reden. Bisher wird immer nach den Betriebskosten gefragt: Wie teuer ist die Kohle, wie teuer ist das Erdgas? Wenn wir die modernsten Kraftwerke haben wollen, dann muss man sich klarmachen, dass das mehr kostet. Sonst mache ich die Betreiber alter Kohlekraftwerke glücklich – aber nicht die der modernen, die wir eigentlich wollen.
Wie viele fossile Kraftwerke würden überleben?
Mehr oder weniger die Anzahl, die momentan existiert. Das klingt nach sehr viel. Aber wir müssen für den Moment der „dunklen Flaute“, wo weder Wind noch Sonne Strom liefern, sicherstellen, dass das Licht nicht ausgeht.
Steht zu befürchten, dass uns die EU-Kommission eine Reform aufdrängt?
Das Worst-Case-Szenario wäre, wenn Brüssel die Ausnahmen und Härtefallregeln kippt, aber das EEG als Ganzes weiterlaufen lässt. Das wäre eine industriepolitische Katastrophe! Bundesregierung und Länder müssen in den nächsten Wochen dringend ein Signal nach Brüssel senden, dass wir das EEG verändern und dann die Ausnahmetatbestände.
Unternehmen sparen keine Energie
Wie Unternehmen die Strom-Umlagen umgehen
1700 Unternehmen sind von der Umlage befreit, 20 Prozent davon aus NRW. Können Sie Ausnahmeregeln schleifen, ohne der Industrie zu schaden?
Derzeit gibt es eine starre Grenze: Liegen die Energiekosten eines Unternehmens bei 14 Prozent des Umsatzes, kann es sich entlasten lassen. Das hat absurde Folgen: Wer bei 13,9 Prozent liegt, muss sich überlegen, die Stromkosten künstlich nach oben zu treiben. Wer bei 14,1 Prozent liegt, wird den Teufel tun, weiter in Energieeffizienz zu investieren. Wir brauchen deshalb einen gleitenden Übergang, zum Beispiel eine degressive Staffelung bis etwa fünf Prozent.
Dann würde die Zahl der profitierenden Betriebe weiter steigen.
Ja, für einen gewissen Zeitraum. Die Gesamtsumme sollte aber gleich bleiben. Die Kosten durch die Befreiungen dürfen nur steigen, wenn wir anderswo reduzieren – und zum Beispiel die Stromsteuer senken.
Sagten Sie: Stromsteuer senken?
Ja, da schauen Sie, was? Die SPD will auch mal Steuern senken.
Finden Sie es lobenswert, wenn Unternehmen eigenen Strom produzieren, um EEG-Umlage und Netzentgelte zu sparen?
Nein.
Wieso? Davon profitieren die Kunden.
Die energetische Eigenversorgung ist eine Form von Entsolidarisierung, die die Politik beschränken muss. Künftig muss es eine Mindestumlage für alle Stromverbraucher geben, vom Hausbesitzer bis zum Industriebetrieb.
Sie wollen Unternehmen verbieten, ihren Strom selber zu erzeugen?
Überhaupt nicht. Nur sollten sie nicht darauf bauen, auch künftig keine EEG-Umlage und Netzentgelte zahlen zu müssen.
Wo bleibt in Ihren Szenarien die Kohle?
Die Prognosen zur Versorgungssicherheit bis 2022 besagen, dass wir alle derzeit vorhandenen fossilen Kapazitäten brauchen. Da zudem alte Kraftwerke eingemottet werden, sind neue nötig. Angesichts der derzeitigen Investitionsbedingungen ist der Neubau für Unternehmen aber betriebswirtschaftlicher Blödsinn.
Der Energiekonzern RWE scheint Ihre Skepsis zu teilen. Angeblich spielt das Unternehmen mit dem Gedanken, schon 2017 den Braunkohle-Tagebau Garzweiler II einzustellen.
Die Landesregierung geht davon aus, dass RWE an den Abbauplänen festhält. So hat es das Unternehmen kommuniziert, und dies wurde mir in Gesprächen bestätigt.
Der Bürgermeister von Erkelenz hat vorerst alle Umsiedlungsmaßnahmen rund um Garzweiler gestoppt.
