Ob Coronapandemie, Flutkatastrophe oder jetzt die besorgniserregend knappen Gasvorräte: Es ist die immer gleiche mangelhafte Vorsorge, mit der die politisch Verantwortlichen in diesem Land in die jüngsten Krisen gestolpert sind. Vor zwei Jahren fehlte es Bund und Ländern an jeglichen Vorräten für den Gesundheitsschutz – von Masken bis Medikamenten. Im Starkregen des vergangenen Sommers versagten Katastrophenschutzpläne und Kommunikationsnetze.
Und genauso zeigt sich nun, dass es Deutschland an einem schlüssigen Konzept zur Sicherung einer mindestens grundlegenden Basisversorgung mit dem existenziellen Energieträger und Industrierohstoff Gas mangelt.
Es ist in allen Fällen ein Versagen mit Ansage und der späte Kollateralschaden einer gravierenden Fehleinschätzung der Politik vor gut drei Jahrzehnten. Sie lässt sich rückblickend wohl nur aus der Euphorie der deutschen Wiedervereinigung und der Hoffnung auf eine satte „Friedensdividende“ verstehen.
Getrieben von der Illusion, mit dem Ende des Kalten Krieges breche für Deutschland eine Epoche anhaltend risikofreier Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung an, haben sich Bundes- und Landesregierungen seither mit erschreckender Naivität fast jeglichen Ballasts einer angemessenen Krisenvorsorge entledigt. Dass diese Ignoranz bis heute fortwirkt, ist allenfalls mit einem Übermaß an Verdrängung gegenüber erkennbaren Risiken erklärbar.
Dass in der Coronakrise nicht bloß Masken, sondern bis heute auch Krankenhausbetten und medizinisches Hilfspersonal fehlen, ist die Folge des Abbaus fast aller Zivilschutzstrukturen. Dass bei der Flut Warnanlagen und Kommunikationstechnik versagten, ist das Resultat mangelnder organisatorischer und technischer Vorsorge.
Und dass es die schwarz-rote Bundesregierung beispielsweise 2015 zuließ, dass die BASF-Tochter Wintershall sämtliche Gasspeicher ausgerechnet an den russischen Staatskonzern Gazprom verkauft, zeugt von einer fast schmerzhaften Blindheit gegenüber dem ökonomischen wie politischen Erpressungspotenzial, das in dem Deal steckte.
Die Friedensdividende – wenn es sie denn überhaupt gab – ist lange ausgezahlt. Die extreme Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas macht das nochmals überdeutlich. Das Fehlen ausreichender nationaler (gerne auch europaweit koordinierter) Reserven, die das russische Erpressungspotenzial entschärfen könnte, rächt sich jetzt. Und es muss nun endlich auch den letzten Romantikern klar machen, dass der Markt alleine eben nicht reicht, um Gesellschaft und Wirtschaft gegen grundlegende Risiken abzusichern.
Aus der Coronapandemie und der Flut hat die Politik erste Lehren gezogen und baut den Bevölkerungsschutz, das Technische Hilfswerk und andere Katastrophenschutzstrukturen wieder aus. Genauso muss nun die krisenfeste Vorsorge gegen Energie- und Rohstoffknappheiten folgen. Dass die Ampelkoalition mit zusätzlichen Speichern beginnen will, ist ein erster richtiger Schritt.
Vor allem aber braucht es möglichst rasch mehr alternative Bezugsquellen und Energieträger (einschließlich Methan und Wasserstoff). Sie ist die beste Versicherung gegen Mangel und Erpressbarkeit. Schreibt die Friedensdividende ab. Sorgt endlich vor.
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