Womöglich macht sich in den betroffenen Ortschaften die Hoffnung breit, die Umsiedlung doch noch stoppen zu können. Das ist menschlich verständlich. Das Land ist derzeit in intensiven Gesprächen mit dem Braunkohlenausschuss bei der Bezirksregierung Köln, der die Verfahrensentscheidungen über Umsiedlungen im Rheinischen Braunkohlerevier trifft, der Stadt Erkelenz und dem bergbautreibenden Unternehmen RWE Power.
Baut RWE eine Drohkulisse auf?
Das ist gar nicht nötig. Niemand kann die Augen davor verschließen, dass den Stromkonzernen das Wasser bis zum Hals steht. Hier ist richtig Alarm. Wenn ich sehe, welche Zahlen hinsichtlich des Stellenabbaus diskutiert werden, ist das kein Spiel mehr, wo Lobbyinteressen verfolgt werden.
Eine Sparorgie droht
Wo ist das Problem, wenn Konzerne vom Markt verschwinden, deren Geschäftsmodell nicht zur Energiewende passt?
Erstens brauchen wir auch fossile Energien für einen funktionierenden Mix. Aber denken Sie auch an die Kommunen, die hängen über ihre Stadtwerke, Firmenbeteiligungen und RWE-Anteile mit drin. Wenn ich darüber mit Kämmerern spreche, da schlägt mir die nackte Not entgegen.
Das klingt bedrohlich. Auf was müssen sich die Städte gefasst machen?
Die werden eine Sparorgie hinlegen müssen, die ihresgleichen sucht. Wenn dort richtig die Verluste von den Kraftwerken reinregnen und die Städte Wertberichtigungen vornehmen müssen, dann wird das eine Katastrophe. Da schließt dann auch noch das letzte Hallenbad, weil die Kraftwerke so hohe Verluste produzieren.
Welche Städte trifft das denn?
Auf jeden Fall das gesamte Ruhrgebiet. Die meisten Städte dort sind sogar doppelt betroffen, weil sie nicht nur bei der Steag Anteilseigner sind, sondern auch bei RWE.
Damit nicht genug: Im Ruhrgebiet häufen sich gerade die Meldungen über Werksschließungen und Stellenabbau. Ist der Strukturwandel endgültig gescheitert?
Wir beobachten das mit Sorge. Das sind aber mit Ausnahme von Opel keine Werksschließungen. Entscheidend ist, dass man sich mehr um die Alternativen kümmert.
Im Kuratorium der Krupp-Stiftung hat das Land Einfluss. Auch die RAG-Stiftung wäre ein Vehikel, um die NRW-Industrie zu retten. Drücken Sie sich um die Verantwortung?
Der Fehler war doch, auf die Großen zu setzen. Aber all die lebensverlängernden oder gar wiederbelebenden Maßnahmen haben nur Geld gekostet. Ein Beispiel: Die Überkapazitäten auf dem europäischen Automobilmarkt sind für jeden offensichtlich. Wenn daraus das Aus für Opel in Bochum folgt, sollte man nicht jammern, sondern schauen, dass man auf den Flächen schnell etwas anderes machen kann.
Gibt es denn Interessenten?
Allerdings, die rennen uns gerade die Bude ein. Es ist eine hohe zweistellige Zahl von Investoren, die Interesse zeigen.
Wie passt diese Strategie damit zusammen, dass Sie gerade einer verheißungsvollen Industriefläche im Ruhrgebiet, dem NewPark, die Bürgschaft verweigern?
Das Geschäftsmodell hat einer kritischen Überprüfung nicht standgehalten. Die Hoffnung auf einen einzelnen Großinvestor hat sich in Deutschland seit zehn Jahren nicht mehr realisiert. Die Zukunft gehört den mittelständischen Betrieben, gerade auch im nördlichen Ruhrgebiet.
Liegt der Fehler bei den Politikern im Ruhrgebiet? Die kümmern sich aus alter Verbundenheit nur um die Großkonzerne.
Das war ja auch jahrzehntelang sehr komfortabel. Wenn Sie früher mit einem Betriebsrat gesprochen hatten, dann hatten sie schon mal 10 000 Leute erreicht. Das hat den schleichenden Niedergang aber nicht verhindert. Deshalb muss man jetzt die Struktur verändern.